14 Stunden später und 2000 Meter tiefer beginnt die Predigt des 37-Jährigen US-Amerikaners. Der frühere »Sixteen Horsepower«-Frontman (die Band wurde im Frühjahr aufgelöst) reitet nun seinen eigenen Hengst und wird dabei live von lediglich zwei weiteren Mitstreitern unterstützt. Zum einen ist es der experimentierfreudige Schlagzeuger Ordy Garrison, zum anderen der blutjunge belgische Gitarrist Peter van Laerhoven. David Eugene Edwards selbst bedient ebenfalls allerlei Gitarren und gelegentlich auch mal ein Banjo. Nein, Bass wird keiner gebraucht. Stattdessen dröhnen und wummern die Gitarren satt und mit voller Breitseite.
Der Großteil des Sets besteht aus Nummern des im letzten Herbst erschienenen Albums
»Consider The Birds«, doch live wird die eher fragile und akustische Produktion in ein flammendes Rockmeer verwandelt. Einige Songs vom »Woven Hand«-Debüt, welches in alternativer Version als Soundtrack zu Wim Vandekeybus\‘ Tanzperformance »Blush« diente, und eine handvoll »Sixteen Horsepower«-Stücke komplettieren das spannende und dichte Konzertprogramm.
Die tiefe Religiosität scheint bei Edwards stärker denn je als Schaffenstriebfeder zu dienen. »Der große Blonde« zischt und faucht, er beschwört und baut mit seiner eigentümlichen, kraftvollen und mitunter sogar angsteinflößenden Stimme ganze Tempelanlagen auf. Er hält fast stetig die Augen geschlossen und reißt sie kurz weit auf, als ob ihn das göttliche Licht sehend machen würde. Oder sieht er gar das Höllenfeuer? Er spukt und leidet, er beobachtet und betet.
Die Lieder greifen oft ineinader über und das Publikum ist so gebannt und gefesselt, dass es keinerlei Ambitionen zeigt, diese Songschnittstellen mit Applaus zu vermischen. Nur wenn kein noch so kleines Zischen mehr aus den Boxen kommt, prasselt der Applaus wie schwerer Regen auf die Protagonisten herab.
Die Schattenseiten eines verwüsteten Amerika, menschliche Unzulänglichkeiten und die Kraft von Liebe und Tod bestimmen den Inhalt von Edwards‘ Schaffen. Der Konflikt zwischen irdischer Rache und göttlicher Gnade ufert als monumentaler Todescountry aus. Höhepunkt des Konzerts ist eine fast 15-minütige Interpretation eines Traditionals namens »Down in Yon Forest« (nicht zu vergleichen mit der Albumversion), bei dem der harte Beat und die immer wiederkehrende gleiche Akkordfolge eine Dichte und Kraft erzeugen, die wahrhaftig als messianische Rockbotschaft eines gefallenen Engels interpretiert werden kann. Hier trumpft auch der Gitarrist an Edwards Seite, Peter van Laerhoven, groß auf und feuert die Akkorde im Geiste alter Blueslegenden, aber im Stile gegenwärtiger Notwendigkeit ab. Nach mehreren Zugaben endet die Rock’n’Roll-Messe ruhig und verlassen am Banjo.
Vielleicht wird die eben geformte »Woven Hand-Band« sogar zukünftig im Studio Einzug halten. Es wird jedenfalls – wie ich aus erster Hand erfahren durfte – sogar bei dieser Minitour bereits gemeinsam nach neuem Material Ausschau gehalten.
Der Kontrast, den ich an diesem Tage zwischen einer scheinbar unberührten, überwältigenden Natur und einer überfüllten, stickigen und verschwitzten Stadtbar wahrnahm, hätte größer nicht sein können. Die Erfüllung, die mir dabei jeweils zu Teil wurde, auch nicht.