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Alles oder Nichts

Glücksfälle aus Deutschland: Der junge Regisseur Fatih Akin erzählt in seinem neuesten Film Gegen die Wand kompromisslos vom Leben zwischen Dönerbude und Alki-Stube. Werner Herzogs beeindruckender neuer Film Rad der Zeit dokumentiert das buddhistisches Kalachakra-Ritual.

Gegen die Wand (R: Fatih Akin, D 2004)
Voller Wucht: mit dem Auto frontal gegen die Wand. So beginnt der Siegerfilm der diesjährigen Berlinale, ein schillerndes, rauschhaftes Liebesdrama zweier lost souls. Cahit (Birol Ünel), der ziemlich fertig dreinschauende Amoklenker, hat sein Leben bei reichlich Bier und Nikotin an Hamburgs Theken abgestellt. Sibel (ein Debüt im Charakterfach: Sibel Kekilli) ist das krasse Gegenteil davon: jung, rastlos, unersättlich. Beide sind türkischer Abstammung, aber in Deutschland aufgewachsen. Beide haben einen Selbstmordversuch hinter sich – Sibel hat sich die Pulsadern geöffnet, als letzte Konsequenz, um sich aus den Fesseln ihrer rigiden, traditionell verblendeten Familie zu befreien. Und beide landen in derselben Psychoklinik. Was die zwei bald verbinden wird: eine Scheinehe, von Sibel initiiert, soll ihr als Deckmantel für ihren Hunger nach Leben „Tanzen und Ficken, nicht nur mit einem Typen“ dienen. Das Problem dabei: in Cahits Existenz scheint sich wieder Sinn einzuschleichen, er verliebt sich in seine halbe Braut. Womit die eigentliche Tragödie ihren Anfang nimmt.
Bildgewaltig und in jeder Hinsicht gewalttätig kommt Akins bislang vierter Spielfilm daher, konfrontiert sein Publikum mit einem schonungslosen Reigen aus Leidenschaft und Schmerz, aus Sehnsucht und Selbstzerstörung. Gegen die Wand will kein Aufklärungskino sein, trachtet nicht nach der großen Verständigungs-Geste im cultural clash. Akin, selbst türkischer Herkunft und in Hamburg aufgewachsen, baut auf seine Milieukenntnis, setzt neben seiner Vorliebe für den melodramatischen Affekt auf unangestrengten Humor, vor allem dort, wo sich seine Protagonisten mit überholtem türkischen Brauchtum herumschlagen müssen. Das schafft die nötige Distanz und bringt sein persönliches Anliegen besser zur Geltung – nämlich: von der Drangsal der Tradition respektive der Konvention zu erzählen. Nur das als wiederkehrendes Motiv eingeflochtene Folklore-Orchester, welches der Geschichte eine allegorische Dimension beifügen soll, wirkt ein wenig betulich. Über diese kleine Schwachstelle, wie auch über die etwas unschlüssige Figurenpsychologie sieht man aber gerne hinweg, nicht zuletzt dank der fulminant agierenden Hauptakteure Ünel und Kekilli, die der ausladenden Rock’n’Roll-Attitüde dieses Films die passenden Gesichter verleihen.
Lukas Maurer
Derzeit im Kino: Atelier, Filmcasino
>> www.gegendiewand.de

Rad der Zeit (Wheel Of Time, R: Werner Herzog, D 2003)
Werner Herzog ist ein Reisender. Das ist durch seine Freundschaft zum reisenden Autor Bruce Chatwin und durch seinen Filme bestens belegt. Herzogs jüngster Film hält das Rad der Zeit nicht an, sondern beschäftigt sich mit dem Buddhismus – mit den Kalachakren im indischen Bodh-Gaya (2000) und in Graz (2002). Das Kalachakra ist ein wichtiges buddhistisches Einweihungs-Ritual.
Erstmals agiert Herzog selbst als Mann mit der Kamera – in Tibet und in Indien. Er trifft und filmt den Dalai Lama. Seine Begegnungen mit buddhistischen Mönchen sind beeindruckende Zeugnisse von gelebter Spiritualität: Herzog interviewt einen Mönch, der zum Kalachakra im indischen Bodh-Gaya gekommen ist – mehr als 3000 Kilometer zu Fuß, sich alle paar Schritte auf den Boden werfend und mit der Stirn den Boden berührend, auf diese Weise die Erde vermessend: Der Mönch stammt aus einem so abgelegenen Tal Tibets, dass es zweier Übersetzungsschritte bedarf, um das Gesagte ins Hochtibetische und danach ins Englische weiter zu übersetzen.
In Bodh-Gaya hat Buddha selbst unter einem Baum meditiert. „Jetzt da ich
bei dem Baum angelangt bin, spüre ich große Gelassenheit“
, sagt der tibetische Mönch. „Ich kenne die Erde“, sagt er noch. Werner Herzog auch. Empfehlung.
Jürgen Plank
Demnächst in den heimischen Kinos.
>> www.wernerherzog.com
>> www.filmladen.at

Home / Musik / Artikel

Text
Jürgen Plank, Lukas Maurer

Veröffentlichung
15.04.2004

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