Bereits mit dem Vorgängeralbum schlug die Death-Metal-Band Blood Incantation aus Denver, Colorado, Wellen: »Hidden History of the Human Race« bediente sich thematisch im New-Age-/Ancient-Aliens-Fundus und (auch) deshalb kam der Veröffentlichung jenseits der einschlägigen Metal-Presse einige Aufmerksamkeit zu. Das konzeptionell wie kommerziell erfolgreiche Album brachte der Band einen Deal mit Century Media ein und mit »Timewave Zero« legen sie jetzt ihr erstes Album für das renommierte Label vor. Ein Ambient-Album. Karrieresuizid? Weit gefehlt! (Analoge) Synthesizer finden sich bereits auf dem Vorgängeralbum und die sogenannte Kosmische Musik à la Tangerine Dream und Co. steht dem Metal näher, als es auf den ersten Blick vielleicht scheinen mag. (Mayhems »Deathcrush« E.P. beginnt mit einem Intro von Conrad Schnitzler und eine Verbindung der Weltraum-Thematik unter Einsatz auch von Synthesizern findet sich im Death Metal in der Vergangenheit zum Beispiel bei Nocturnus.) Allerdings, als Death-Metal-Band ein komplettes Ambient-Album, noch dazu das erste für das neue, große Label, im Stile von Tangerine Dreams »Zeit« aufzunehmen, das zeugt von Selbstbewusstsein. Daher ist die Aufregung in der Gemeinde groß und die Hilflosigkeit in der Rezeption auch: »Ob Blood Incantation nach dieser Raummission wieder zurück zu ihrem Ursprung reisen wollen, bleibt abzuwarten« (»Metal Hammer«, zurückhaltende 3 von 5 Sternen in der Bewertung), »Fingers crossed now that the band’s need for experimentation has been fulfilled, album number four will be back to business as usual« (»Kerrang!«, enttäuschte 2 von 5 Punkten in der Bewertung). Bei »Pitchfork« hingegen hat man schon eher Bock, 7.5 Punkte, und bei »BangerTV« blickt Sarah Kitteringham auch durch. Damit ist auch klar, dass eine ganze Reihe sich »trve« wähnender Metalheads sich von der »Hipsterscheiße« abwenden werden – na und wenn schon. »Das stört keinen großen Geist« (Karlsson vom Dach) und sicher auch nicht die Jungs von Blood Incantation, die, Vollnerds, die sie sind, für ihre stilsicheren Veröffentlichungen mit einer Reihe von anderen Metalbands (u. a. Wayfarer und Stromkeep) bekannt sind. Für »Timewave Zero« haben sie sich eben an den Arbeiten von Edgar Froese, Klaus Schulze, Vangelis oder John Carpenter orientiert und nicht bloß einen uninspirierten Abklatsch abgeliefert, sondern eine 40-minütige Reise, die, wäre sie 1972 erschienen, heute als Klassiker herumgereicht werden könnte. Diese Perspektive, das muss dann schon dazu gesagt werden, ist allerdings schief, denn Alben wie »Zeit« oder »Cyborg« entstanden als Pionierarbeiten auch durch Zufall – was die (Moog-)Synthesizer und andere Maschinen so machten, entzog sich zum Teil der Kontrolle und Kenntnis der Musiker, sie betraten Neuland, die Aufnahmen brachten tatsächlich bis dato Ungehörtes zu Ohren. Der Fall liegt bei »Timewave Zero« anders; viel Zufall wird nicht im Spiel gewesen sein, die Jungs werden ihr Vintage-Equipment kennen und entsprechend umsichtig bedient haben. Trotzdem: Dem Ergebnis nach ist das Album nicht bloß die fingerfertige Arbeit von ein paar Kopisten, keine Milchstraße à la Malen nach Zahlen. Es steckt genug Inspiration, Geduld und Liebe zum Detail in den beiden jeweils 20-minütigen Kompositionen, um auch als weitgereister und erfahrener Kosmischer Kurier mit der Platte Spaß zu haben. (Legt man sich die CD/DVD-Version zu, bekommt man einen 30-minütigen Bonustrack dazu!) Wer also Krautrock- und Ambient-Platten zu Hause stehen hat, sollte ein Ohr riskieren und sich vom unlesbaren Logo der Death-Metal-Band nicht schrecken lassen. Es gibt jedenfalls keinen Grund, traurig zu sein, dass Blood Incantation für dieses Mal die Axt im Schrank stehen lassen haben – im Gegenteil.
Blood Incantation
»Timewave Zero«
Century Media
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