Da ist sie, die Platte des Jahres. 11 von 10 Punkten auf der nach oben um eins erweiterten Spinal-Tap-Skala. Und nicht nur Platte des Jahres, sondern auch musikalisches Ereignis des Jahres. Mag sein, dass in München und anderswo Menschen sich auf Wiesen und Hügeln in der Gemeinschaft gleichgesinnter Swifties versammeln, aber was kümmert mich das? Ich bin kein Swiftie, ich bin ein Riedlchen. Ich habe ungeduldig auf den Tag gewartet, an dem nach dem sehr guten »Timewave Zero« Ambient-Album und der auch sehr guten aber eher kurzen »Luminescent Bridge« EP endlich das neue Album von Paul Riedl, Isaac Faulk, Morris Kolontyrsky und Jeff Barrett aka Blood Incantation vorliegt. Und nun habe ich es gehört, und ich habe bekommen, was ich mir erhofft habe: Ein psychedelisches Prog-Ambient-Death-Metal-Album, die Vollbedienung. Hier bin ich Nerd, hier darf ich’s sein. Ich höre das Album und vor meinem geistigen Auge ziehe ich eine Platte nach der anderen aus dem Regal, die »Absolute Elsewhere« bzw. die Jungs von Blood Incantation inspiriert hat. Sie sind die ersten, die das unumwunden zugeben. Von der namensgebenden kosmischen Prog-Eintagsfliege um Bill Bruford und deren Album »In Search of Ancient Gods« über Alben wie »Stratosfear« von Tangerine Dream oder »Meddle« von Pink Floyd bis hin zu Klassikern des Death Metal (»Altars of Madness« von Morbid Angel oder späte Death, zum Beispiel »Symbolic«; auch an Opeth erinnern manche Passagen). Dynamisch auf und ab geht es, Knüppelpassagen wechseln sich ab mit ruhigen Klangflächen, und insgesamt ergibt sich über die Dauer von zwei Tracks (»The Stargate« und »The Message«) und etwas über 40 Minuten Spielzeit ein abwechslungsreiches und komplexes Gesamtbild, ein Hörerlebnis, das in der Kombination der genannten musikalischen Stile tatsächlich einzigartig ist – vor allem, weil Blood Incantation es konsequent durchziehen. Die Ambient-Anteile sind nicht Ornament, die Prog-Elemente dienen nicht der vordergründigen Komplizierung der musikalischen Verhältnisse und der Death Metal leidet nicht unter den (vermeintlich) genrefremden Zutaten. »Absolute Elsewhere« ist ein souveränes und, trotz aller kompositorischen Ambitionen, zugängliches Album, ein Statement. Drunter machen es Blood Incantation auch nicht, inkl. begleitender Filmproduktion (»All Gates Open: In Search of Elsewhere«, die Dokumentation zu den Aufnahme-Sessions des Albums) und -präsentation (der experimentelle Kurzfilm »The Stargate«), Pre-Release-Listening-Session in Dolby-Atmos und anderem Schnick-Schnack (»The Elsewhere Searcher«-App), der im Vorfeld der Veröffentlichung zur Erregung öffentlicher Aufmerksamkeit veranstaltet wurde und wird, bis das Album am 4. Oktober 2024 offiziell erscheint. Blood Incantation kriegen es hin, mehr als eine Band zu sein, und »Absolute Elsewhere« ist mehr als ein Album. Daher der Hinweis auf Taylor Swift zu Beginn dieser Rezension. Natürlich spielt sich der Hype um Blood Incantation in anderen Dimensionen (sic!) ab, aber wenn man sich für extremen Metal interessiert, dann kommt man im Augenblick am Quartett aus Denver, Colorado nicht vorbei. Wahrscheinlich kann man »Absolute Elsewhere« auch doof finden, aber gehört hat man es dann eben auch. Blood Incantation sind die Band der Stunde, »Absolute Elsewhere« die Platte des Jahres. Fertig, aus.
Blood Incantation
»Absolute Elsewhere«
Century Media
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