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Aaron-Carl

Uncloseted

Wallshaker Music

Auf »Homoerotic«, einem der zentralen Stücke von »Uncloseted« und Fortsetzung des schroffen, und zugleich selbstvergessenen Booty-Something-Hits »Down« von 1999, entwirft Aaron Carl einen spermaquatisch-phantasmatischen Dark Room mit elektrifizierten (Männer-)Körpern und jeder Menge geheimer Hi-Tech-Schiebetüren. Auch wenn die äußerst expliziten Lyrics die Geschlechterverhältnisse mehr als klar machen, vermögen sie extratracktuell an einer anderen Stelle der Funk/Disco/ProtoHouse-History Verwirrung zu stiften: War auf Prince‘ »Erotic City« sexuelle Enthaltsamkeit vor der Ehe womöglich gar nicht das Thema? Und kam folglich jenes an ihn gerichtete, willkommene Angebot »If We Cannot Make Babies/Maybe We Can Make Some Time« auch gar nicht von einer Frauen-, sondern einer hohen Männerstimme? (Oder war, um noch einen Schritt weiter zu gehen, die erotische Stadt als »destination of desire« vielleicht nichts anderes als eine narzisstische [Spiegel-]Phantasie, die »Erotic City« also Prince‘ eigener Körper?) Wer auf »Uncloseted« ähnlich geartete (Pop-)Konfusionen sucht, wird – siehe Titel – eher sehr enttäuscht. Ein »Konzeptalbum darüber, wie Schwule so ticken« ist die Platte des ehemaligen Protegés vom Underground Resistance-Chef Mike Banks all dem campen Divaslang zum Trotz nicht. Was jedoch nicht heißt, dass neben dem universal gültigen (egal, ob nun in afroamerikanischen, queeren, weißen, westlich-bürgerlichen, islamischen oder marsianischen Communities verhandelten) Thema zwischenmenschliche Liebe nicht auch Stücke vorkämen, die sich gegen all jene richten, die Homosexuelle diffamieren und sie Kontrollstrukturen unterwerfen wollen. Dabei wird das »Hard« vor dem House zu einem militanten Komplizen für Aaron-Carls Anliegen. Tribalistische Beat-Patterns, Gewitterwolken, überlebensgroße Bassdrums und Watschen austeilende Breaks geben seiner Forderung nach »Frei-Sein« besondere Vehemenz.
Spannend wird das hierzulande noch vertriebslose »Uncloseted« aber vor allem dann, wenn es das House-Terrain verlässt. Zwar versteckt sich dann hinter Titeln wie »Coming Out Story [b.i.t.c.h.]« oder »The Boot — Revisited« kein Eingriff in die heterosexuelle Matrix von Detroit Bass, dafür gibt es ein Wiedersehen mit timbalandartigem Cyber-R&B der Endneunziger, hier mit einem etwas unterproduzierten, piratenradiokompatiblen Einschlag. Wobei insbesondere Frauen wie Missy Elliott, Destiny’s Child, Aaliyah oder auch Kelis, und deren inhaltliche Positionen, die von einem weisen und, wenn nötig, bitchhaftem Selbstbewusstsein handeln, auch als Rollenmodelle für Aaron-Carls queeren R&B fungieren.
Übrigens macht Aaron-Carls Offensive und sein Gespür für Albumdramaturgie ihn zu einem der potenziellen Produzenten des nie entstandenen Langwerks zu George Michaels Befreiungsschlag »Outside«. Bleibt nur die Frage, wie sich Michaels verschmitzt-subtile Pop-Persona mit Aaron-Carls direkter, »realpolitischer« Herangehensweise vertragen würde…

>> www.aaroncarl.com

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Text
Branko Zindovic

Veröffentlichung
27.04.2004

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