Bevor wir über die Musik sprechen, müssen wir uns erst wieder einmal über die widrigen Begleitumstände unterhalten. Wie allseits bekannt und weitgehend akzeptiert, suggerieren die Streaming-Dienste dieser Welt Allverfügbarkeit bei maximaler Bequemlichkeit zu kleinen Preisen (und entsprechend geringem finanziellem Zugewinnen für die Künstler*innen), aber wenn die Streaming-Dienste kaputtgehen (meinetwegen) oder (noch besser) Musiker*innen aus guten und nachvollziehbaren Gründen ihre Veröffentlichungen dort nicht (mehr) für ’n Appel und ’n Ei zur Verfügung stellen wollen, dann – puff! – weg ist die Musik. Andererseits, ja, ich weiß, man muss und kann nicht alles zuhause stehen haben, woher den Platz bzw. das Geld nehmen? Denn wenn ich das Album von Alex Archibald tatsächlich aus dem fernen Kanada an die heimischen Gestade liefern lasse, stehe ich am Ende inkl. Zoll und Zustellungsgebühr vor 55 Euro Gesamtkosten. »100 Mark!«, entfährt es meinem inneren Helmut Kohl kopfschüttelnd. Mut zur Lücke wird zukünftig und vermehrt das Gebot der Stunde lauten müssen bzw. man muss sich vielleicht grundsätzlich überlegen, ob und wie lange man den ganzen Quatsch noch mitmachen will und kann. So, das als kurze Reflexion auf die mitunter bitteren finanziellen Perspektiven und weiteren transnationalen Tamtam im Zusammenhang mit dem, was früher unschuldig »Platten kaufen« genannt wurde. Zur Musik: In der Tradition des American Primitive spielt Alex Archibald auf »Waste Knot« Gitarre und hält seine Kompositionen dabei eher kurz. In Vancouver sitzt er und ich habe bisher nicht zur Kenntnis genommen, dass er für musikalische Reisen oder Zusammenarbeiten die kanadische Westküste hinter sich gelassen hätte. Ob ihn das noch zu einer Art Geheimtipp macht? Vielleicht, vielleicht aber auch nicht. Denn wer seinem Interesse am American Primitive von John Fahey bis Jack Rose und darüber hinaus folgt und regelmäßig nach neuen Veröffentlichungen sucht, der mag schon über Alex Archibald gestolpert sein. In diese Ahnenreihe und neben Zeitgenossen wie Glenn Jones, Joseph Allred oder Liam Grant kann man den Kanadier bedenkenlos stellen. Bemerkenswert ist dabei, dass mit Blick auf die unüberschaubar große Zahl an Veröffentlichungen von instrumentaler Gitarrenmusik die jeweils nächste, im vorliegenden Fall »Waste Knot«, immer noch interessant genug erscheint. Wenn’s gut gemacht ist, ist es eben gut gemacht, und erstaunlich bleibt, was aus einem 6- oder 12-saitigen Instrument an Melodien noch herauszuholen ist – auch nach all den Jahrzehnten, die das Genre bereits auf dem Buckel hat. Sicher, die Kompositionen von Alex Archibald klingen auch vertraut, wenn man in seinem Leben schon ein paar »Death Chants, Breakdowns & Military Waltzes« gehört hat. Die Stilistik evoziert umgehend Erinnerung an bereits Bekanntes, aber zum einen ist das Genre des American Primitive auch per Definition ein nostalgisches und zum anderen ist das alles sowieso nicht schlimm, denn an so einer Gitarre bzw. Gitarrenplatte kann man sich gut festhalten und orientieren: Egal, wie sehr es mal wieder drunter und drüber gehen mag, in der Welt und zuhause, die Gitarre, die Musik, die Schallplatten sind da, zum Glück. Je nach zu meisterndem Alltag ist das vielleicht nur ein kleiner Trost, aber immerhin. Musik, wie Alex Archibald sie macht, ist Pausenmusik. Die gemächlich mäandernden Kompositionen auf »Waste Knot« stehen im Kontrast zu allem, was Hektik signalisiert, und laden zum Luftholen und Verschnaufen ein – und einer solchen Einladung immer wieder einmal zu folgen, das schadet nicht, im Gegenteil. Da spielt es dann auch letztlich eine untergeordnete Rolle, ob man eine digitale Quelle anzapft, um sich zu erfrischen.
Alex Archibald
»Waste Knot«
Glad Tidings
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