Monika Khot alias Nordra eröffnet den Abend mit einem eklektischen, kurzen Post-Industrial-Set, wobei sie hinter einem Pult an Knöpfen und Schaltern einen düsteren Sound entwickelt, den sie hin und wieder mit einer Gitarre oder Trompete intensiviert. Guter Einstieg. Allerdings stört es die Live-Situation etwas, dass sie mehrmals für kurze Zeit hinter dem Pult verschwindet, wohl um ihre Instrumente zu wechseln, und eine »leere« Bühne hinterlässt. In Erwartung der folgenden, auf der Bühne so präsenten Musiker ist das leicht irritierend.
Baptists Moshpit-Taufe
Es folgt der Auftritt der kanadischen Crust-Punk-Band Baptists, die mit ihrem doch recht sludgigen Sound das überwiegend männliche Publikum anerkennend im Takt nicken lassen. Schwarze Tanktops, vereinzelte, schwitzende, nackte Oberkörper – unter so vielen Männern hat das schon etwas Homoerotisches. Und wenn dann noch Sänger Andrew Drury das Publikum mit seinem Wasser weiht, hat das Bespritzen symbolisch neben der religiösen gleich noch eine sexuelle Ebene. Relativ unchristlich beschimpft er auch das Publikum des Vortags: »Fuck Leipzig« und kuschelt sich fröhlich in den Berliner Moshpit. Die Stimmung intensiviert sich immer mehr, das Weed geht im Kreis vom Publikum auf die Bühne und zurück. Höhepunkt des Auftritts ist vielleicht der Song »Indigo Child« vom 2018er-Album »Beacon of Faith«. Vor allem Drummer Nick Yacyshyn beeindruckt mit seinem ultraschnellen und lebendigen Spiel, das er als Drummer der Band Sumac fortsetzt.
Aaron Turners gloriose Sumac
Sumac, 2014 von Gitarrist Aaron Turner (Ex-Isis, Old Man Gloom, Mamiffer etc.), Bassist Brian Cook (Botch, Russian Circles) und besagtem Drummer gegründet, sind möglicherweise das spannendste der vielen derzeitigen Projekte Aaron Turners. Im Gegensatz zu seinem vorigen, sehr songbasierten Projekt Isis, das sich durch den wahnsinnigen Groove Aaron Harris’ und auch die melodiöse Gitarre und dem Gesang Turners auszeichnet, verfolgt er hier ein wesentlich freieres Konzept, das im Laufe der vier Alben, spätestens aber seit dem 2018er-Split-Album mit Keiji Haino wesentlich Platz für Improvisation und Zufall lässt. Wer weiß, was gegen Ende des Konzerts noch passieren soll – nämlich der Hinzutritt des Weltgitarristen Caspar Brötzmann auf die Bühne – der kann im Spiel Turners schon den musikalischen Einfluss des Stargastes erkennen, den er später auch lobend betont.
Caspar Brötzmanns Gitarrenfuror
Wer sich an den grandiosen Auftritt des Caspar Brötzmann Massaker beim 2011er-Dreierkonzert mit Wire und den Einstürzenden Neubauten im Berliner Trafo erinnert, kann sich in etwa vorstellen, welche wahnsinnige Präsenz und Sexyness der Kapazunder Brötzmann als Solo-Extra auf die Bühne bringt. Doppelt so laut wie alles andere ist sein Bass. Zur ernsten, fokussierten und fast manischen Art Turners ist daneben Brötzmanns charmantes, mit der Gitarre kopulierendes Spiel ein interessantes Pendant. Insgesamt ist das ein sehr langer Abend. Vom leider so selten zu erlebenden, noch immer eher als Geheimtipp geltenden Weltgitarristen Caspar Brötzmann ist aus unerfindlichen Gründen viel zu selten viel zu wenig zu sehen und zu hören. Sexier kann Gitarrenspiel nicht sein.
Links:
https://nordra.bandcamp.com/
https://baptistssl.bandcamp.com/
https://sumac.bandcamp.com/
http://www.casparbroetzmannmassaker.com/