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Black Secret Technologies & ihre Clones

Digitaler Rhythm & Blues 2003 & wie er schon 1880 angedacht wurde.

Am 16. Januar 2004 stand mit den Nominierungen für die US-Dance Awards, die am 9. März in Miami über die Bühne verliehen wurden (und letztjähriger Schauplatz für die Weltpremiere von P. Diddys House-Crossover-Flop »Let’s Get Ill« waren), auch schon ein Gewinner fest: Moby freute sich neben der Auszeichnung für »Oustanding Contribution to Dance Music« auch darüber, dass es endlich ein Fernsehereignis gibt, das die kontinuierliche Entwicklung elektronischer Musik aufzeigt. Fragt sich nur, um welche elektronische Musik es hierbei geht? Ein flüchtig auf die Nominiertenliste (angeführt von Crystal Method, The Chemical Brothers und Paul van Dyk) geworfener Blick macht sofort klar, dass sich die DanceStar Awards auch 2004 vorwiegend als eine (Weiße-)Jungs-Angelegenheit gestalten, die unter »Acid« gleichermaßen die 303 wie auch Zottelhippie-Big-Beat/Trance-Psychedelia verstehen. Ähnlich wie Ende der 1990er für britischen Drum & Bass waren so auch letztes Jahr (Billboard-)chartsträchtige Digi-R&B-Mutationen ein/das kommerzielle(s) Auffangbecken für z.B. submarin mythologische (Detroit-)Techno-Ästhetiken in den USA (um dort gleich von Piranha-ProducerInnen verwurstet zu werden). Angesichts der minimalistischen Bassline-/Snare-AnomAlien(s) in Tracks wie etwa »Light Your A** On Fire« (Busta Rhymes w/ Pharrell) oder »Milkshake« (Kelis) bedarf es eigentlich keiner global-amazonischen Eselsbrücken mehr, die als Suchergebnisse für »Neptunes« neben Pharrell Williams & Chad Hugo gleich Drexciya ausspucken, um ein (musikalisches) Näheverhältnis zwischen den zwei Acts auszumachen.

»I don’t wait for the DJs to drop bombs on my records/I drop them on my own shit« (Missy Elliott, This Is Not A Test, Intro – 2003)

Der Vulkaniergruß, den die Partycrowd im Innencover des Artist & Styles-Showcase »The Neptunes Present… Clones« mit emporgehobenen Händen formt, schießt auf der Platte in ihren besten Momenten direkt am pastellblauen »Wanderland«-Himmel von Kelis vorbei in den Weltraum. Artifiziell hervorgerufene Zellteilungen hochsynthetischer Scratch-Sounds werden von ihrem musikalischem (Vinyl-)Ursprung isoliert/abstrahiert und als aspetische Sounds für Automatiktüren in Spaceships eingebaut. Dazu kommen von Dub entlehnte Action-Spielereien (Bling-Bling-[Zahn-]Funkeln oder Bud Spencer/Kung Fu-Schlägereien), die verschmitzt in Timbaland-Beat-Interpolationen eingeschleust werden. Während hier HipHop/R&B im Sinne von Sonic Fiction/Future (weiter-)gedacht wird, verlassen diese Aspekte zwar das Beat-Plateau auf Missy Elliotts »This Is Not A Test«, tauchen jedoch über die Rhythssimilation von Stimmen qua (digital neugepolten) Old-School-Scratcheffekten in Missys immer wilder wuchernden Zungenlabyrinthen wieder auf. Dabei lassen hochgepitchte Rave-Arien und Sireneneinsätze über ihre Tribute an klassische Old/Skool-Electro Pioniere wie Afrika Bambataa, Public Enemy oder Eric B. & Rakim hinaus an HipHouse-Combos wie Snap! (deren Einfluß auf HipHop nicht unterschätzt werden sollte. File Under: Afro-Germanic – The Story Continues …) oder an KLF denken. Fand im digitalen R&B 2003 erneut eine starke Annäherung an entweder unbeachtete oder seit Jahren brachliegende Dancefloor-Ansätze statt sowie weiterführende (»Black Atlantic«-)Doktorarbeiten an der De- und Re-Konstruktion von Riddims/Sub-Bässen und der erschlossenen (fiktiven) Eastern-Territorien, konnte das Genre vor allem über die Neu-/Wiederentdeckung von synkretistichen Voodoo/Santeria-Handclaps in Lumidees »Never Leave You« einen Innovationsmoment der »Try Again«-Größenordnung für sich verbuchen. Dass diesem Sounddispositiv (wie bei Missys »Pass That Dutch«) sowohl der kubanische Santeria-Kult der Orishas als auch die Marching Band-Tradition in New Orleans (z.B. The Meters mit dem »Handclapping Song«) zugrundeliegen, macht die ganze Angelegenheit umso spannender. Ist doch der New Orleanser Second Line-Beat auch dadurch gekennzeichnet, dass die große (tiefe) Trommel takt-/richtungsweisend ist (und dabei nie getrennt von den Bässen gesehen werden darf!), was ihr in dieser Funktion zwischen den Polen Improvisation & Anarchie jegliche Freiheit lässt. Wie tief hierbei gegraben wird, macht allein ein Bass-Vergleich (die Trommel & den Sub-Bass meinend) zwischen Timbalands aktuellen Southern-Grooves bei Bubba Sparxxx und einer regelrecht archaisch zu nennenden Delta-Blaskapelle wie etwa Othar Turner & The Rising Star Fife & Drum Band (aufgenommen erstmals Ende der 1960er) klar. All diese Quellen, denen eine bastardisierend-synkretisierende Qualität eigen ist, zeigen, wie auch heutige Blockbuster-R&B-Acts ihr Verständnis von Black Secret Technologies in Musik transkribieren.

»Aaliyah… Aaliyah… Wake uuup… You just now entered into the next level/The new world of funk« (Missy Elliott in: Aaliyah, One In A Million, Beats for da Streets [Intro] – 1996)

Die neue Welt des/von Funk: Was sich in einer radikalen Ortlosigkeit/Unsichtbarkeit (die sich nicht zuletzt aus permanenten musikalischen [Neu-]Häutungen ableitet) und Immunisierung gegenüber allen rassistischen/ins Soziale (zurück-)geerdeten »Primitivismus vs. Modernismus«-Zuschreibungen ausdrückt, die über eine Reafrikanisierung von »Black Music“ (etwa durch lineare/eindimensionale Vergleiche wie Jungle-D&B mit afrikanischen talking drums) entstehen können. Ähnlich wie Dub, der sich durch Synkretisierung vom Reggae-Afrozentrismus (die Rückkehr nach Äthiopien) abgrenzt/entfremdet, kommt Digi-R&B vom Mond/Mars/Saturn, kehrt – wenn überhaupt – nur dorthin zurück und sucht in der Vergangenheit nach den dort/damals schon vorhandenen sonischen Future Sounds. Klingt, als hätten sich das Kodwo Eshun und Dr. Funkenstein (wo ist der eigentlich an prominenter Stelle im Digi-R&B-Universum?) ausgedacht.
Wobei sich die »Signifikanz« der Sounds wohlgemerkt nicht allein aus der Musik heraus erschließt, sondern genauso aus Geographie und Geschichte und damit auch aus »knowledge«/ »wisdom«, »intelligence« und »consciousness«. Was auch das Auftauchen von 1880er Ring Shout-Stimmen aus den Worksongs in Missy Elliotts Tracks erklärbar/lesbar macht. »Erfunden« wurden diese Shouts von afroamerikanischen Sklaven auf Plantagefeldern (später überlebten sie in den Gefängnissen – auch so ein »schwarzer« Ort …), nachdem ihnen das Verwenden von Instrumenten (»Teufelszeug«, wie die Weißen die Trommeln der Schwarzen nannten, bzw. wie heutzutage Musikmaschinen ja immer noch genannt werden) zur Erholung von der Arbeit verboten worden war. Die herumwabernd-unartikulierten (Geister-)Stimmen Missys, die mal aufjauchzen, mal (ur-)schreien, können so auch über Verweise auf afroamerikanische Geschichte als grimmiges Mahnmal auf die Rassismus-/Diskriminerungssysteme, die sich durch die aktuelle Thug-/Pimp-/Gangster-Verherrlichung (re-)aktivieren lassen, gehört werden. Nicht von ungefähr tauchte Missys offensives In-Zungen-Reden erstmals bei »Under Construction« auf, in dem die aktuelleren Verständnisweisen von »battles« im HipHop-Mainstream auch explizit kritisiert wurden. Die »anderen« Stimmen in Missys Musik werden aus ihren Cottonfeldern im tiefen US-Süden und aus ihrer History entwurzelt und über synkretistische Echobahnen/Kanälen/Wurmlöcher zu akusmatischen Stimmen (frei nach Michael Chion), die in unkartografierten Räumen nach neuen Körpern und Sprachen suchen, in einer Mystery resignifiziert. Siehe auch Missys »Pass That Dutch« -Video mit genau gesetzten Field Holler/Jakobs/Himmelleitern/Alien-Anspielungen zwischen »Wizard Of Oz«, »Children Of The Corn« und »Mothership Connection« (womit auch die Frage nach dem Verbleib von George Clinton/Dr. Funkenstein im momentanen Digi-R&B geklärt wäre – er schwebt im Mothership über Missy Elliott)

»It is when you give up on Breakbeats, that’s when Drum’n’Bass happens and nobody notices it. HipHop is dead. That is when you get extreme mutations. « (Kodwo Eshun, 1999)

Neben Ken
ntnis/Bewusstein meint »Wisdom« in Black Secret Technologies aber auch wechselseitige Kommunikation. So waren gerade jene D&B-Acts, die nicht nur Jazz-Rock aus den 70ern in ihren Sampler aufluden, sondern auch »Jungle Jazz«- Rhizomatiken aus dem Harlem der 1930er (einschließlich dazugehöriger Theorie/Philosophie), schlicht stärker. Weswegen die Neptunes nicht allein aus einem musikalisch-ästhetischen Grund kalifornische Endsechziger-Zitat-Popjungs (Brian Wilson, Van Dyke Parks, Harpers Bizarre etc.) verehren, sondern auch wegen theoretischer Ähnlichkeiten und (imaginärer) Allianzen in Sachen »Modernität«/anti-zyklischem Denken. Darum kann interessanterweise gerade bei ihnen, die ja sonst qua hohem Output eher an motowneske Fließband-Rythmaschinen à la Funk Brothers erinnern (wie bei Timbaland geht es aber hier weniger um Masse/Quantität, sondern um das Weiterspinnen von Ideen), das irgendwann Ende der 1980er losgelassene Ideal der Kreation des perfekten Popsongs wieder durchschimmern. Wobei der EINE Song hier auf mindestens vier Ebenen (subaquatisch, Erde/Street, Luft/Skies und Space) aufgesplittert wird und dann noch einmal um die Theoriedispositive Pop und natürlich Afrofuturismus oszilliert.
Die Quellen/Energien, welche Digi-R&B-ProducerInnen freisetzen, leiten und verdichten, können aber auch schon mal versiegen. Symptomatisch dafür war 2003 vor allem Timbaland & Magoos »Under Construction II«. Im Gegensatz zu ungeahnten rhythmischen Potenzialen, die auf Bubba Sparxxx‘ »Deliverance« freigesetzt werden, tritt Timbaland auf der Stelle und lassen sich hier – auch artworktechnisch (genauso übrigens wie bei Missy Elliott, die momentan auf Blaxploitation-Pfaden unterwegs ist, aber auch ikonische Aufnahmen der Kommunistin und Pantheraktivistin Angela Davis mixt/zitiert) – eher keine Futurismus-Aspekte mehr herausfiltern. Die exotischen (Bollywood-)Gesänge, die er den HörerInnen in Tracks wie »That Sh** Ain’t Gonna Work« als Geheimgänge verkaufen möchte, sind dabei mehr State-Of-The-Art als »geheim«. Wurden sie doch schon längst von anderen Producern wie R. Kelly und Sly & Robbie (Sean Paul) betreten/gelüftet. Samples aus 1000 & einer Nacht veredeln mittlerweile ja auch Britney-Spears-Hits. Dagegen ist nun nichts zu sagen, nur sind die Erwartungen bei Leuten wie Timbaland in ihrer Funktion als Uhren, die vorgehen, eben andere.

»Taste this. Taste that. Good?« (Kelis, Tasty, Intro – 2003)

Kelis hingegen scheint mit »Tasty« gerade erst loszulegen. Auf früheren Arbeiten deutete besonders ihre Stimme und Performance auf in Zeit und Raum sprießende Verästelungen hin. Ihr Gospel-»Erbe« setzte sie in souveränen Rollenwechseln ein, die auch an Millie Jacksons Mid-1970er Konzept-Alben »Caught Up«/»Still Caught Up« gemahnten, wo das Thema Ehebruch aus der Position sowohl der betrogenen Ehefrau wie der »Other Woman« präsentiert wurde. Wenngleich nicht so epochal-visionär wie auf »Wanderland«, bricht Kelis auf »Tasty« vielversprechend in unerforschte Bereiche auf, die direkt zu Digi-R&B-Verschaltungen mit Reggae und Four-To-The-Floor Dancefloor führen. Zwischen dem elektrischen Stevie Wonder (dessen Errungenschaften auf »Innervisions« und »Songs In The Key Of Life« hier konzis zusammengefasst werden) und Van Dyke Parks (schon wieder!) findet sich auch hier die Suche nach dem perfekten Popsong wieder, was u.a. bei »Millionaire« mit André 3000 in einem verkitschten, von elektrischen Kraftfeldern umzäunten Märchenschloss in die Tat umgesetzt wird.
Kurz: Zwar produzierte Digi-R&B 2003 nicht so viele heiße Ohren wie die Jahre zuvor, ließ dafür aber genügend Zeit zum Forschen (mit Ergebnissen bis ins Jahr 1880!). Jetzt warten wir auf André 3000 und darauf, dass er 2004 endgültig zum Digi-Nat King Col(e)trane in der Tradition von Sammy Davis Jr. und Stevie Wonder wird.

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Text
Branko Zindovic, Didi Neidhart

Veröffentlichung
12.05.2004

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