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Otomo Yoshihide

»I'm not a DJ, I'm playing the turntables.«
Vom Turntablisten zum Komponisten, von der Integrationsfigur zum Arrangeur.

Es ist ein vertrautes Bild der späten Neunziger geworden: Der erste Blick zeigt eine glatte, undurchlässige Oberfläche, die den Betrachter auf Distanz hält, fast teilnahmslos seine Anwesenheit duldet, um ihn ein Augenblinzeln später aufzusaugen, digital zu konvertieren und wieder auszustoßen. Dann geht das Spiel von neuem los, die Spannung steigt und nur die Protagonisten hinter ihren Maschinen wissen, wie und ob es überhaupt weitergeht. Geht es, dann deuten sie das so zart- schummrig an, dass das davor sitzende Publikum ??? vorerst schwelgerisch den Arm zur Brust gewinkelt und die Hand auf die Wange gelegt ??? alsbald seine Funktion als Widerpart vergisst und irgendwann zwischen 2. und 3. Satz feststellt, dass der Wiener Musikverein fern, die nächste Theke aber nur fünf Schritte entfernt liegt.

Die Zeiten des kollektiven Krachmachens und sich dissident Austobens ??? sie auf der Bühne, wir davor ??? sind rar geworden. Eine schon länger spürbare Akzentverschiebung ??? weg vom spontanen (auch körperlich nachvollziehbaren) Agieren und Reagieren hin zu einem kalkuliertem Organisieren und Vorausplanen ??? bestätigt auch der Auftritt von Filament im Wiener »Rhiz«: Otomo Yoshihide und Sachiko Matsubara sitzen konzentriert vor ihren Apparaten, mit prüfenden Blicken wird ein Knöpfchen hier gedreht ein anderes dort gedrückt, neue Prozesse werden behutsam vorprogrammiert. In die Klangkulisse des Gürtelverkehrs und der U6 eingebettet ist das »Rhiz« ein idealer Ort eine Verbindung zu dem Architekten und Komponisten Iannis Xenakis herzustellen, dem Otomo zu Beginn des Konzertes Tribut zollt. Sachikos Reaktion ist ebenso streng formal und mathematisch, wie Otomos Vorgabe. Die stoische Eleganz ihrer Sinuswellen bietet ihm eine Plattform, zu der er nach kurzen Ausflügen immer wieder zurückkehrt. Erst langsam und mit minimalen Schritten befreien sich beide aus ihrem selbst gestrickten Korsett, in dem sie sich scheinbar gar nicht so unwohl fühlten, bietet es doch Ruhe und Kontemplation.

»Die Musik komponiert sich selbst« (John Cage über die »Etudes Australes«)
Filament steht eben weniger für lustvolles Reizüberfluten, als Akt der Befreiung, sondern arbeitet sich ausgehend von einem Minimum an Information an einem Grundgerüst entlang, das langsam wächst ohne je groß werden zu wollen. Nicht mehr die Verifikation der alten japanischen Noise- Gleichung »too much information = no information« steht im Vordergrund, sondern Texturen. Auch der performative Aspekt der Musik ist nicht wichtig, sondern der Akt des bewussten Hörens. Filament sieht sich daher als ein Projekt, das, so Otomo, versucht von »körperlicher Musik« wegzukommen.
»Gewöhnlich war meine Musik sehr körperlich. Wenn ich die Gitarre spielte war das ein stark physischer Vorgang, bei Filament ist es aber anders, Sachiko spielt den Sampler und ich die Turntables. Unsere Musik fühlt sich jetzt so an , als würden die Klänge von selbst entstehen. Natürlich kann man auch diese Instrumente mit starken körperlichen Einsatz spielen, was aber letztendlich ein Irrglaube ist.« Eine Erkenntnis, die viel Schweiß kostete.

Jazz- Kissa

Bob Ostertag, Carl Stone, Jon Rose, David Moss, . . . endlos fortsetzen könnte man die Liste der Kollaborationen, die Otomo in den letzten Jahren zu einem Aushängeschild japanischer Experimentierfreudigkeit werden ließen. Immer auf der Suche nach neuen Spannungsfeldern führt es ihn, mit dem Laptop in der einen Hand den Plattenspieler in der anderen, von Tokyo nach Moskau über Wien nach Montreal ( zu Martin Tétreault, mit dem er eben »21 situations« entwickelte) wieder zurück nach Tokyo.

Aufgewachsen in den »Jazz Kissas«, eine Art Café, in denen die studentische Avantgarde- Szene der 70er Jahre ihre Nachmittage mit Platten hören, 8mm- Vorführungen und dem Lesen politischer Literatur oder Mangas verbrachte, kam er früh mit improvisierter Musik in Berührung. Da konnte man oft bei Sprechverbot Klängen von Coleman und Mingus ebenso lauschen wie bis dato noch nie gehörte Stücke von Derek Bailey. Nach einem kurzen Ausflug in die Wissenschaft (»Ich habe mich vor zwanzig Jahren mit den verschiedenen Phasen japanischer Pop- Musik, aber auch chinesischer Revolutionsmusik beschäftigt. Ich versuchte die Verbindung von Musik und Geschichte herzustellen, was mich sehr beeinflusst hat.«) schlägt er in den 80ern mit Plattenspielern, Kassettenrecordern, Radios und Gitarren seinen eigenen Weg ein. Erste Auftritte folgen, nach der Gründung von »ground-0«, später »Ground Zero«, auch außerhalb Japans. Zu Beginn der 90er zieht es ihn zum Film, wo er unter anderem für Yim Hos »Kitchen« den Soundtrack schreibt. Ein roter Faden, der sich über all die Jahre durch seine Karriere spinnt, bleibt dabei seine Liebe zu Plattenspielern.

»I’m not a DJ, I’m playing the turntables«

Beeinflusst von der Arbeit Christian Marclays geht es Otomo darum, den Plattenspieler als eigenständiges Instrument in den Prozess des Musikschaffens zu integrieren. Anders als DJs, die den Plattenspieler bloß als drehbaren Untersatz für ihre Mischkünste zweckbenutzen, stellt er ( »I’m not a DJ, I’m playing the turntables«) den Informationsträger über die Information. Die hohe Kunst des Platten- und Plattenspieler- Manipulierens, »Turntablism« genannt, das collagenartige Zusammensetzen von »Originalen«, ohne dass es notwendigerweise zu repetitiven Mustern wie beim DJing kommen muss, soll immer wieder den Stoff, in dem die Klänge eingewoben sind, fühl- und hörbar machen. Die Information selbst wird einem intuitiven Ausleseverfahren unterzogen, um sie dann mechanisch zu samplen.
»Ein Hauptfaktor meiner Musik bleibt aber die Improvisation.«, vergisst Otomo nicht zu betonen.
Nur wenn der Zufall mitspielt, bleibt die Musik eine Herausforderung. Auf diese Weise behält sich er sich vor, exakt auf Stimmungen und Situationen reagieren zu können, die sich meist als Erinnerungen in seinen Plattenscherben eingeschweißt entstellt haben.

Memory Disorder

Autorenschaft bleibt bis in die Gegenwart ein zentrales Thema im Werk des Japaners, dem er sich unter anderem im »Sampling Virus Project« widmete: Samples werden in Musikstücke eingefügt, die dann unter Musikern ausgetauscht werden. Sie verhalten sich dabei ähnlich wie Computer- Viren, indem sie in die Originalstücke eindringen, sich fortpflanzen und die ursprüngliche Komposition von innen aushöhlen, bis sie in sich zusammenstürzt. Über ein verwandtes Projekt mit Carl Stone (»Monogatari: Amino Argot«) erzählt er:
»Der Schwerpunkt war die Frage: Wer ist eigentlich ein Komponist? Mit dem Samplen hat sich Musikmachen grundlegend verändert. Unsere Idee war es, das Sample als eine Art Virus zu sehen. Der Virus hat viel Information und er hat ein Gedächtnis. Wenn er auf etwas stößt, verändert er seine und dessen Information. Carl Stone und ich versuchten uns mit Viren gegenseitig zu beeinflussen, wie zwei einander gegenübergestellte Spiegel

Mottomo Otomo

Beim diesjährigen »music unlimited« im »Schlachthof Wels« erfüllt sich Otomo den Wunsch einmal ein Festival nach Lust und Laune kuratieren zu dürfen, was angesichts des vorliegenden Programms sehr erfolgversprechend klingt. Nachdem man in den vergangenen Jahren vor allem Musikerinnen und Musiker aus dem Umfeld der New Yorker knitting factory im Zweijahres – Abstand in die Programmgestaltung einbezogen hatte, lag es auf der Hand einmal einen Blick Richtung Osten zu werfen, wobei man sich – kein Festival ohne Motto -selbstbewusst auf »mottomo otomo« einigte, was auf japanisch etwa »Natürlich Otomo!« heißt. Viel Unbekanntes wird es da zu sehen geben, noch mehr zu hören. So stützt sich der eben erst vi
erzig Jahre alt gewordene Japaner bei seiner Auswahl hauptsächlich auf Künstler der Tokioter Szene, die wahrscheinlich nur hartgesottenen Avantgarde – Kennern bekannt sind. Otomo: »Ich möchte sie einem europäischen Publikum vorstellen. Wenige von ihnen haben bisher auf einem Festival am Kontinent gespielt. Viele kennen Keji Haino oder die Boredoms, aber es gibt auch andere japanische Musiker. Ich wollte einfach neue Gesichter zeigen, die meiner Meinung nach interessante Klänge produzieren.« Neben Novo Tono und Mitgliedern des New Jazz Quintetts wird auch die energische Extrem-Krach- Band Incapacipants das erste Mal ihre Füße auf europäisches Festivalterrain setzen.

Mein liebes Tagebuch!

Gespannt darf man auf die deutschsprachige Erstaufführung von »mira ni narumade« sein, die eine weitere Facette Otomos, die des Komponisten und Arrangeurs, zeigt. Die semi – dokumentarische Erzählung des Schriftstellers Shimada Masahiko beschreibt – basierend auf einem gefundenen Tagebuch – die Geschichte eines Selbstmordes in einem Land, in dem der Freitod zu einer Formalität gehört wie die Teezeremonie. Das Tagebuch, das unversehrt neben der Leiche eines Mannes im mittleren Alter in einer Holzhütte in den Wäldern Japans lag,, erzählt in 62 Eintragungen den quälenden Todeskampf seines Verfassers, der sich ins Grab hungern wollte. Mit dem Schwinden seiner physischen Kräfte, ließ aber keineswegs seine Fähigkeit nach, über sich und seine Umwelt zu reflektieren, da er bis zur letzten Eintragung penibel den Prozess des Sterbens beschrieb, ohne auch nur einmal das Motiv seines Freitodes zu erwähnen.

Scheinbar angetan von der Adaption des Textes durch Masahiko entschloss sich Otomo, daraus ein Radiostück zu machen, das 1994 uraufgeführt wurde und bei »unlimited 99«, unter anderem mit traditionellen japanischen Instrumenten orchestriert, zu hören sein wird. Kritisch vergleicht er den Tod des Mannes und den Umstand, dass der Mann ein Tagebuch führte, um seine Eindrücke zu dokumentieren, mit dem Wesen der Kunst des 20. Jahrhunderts: Erst die Autodestruktion gilt als Ausdruck absoluter Selbstentäußerung des Individuums, die immer nur eine Einbahnstraße sein kann. Dieser Mann stellt nur ein erschreckendes Extrem dar, dem Otomo musikalisch antworten möchte ??? und das sicher nicht ohne den giggle factor ( © by Derek Bailey), die Fähigkeit japanischer Musiker dramatische Inhalte vollkommen respekt- bzw. geschmacklos ins Absurde zu wenden. Ob er in Wels, wie schon einmal, den Eintragungen des Mannes ebenfalls 62 Tagebuch- Aufzeichnungen eines Mädchens, das Diät machte, um in ihren Badeanzug zu passen, gegenüberstellt, wird zu hören sein.

Check out: Review des Festivalsamplers

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Text
Peter Nachtnebel

Veröffentlichung
30.09.1999

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