Kammerflimmer Kollektief nennt sich das Musik – Projekt von Thomas Weber. Free Jazz – samples vermischen sich mit Trip – Hop, Elektronik und Ambient zu einem aufwühlend – melancholischen, das Erregungsleitungssystem gehörig irritierenden Wanderweg in Sound.
Schon der Name führt zu Fehlschlüßen. Kammerflimmer Kollektief klingt nach Gruppe, Band oder Ensemble, aber außer Thomas Weber zählte – bis vor kurzem zumindest – sonst niemand zum Kammerflimmer Kollektief, obwohl es schon seit Mitte der neunziger Jahre existiert. Damals begann Weber, mit Computer und Sampler ausgerüstet, aus Free – Jazz Partikeln, Trip und Hip – Hop samples und Ambient – Klangteppichen an seiner Musik herumzubasteln und schaffte es, aus heterogenem Klangmaterial, homogen und organisch wirkende songs zu konstruieren.
Vor allem die Tatsache, das Jazz, respektive Free Jazz, gesampelt und mit Hilfe von Maschinen umgearbeitet wurde, läßt aufhorchen. Free Jazz, improvisierte und expressive Musik also, unmittelbarer emotionaler musikalischer Ausdruck und somit letzte noch mögliche Zitadelle des „Authentischen“, wird beim Kammerflimmer Kollektief synthetisiert. Aus authentischem Input wird synthetischer Output, gewissermaßen.
Damit aber nicht genug. Seit kurzem gibt es das Kammerflimmer Kollektief auch als wirkliches, real existierendes Kollektiv, mit Saxophon, Kontrabass, Schlagzeug, Synthesizer, Gitarre und Violine. Solcherart interpretiert nun das Kollektiv Kammerflimmer Kollektief Stücke, die zuvor von Thomas Weber Kammerflimmer Kollektief am Computer generiert wurden, live. Gesampelte, synthetisierte Spontaneität wird damit wiederum rückübersetzt in soetwas ähnliches wie ihre ursprüngliche Form, oder sagen wir lieber Daseinsform, um keine Mißverständnisse aufkommen zu lassen.
Wie das klingt ist auf den beiden CD`s „Mäander – Wanderwege in Sound“ und „Incommunicado – Wanderwege in Sound pt.II“ nachzuhören, beide auf dem Weilheimer Label Peyola erschienen. „Mäander“ beinhaltet die Stücke, die Thomas Weber zwischen 1996 und 1999 komponiert hat, „Incommunicado“ die Live Realisationen/Improvisationen von zum Teil auf „Mäander“ erschienenen Stücken.
Kammerflimmer Kollektief läßt zunächst einmal auf Grund des Namens aufhorchen. Wie kam es dazu?
Kammerflimmern: „Wogende Bewegungen der Herzkammern infolge ungeordneter, ungleichzeitiger Zusammenziehung der einzelnen Muskelfasern; die Übergänge von tachykarder Extrasystolie über Kammerflattern zu Kammerflimmern sind fließend.“
Kollektief ist niederländisch für Kollektiv………..Kollektief heißt vielleicht auch : in too deep.
Wie kamst du zum sampeln von Jazz, zur Jazzmusik im allgemeinen, wie verlief da deine musikalische Entwicklung?
Keine Ahnung. Es gibt keine Musik, die direkt als Vorbild dient oder gedient hat- irgendsowas wie einen blueprint – sondern „nur“ Musik, die mich nachhaltig beeindruckt und die mir einen Anstoß gegeben hat. Im Moment z.B. Bob Dylan , Joni Mitchell, Bob Marley, Bley/Peacock/Motian, John Cale John Zorn undundund———-
Elektronische Musik ist nicht wirklich eine Inspiration für mich; das liegt aber nicht an irgendeiner Hochnäsigkeit, sondern eher an meiner Unkenntnis und/oder persönlichen Vorlieben. Manche aktuelle HipHop/R’nB-Produktion (Destiny’s Child, Gang Starr, Kelis, Timbaland et al) erscheint mir soundwise avancierter als viele sogenannte electronica-Produktionen.
Auf der Kammerflimmer – Homepage wird Ornette Coleman zitiert. Es geht um die „Mißachtung territorialer Integrität“ steht dort. Unter diesem Aspekt: Welchem Genre würdest du die Musik des Kammerflimmer – Kollektiefs am ehesten zuordnen?
Das ist natürlich eine grundsätzliche Frage. Was ist E-Musik, was ist U-Musik, die versucht, Sachen zu kategorisieren, die nicht kategorisiert werden wollen. Natürlich ist es kein Jazz oder auch kein Free Jazz, speziell auf Mäander, sondern eher eine Art Transformation die versucht, die gleichen energetischen Prozesse wie im Free Jazz freizusetzen. Es sind eben aber nicht nur Free Jazz Verweise auf „Mäander“, sondern auch eine Vielzahl anderer Stimmen und Stile.
Meine Arbeit am Sampler wurde zum Beispiel nicht unmaßgeblich von ähnlichen Arbeitsweisen im Hip Hop geprägt; und was soundscapes angeht, gibt es nicht viel besseres als Raekwon und Notorious B.I.G, das nur nebenbei.
Bei „incommunicado“, ist die Vorgehensweise auch nicht unbedingttraditioneller Jazzclub-Jazz, sondern eine nicht genau berechenbare Symbiosezwischen Pop(Melodien), Jazz/Improv(Freiheit) und Noise (Wahnsinn, du kannst auch Panikattacke sagen!), oder wie Derek Bailey es schön sagt: ein Fest des flüchtigen Augenblicks.
Ein allzu leichfertiger, eklektizistischer Umgang mit musikalischen Mitteln und Stilen kann manchmal auch zu einer Form von Beliebigkeit führen, die überhaupt nicht mehr in der Lage ist, musikalisch interessantes oder neues hervorzubringen. Stichwort: Postmoderne Zitierwut.
Postmodernität, Beliebigkeit, musikalische Stile und Mittel sind dann ziemilch unwichtig, if it comes straight from the heart. Es wird oft wieder erwartet, daß etwas Neues entsteht. Dabei ist die Innovation immer auch eine bestimmte Form der Auseinandersetzung mit der Tradition, positiv als Aneignung der selben oder negativ als Verweigerung oder Brechung. Die eigene Gegenwart, die außerkulturelle Wirklichkeit, fließt innerhalb dieses Prozesses dabei in der Produktion nur als Material ein. Dabei ist zwischen Musiken zu unterscheiden,die sich unausprechbar fast schon unbewußt auratisch formulieren und solche,die zur Wirklichkeit ein fast schon mimetisches Verhältnis eingehen und in ihrer Erscheinung Diskursivität entwickeln.
Welchen Status hat der Computer für dich, musikalisch? Ist der Computer für dich ein eigenständiges Instrument?
Ich sehe die Möglichkeit, Musik in der vielbeschriebenen elektronischen Einsamkeit zu entwickeln, eher als Medium, der Computer ist für mich der Kanal, mit dem die Musik nach außen geht. Vielleicht gibt es so etwas wie einen Stimmfindungsprozess von der Nachahmung zur Weiterentwicklung, miteinbedacht die eigenen Bedingungen. Der alte Traum von der perfekten Kommunikation, Verfeinerung zwischen den Polen abstrakt und gegenständlich, track/sound und song, Zufall und Glück, Kontrolle und Kontrollverlust etc…..
An der „Mäander“ CD habe ich über einen längeren Zeitraum gearbeitet, hauptsächlich am Sampler oder am Computer. Als ich gezwungen war das Projekt live zu präsentieren, fand ich es spannender die Tracks nicht superuncool knöpfchendrehenderweise zu realisieren, sondern mit einer richtigen Band (oder sagt man Ensemble, egal…) Die Musiker sollten die tracks nicht 1:1 nachspielen, sondern weiterentwickeln / modifizieren / verändern etc. Die Menschen dazu (Anne Vortisch, Heike Wendelin, Johannes Frisch, Michael Ströder, Dietrich Foth)
waren dann leichter gefunden als gedacht und so geht es.
Was bedeutet sampling für dich und deine Musik? Ist es dir wichtig, daß der Zuhörer Bezüge herstellen kann, erkennt, woher die Schnipsel kommen? Betrachtest du die samples als Referenzen?
Ich versuche die samples nicht als Zitat zu verwenden, sondern eher im Sinne einer Intertextualität: sie können auf andere Musik, auf einen anderen Kontext verweisen, treten aber eigenständig auf und reichen so über den Zitatcharakter hinaus Es ist nicht notwendig, dass man als Hörer weiß, dass gerade z.B. ein Ed Blackwell-sample läuft. Die samples ergeben in ihrer Kombination/Modifikation bestenfalls etwas anderes/eigenes.
Kontrolle und Zufall sind sowohl beim musizieren am Computer als auch bei der „klassischen“ Kollektivimprovisation wesentliche Aspekte. Wie lassen sich diese jeweils nützen und einsetzen?
Bei den
kontrollierten Elementen interessiert mich eher die Möglichkeit des Kontrollverlusts, während ich die Zufallsaspekte hingegen zu kontrollieren versuche, beides zusammen dann solange, bis es sich irgendwann gegenseitig auflöst und unwesentlich wird.
Jazz bedeutet u.a. Improvisation und das geht am Computer auch, ist aber bei mir nicht so der Fall. Bedienerproblem? Keine Ahnung. Die verschiedenen Stimmen improvisieren bei meiner Arbeit am Computer nicht wirklich miteinander, das ist eher die Simulation einer Improvisation.
Jazz meint für mich von daher auch journey into sound oder wie Albert Ayler sagte: „our music is no longer about notes“, sondern „about sounds“. Jazz war vielleicht auch einmal Nonkonformismus („nicht deren Spiel zu spielen“) ; ist natürlich ein schöner Ausdruck, im Prinzip glaube ich aber an sich nicht, daß Jazz im allgemeinen für immer und ewig nonkonformistisch sein kann, es ist vielleicht eher eine Frage, eine musikalische Identität zu finden, einerseits mit gleichbleibenden, erkennbaren Elementen innerhalb des jeweiligen Ausdrucks, anderseits aber auch mit der Möglichkeit eine notwendige Entwicklung zu forcieren, variabel zu bleiben und sich zu verändern. Die Intensität entsteht nicht durch die Komplexität der Abläufe, sondern durch den Grad an Konsequenz, mit der eine Vision – und sei sie auch noch so subjektiv – durchgesetzt wird.
Und Jazz meint für mich auch Spiritualität oder außersprachliche Kommunikation (Träumer,ich): in der Musik hörbar machen, was man sonst nicht sagen kann, eine Annäherung an einen Kommunikationsprozess, so eine Art Stimmfindungsprozess, der vielleicht nur über die vorletzten Dingen Bescheid weiß, sich gegen eine totale Analyse sträubt, aber hilft, die Welt zu verstehen, wenn auch nur subjektiv. Meine Arbeitsweise ist einerseits reflexiv, das heißt es gibt eine theoretische Konzeption zb. im Umgang mit Samples und das mitgedachte Wissen um Tradition oder die Überführung von simulierter Improvisation in „echte“ Improvisation, andererseits impliziert reflexive Kunst, das alles gedacht und auch gesagt werden kann, aber: —–vielleicht führt doch alles darüber hinaus: vielleicht kann man intuitiv zum „sprechen“ bringen, was sonst nicht gesagt werden kann…….
Von Frank Zappa glaub ich stammt der Satz: „Talking about music is like fishing about architecture“ Kannst du dem was abgewinnen.?
Wahrscheinlich ist es schon ziemlich schwierig mit so mißbrauchten und geknechten Mitteln wie dem der Sprache über außersprachliche Kommunikation zu dozieren. Mit Sicherheit ist auch die musikalische Formensprache allzuoft zu sehr aufgeladen, um Emotionen ausdrücken zu können; Bob Marley says: one good thing about music is, when it hits, you feel no pain.