Der Schlüssel verfehlt abermals das Loch, bis man endlich durch die Tür poltert und in die Wohnung taumelt. Jacke und Schuhe werden ausgezogen, in verrauchter Kleidung fällt man ins Bett, während die ersten Sonnenstrahlen sich hinter Schleierwolken durchs Fenster stehlen. Ein Dröhnen hinter der Stirn, ein Tinnitus im Ohr, ein Rauschen in der Brust, sie alle singen das betrunkene Wiegenlied in unerholsamen und bitter nötigen Schlaf. Nach dem Erwachen bleibt nichts als ein geräderter Körper und die Frage, was Traum war und was Realität.
Das Gefühl einer durchzechten Nacht ist es, was Efeu auf »Egal« einzufangen wissen. Es ist ihr erstes Album, nachdem 2023 die EPs »Alle« und »Kein Glanz« erschienen sind, und besteht aus 13 eingängigen Titeln, die zum Tanzen und Trübsalblasen auffordern. Die zum Großteil aus Vorarlberg stammenden Bandmitglieder sind schon lange befreundet und zogen nacheinander von Lustenau nach Wien. Bereits in der Heimat haben sie gemeinsam musiziert; in Wien widmeten sie sich ihrer Band dann mit mehr Ernsthaftigkeit. Inspiriert von der Kulturstadt, ihren Möglichkeiten und dem Nachtleben produzieren sie treibenden Indie-Pop, der sie selbst und ihr Umfeld reflektiert.
Flucht nach vorn
Die Geräuschkulissen aus diesem Umfeld setzen wichtige Akzente auf »Egal« und unterstützen die Metapher vom Fortgehen. So beginnt schon der erste Song auf dem Album mit Wortwechseln in einer Kneipe, die kurz vor dem Zapfenstreich zu stehen scheint. Ein Bier wird entkront, es ertönt das Lachen von Menschen, die den Absprung nach Hause nicht schaffen wollen. Der Körper, angetrieben von destruktiven Bedürfnissen, wird in »Kiosk« besungen. Im Autopilot zieht er durch die Straßen, auf der niemals enden wollenden Suche nach kurzfristiger Befriedigung seiner Gelüste. Das Licht am Ende des Tunnels verspricht eine Trafik, die bittere Enttäuschung kommt mit den Worten »Zigaretten kriegst du trotzdem nicht«. Das Bild eines Rauchers, der nicht rauchen kann, beschreibt einen Zustand von Unvollkommenheit, Rastlosigkeit und Desorientierung. Für den zweiten Part des Songs leiht Sängerin Magdalena Wawra eine raue Version ihrer Stimme und singt so bedächtig, dass sie echtes Mitgefühl mit dem Protagonisten erweckt. Wobei vermutlich sowieso jede*r Raucher*in mitfühlen kann bei der Vorstellung, keine Tschick mehr zu haben, und darüber hinaus jede*r andere mitfühlen kann bei der Vorstellung, nicht zu haben, wovon man glaubt, dass man es unbedingt braucht – und sei es noch so schädlich.
Die Abhängigkeit vom Verhängnis wird im zweiten Song vom Packerl zum Liebespaar übersetzt. »Lass los« ist ein aufwühlendes Liebeslied, dessen Melodien so rasant und forsch sind wie das dazugehörige Musikvideo. Darin rennt die Schauspielerin Leonie Rabl vor einem Giftpfeil davon, der zuvor in einen Liebestrank getunkt wurde. Wiens Straßen werden von Laternen und Autoscheinwerfern aus der Dunkelheit gerissen, sie rennt durch Parkhäuser, U-Bahnunterführungen und über Brücken, die Lichter der Stadt verschmelzen im Sprint, bis die Ausdauer schlapp macht und Davonlaufen zwecklos ist. Auf offener Straße dreht Leonie sich um und lässt den Pfeil sie mitten ins Herz treffen. Ab da werden die Bilder schwarzweiß und die Schnitte disruptiv, das ungeschönte Verlangen nach menschlicher Nähe und Exzess erblüht in seiner rohesten Form.
Unkrautrock
Roh und keiner Richtung folgend sprießt auch das Unkraut durch die Fugen; sprießen die Nachtschwärmer*innen vor der Disco. Das »Unkraut«-Skit klingt wie ein kurzes Hörspiel übers Frische-Luft-Schnappen, während überfüllte Konzerthallen energetisch aufheizen. Hinter zitternden Wänden dringt ein dumpfer Bass hindurch, entschlossene Schritte steigen Stiegen empor und ignorieren freudige Zurufe aus der anderen Seite des Raums. Die Tür nach draußen wird zugeknallt, doch drinnen geht die Party weiter. Und zwar mit »Diskothek«. Es ist eine Hymne an den sicheren Hafen, der Ausflucht aus dem Alltag, der Wirklichkeit und des Gesehenwerdens verspricht. Gemeinsam allein sein, mit wildfremden Menschen, die sich eng an eng aneinanderschmiegen und dasselbe wollen. Im dazugehörigen Musikvideo, zu dem (so wie bei fast allen Videos von Efeu) Clemens Niehl Regie geführt hat, ist die Band im Boden eingelassen und schaut nur mit den Oberkörpern und ihren Instrumenten aus der Tanzfläche heraus. Um sie herum wird getanzt, geschmust und getrunken. Ungefähr so wird man sich den Werdegang dieser Freundesgruppe wohl vorstellen können: weg vom Land, hinein in die Großstadt und verschlungen werden von dessen wilden Treiben. Bloß ertrinken Efeu nicht im Rausch, sondern dirigieren ihn mit ihrer Musik als Ventil.
Auf den darauffolgenden Titeln werden Zustände innerer Zerrissenheit und unerwiderter Liebe kraftvoll vertont. »Nie wieder« ist eine bittersüße Ballade mit fesselndem E-Gitarrenriff, »Aggressive Melancholie« beschreibt die Abgrenzung von einer konservativen Gesellschaft und »Im Sand« bietet den Nährboden für ein stimmgewaltiges Zusammenspiel zwischen Leadsänger July und dem Feature-Gast Salò. Die darauffolgende Single »Satellit« trägt Efeus Handschrift besonders deutlich. Melodien, die sich anfühlen, als würde man ein Fenster aufreißen, breiten sich euphorisch in der Brust aus und kaschieren die Sehnsucht in den Lyrics. Wie so oft schaffen es die Musiker, negative Gefühle in tanzbare Sounds zu verpacken und die Ambivalenz von jungem Herzschmerz auszudrücken. Auf der einen Seite das unstillbare Verlangen nach einem Menschen, auf der anderen das weggestoßen, tief verletzt und kompromisslos Aus-dem-Leben-gestrichen-Werden. Während Liebeskummer meist lähmend und deprimierend wirkt, interpretieren Efeu ihn oftmals als eine Art Antrieb, sich mit Anlauf und kopfüber tiefer ins Verderben zu stürzen. Wenn sich die Gedanken schon im Kreis drehen, kann der Körper ja gleich mitziehen.
Ruhe nach dem Sturm
Doch egal, wie ausgiebig getanzt und getrunken wird, irgendwann landet man doch wieder in den eigenen vier trostlosen Wänden. Ohne jede Spur der fröhlichen Nachtgestalten, denen man noch wenige Stunden zuvor seine Lebensgeschichte anvertraut hat, dafür allein mit sich selbst und dem Vermissen. Das »November«-Skit leitet ihn ein, den melancholischen Herbst, mit verhallenden E-Gitarrenklängen und sphärischen Synths. Im Hintergrund hört man noch, wie ein Glas eingeschüttet wird. Doch der Morgen danach schreit nur mehr nach »Kaffee«. Efeu trinken ihn schwarz, unverfälscht und ohne Süße. Er spült den verrauchten Hals aus und haucht schweren Gliedern eine Spur erzwungene Lebendigkeit ein, die dann doch nur in Herzrasen und Erschöpfung ausartet.
Der Spaß droht vorbei zu sein; die Narben, die auf »Lass los« gezählt wurden, sind auf »Teer und Gras« nicht mehr schön und von den energischen Gitarren-, Bass- und Drum-Sounds ist ganz am Schluss auch nichts mehr übrig. Nicht mal von Julys Stimme. Denn »Kreise«, der letzte Song des Albums, wird vom Gitarristen Joey gesungen. Begleitet wird er dabei von kaum mehr als einer akustischen Gitarre. Es sind ruhige, behutsame Klänge, zu denen man die Vorhänge zuziehen, sich wieder zudecken und von der Sturmzeit erholen kann, die sowohl in Bars als auch im eigenen Kopf herrscht. Somit kommt »Egal« zu einem intimen Ende, nachdem es zuvor gerne die Ellbogen ausgefahren hat. Es ist ein Album, das die heiteren Anfänge von »Alle« mit dem unbändigen Sound von »Kein Glanz« verbindet und sich tollwütig in alle Richtungen entfaltet. Der Release wird am 30. Oktober 2024 im Flucc gefeiert, mit Unterstützung von Topsy Turvy und Die Partie. Es gibt also dreifachen Grund zum Tanzen und Feiern!