Die bemerkenswerte Erfolgsgeschichte von Brannten Schnüre endet (fürs erste) mit der Veröffentlichung von »Landschaft aus Tränen«, dem (vorerst) letzten Album des Duos. Was die Zukunft bringen wird, man wird sehen, aber erstmal ist Feierabend. Vor gut fünfzehn Jahren hätte sich Christian Schoppik nicht träumen lassen, welche Aufmerksamkeit Brannten Schnüre zukommen würde, seit Katie Rich mit ihrer Stimme den melancholisch gestimmten Klangcollagen jene besondere, zu gleichen Teilen esoterische wie erotische Qualität verlieh. Über Sprachbarrieren hinweg verstand das Duo, sich mitzuteilen. Die Musik regte die Fantasie an, wirkte in ihrer verhalten geäußerten Traurigkeit, ihren diskret-zärtlichen Gesten anziehend, geheimnisvoll und unwiderstehlich. Ich schreibe hier schon in der Vergangenheitsform, obwohl das neue Album gerade erst veröffentlicht wurde, und dennoch scheint es, als liege dieses Ereignis weit zurück. Auch hierin liegt eine Qualität der Musik von Brannten Schnüre: Die Zeit, eine relative Größe ohnehin, physikalisch betrachtet, verliert ihr menschliches Maß, verfliegt oder scheint sich unendlich auszudehnen. Was nur Sekunden währt, mutet wie eine Ewigkeit an – und umgekehrt. Die in Text und Musik vermittelten Gefühle in der Wahrnehmung und Beschreibung von Alltagsbeobachtungen, die damit verbundenen flüchtigen Emotionen und Erfahrungen lassen während des Hörens die Welt versinken, auf die sie sich beziehen: »Das alles saust jetzt durch die Pfeffermühle, alles verwandelt sich in Sternchen«, wie es im letzten Lied des Albums heißt, einem passenden Resümee, das für die gesamte kleine Karriere des enigmatischen Duos stehen kann. Aber vielleicht noch mal von vorne: Es finden sich sicherlich Stimmen, denen das alles ein bisschen zu viel des Guten ist. Schon der Titel des Albums und das einleitende Gedicht: »Landschaft aus Tränen«, geht’s noch? Ja, danke der Nachfrage. Die beinahe schamlos ausgestellte Empfindsamkeit, die romantische Gesinnung, die ganzen Gefühle! »Man muss Gefühle auch mal zulassen.« – »Danke, sind zu!« Dieser kalauernde Dialog schießt mir durch den Kopf, während ich das Album zum wiederholten Mal höre. Entweder man liebt Brannten Schnüre oder man kriegt die Krise ob der verspielt-verträumten und waidwunden Ästhetik des Duos und wendet sich ab. Aber wohin? Die Welt ist ein Jammertal, die Realität unbarmherzig und voller Widersprüche, das Leben für viele Menschen nicht schön, vielleicht sogar die Hölle. Wie angesichts all des Unglücks nicht verzweifeln? Auch darauf haben Brannten Schnüre eine Antwort, ich habe sie bereits zitiert, und wiederhole sie noch einmal: »Das alles saust jetzt durch die Pfeffermühle, alles verwandelt sich in Sternchen«, denn die musikalischen Arbeiten von Brannten Schnüre sind auch ein Quell der Freude, des eigensinnigen Widerstands und – so sagt man in therapeutisch informierten Kreisen – der Resilienz! Die Flucht vor der Realität sucht ihr Heil in der Verzauberung ebendieser. Rätselhaft. Wie kann das gehen? In der permanenten Bearbeitung dessen, was der Fall ist, findet das Duo keinen Ausweg und dennoch eine Möglichkeit, sich zu behaupten. Das Unglück und die subjektiv desolaten Lagen werden anerkannt, die solidarische Geste zur Bewältigung ist die Musik selbst. Sie hilft dir und mir, wenn du es zulässt, dass du darin keine Lösung für deine Probleme findest, aber einen Spiegel, sie besser zu erkennen. »Landschaft aus Tränen« gibt es rezeptfrei, aber ob der hohen Nachfrage wohl nur für kurze Zeit überall dort, wo man Schallplatten kaufen kann. Zugreifen.
Brannten Schnüre
»Landschaft aus Tränen«
Quirlschlängle
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