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Bart de Paepe

»Zürahümnah«

La Scie Dorée

Bart de Paepe betreibt seit Ewigkeiten sein Label Sloow Tapes, war Mitglied im mittlerweile mythischen Kraut-Kollektiv Sylvester Anfang II und hat auch darüber hinaus so einiges angestellt in den letzten mehr als zwanzig Jahren. Bei allen Umtrieben bleibt er sich stilistisch mehr oder weniger treu und das heißt in seinem Fall, dass er in der belgischen Provinz beharrlich vor sich hin »psychedelisiert«. Sein ich weiß nicht wievieltes Album zeichnet sich erneut durch (alb)traumhafte Klangmeditationen aus, drogenvernebelte Musik mit entsprechend bewusstseinsverändernden Absichten. Er orientiert sich dabei unter anderem und unverbindlich an legendären Figuren wie Bobby Beausoleil, Angus Maclise oder Master Wilburn Burchette und seine eigenen Arbeiten können neben den musikalischen Experimenten dieser legendären Soundmagier bestehen, gar keine Frage. »Zürahümnah« kann neben »The Invasion of Thunderbolt Pagoda«, »Lucifer Rising« oder auch Eintagsfliegen wie Moolah und deren Album »Woe Ye Demons Possessed« eingeordnet werden. Wer nicht ganz so tief drinsteckt, kann vielleicht mit Verweis auf frühe Alben von Tangerine Dream neugierig gemacht werden. »Cosmic Music for Cosmic People« bzw. für Leute, deren ästhetischer Kompass an »The Acid Archives« ausgerichtet ist, eine Szenebibel, die sie in ihrer Einsiedelei auf dem Nachttisch liegen haben und zum Runterkommen vor dem Zubettgehen konsultieren. Bei mir rennt Bart de Paepe mit diesem ästhetischen Programm sperrangelweit offenstehende Türen ein. 

So, wäre das der Zugehörigkeit und dem Genre nach geklärt. Jetzt aber, ein kleiner (kulturpessimistischer) Exkurs: Der »alte weiße Mann« in mir, mein innerer Rick Beato sozusagen, fragt sich, wie Menschen, deren Aufmerksamkeitsspanne an Kurzformaten von Social-Media-Kanälen geschult ist, auf solche musikalisch mäandernden Fieberträume reagieren? Schalten sie unter dem Eindruck der sich langsam entwickelnden und ihrem Ursprung nach oft unbestimmten akustischen Eindrücke umgehend ab bzw. um, oder können sie darauf hängenbleiben und mit Hilfe der dunklen Klangmeditationen in die entlegensten Ecken ihrer Psyche und die tiefsten Abgründe ihrer Seele hinabsteigen? Die hinter dieser – je nach Gemütslage – vorhersehbaren oder provokanten Frage lauernde Perspektive ist keine triviale. Legen wir noch eine Schippe drauf: Das menschliche Vermögen, sich etwas einzubilden, sich seine eigenen Gedanken zu machen und seine Fantasie spielen zu lassen, sich auseinanderzusetzen und auf diese Weise ins Verhältnis zu sich und seiner Umwelt zu setzen – wie wird sich dieser (schon jetzt antiquiert erscheinende) Individuationsmodus im weiteren alltäglichen Umgang mit Algorithmen und künstlicher Intelligenz zukünftig gestalten? Jenseits des Klischees vom Hippie kreist (nicht nur psychedelische) Musik auch um die Forschungsfrage, was der Mensch denn sei und sein kann!? Mikrokosmos – Makrokosmos und so! Wo kommt er her, wo geht er hin? Und schon immer schließen solche Vorstellungen und damit einhergehende ästhetische Praxis und andere gesellschaftliche Bewegungen die Auseinandersetzung mit dem jeweils aktuellen Stand moderner Technik und Spekulationen über ihre zukünftige Entwicklung mit ein. Die paranoide Science-Fiction-Literatur von Autoren wie Philipp K. Dick erscheint im Rückspiegel und mit Blick auf die Gegenwart nicht nur als prophetisch, sondern auch als bereits überholt. Ob die gerne zitierten Androiden von elektrischen Schafen träumen, das kann man sie mittlerweile fragen – oder sie singen auf der ebenso einschlägig bekannten wie beschissenen Streaming-Plattform einen Country-Song darüber. 

Jetzt wo ist da der Zusammenhang? Gibt es einen? Ja! Musik, wie Bart de Paepe sie macht, ist der durch und durch menschliche und idiosynkratische Ausdruck einer langen und geduldigen Suche und des Experimentierens mit Tönen, Frequenzen, Stimmungen und Klängen, die sowohl ihrem Zustandekommen nach als auch im Ergebnis im radikalen Gegensatz dazu steht, ein AI-Interface mit Schlagwörtern zu füttern in der Erwartung oder gar Hoffnung, es käme dann anschließend was Originelles oder Abgefahrenes dabei heraus. Irgendwas wird sie schon ausspucken, die Maschine – aber niemand, musikalische Zitate hin, kulturhistorische Querverweise her, kann Musik so machen wie Bart de Paepe. Ja, ich weiß, steile These und alles vielleicht nur eine Frage der Technik von morgen oder übermorgen, bis die hausgemachte Psychedelica dem oberflächlichen Eindruck nach nicht mehr unterscheidbar sein wird von digitalen Surrogaten. Wahrscheinlich wird es so kommen, aber – und hier kommt es dann zum Schwur und vorausgesetzt, ich werde irgendwie der Urheberschaft gewahr – dann bin ich nicht mehr interessiert. So weit ist es aber noch nicht und fürs erste versenke ich mich in »Zürahümnah«.

Home / Rezensionen

Text
Holger Adam

Veröffentlichung
03.12.2025

Schlagwörter

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