Mich interessiert Pop- und Rockmusik nicht mehr. Statt dessen Free Jazz, Improvisation, diverses Experimentelles, Neue Musik. Gelegentlich klassisches, amerikanisches Songwriting. Da allerdings lässt es sich nicht immer ganz vermeiden mit Pop und Rock in Berührung zu kommen. Es traf sich gut: Auch Patti Smith war gerade nicht in der Rockszene zu finden, sondern in München zum Gespräch mit dem Regisseur Christoph Schlingensief und dem Leiter des Haus der Kunst Chris Dercon im Kontext der Ausstellung »Spuren des Geistigen«. Dort ist sie derzeit auch als bildende Künstlerin vertreten. Und war im Konzert mit dem Cellisten Adrian Brendel zu erleben.
Es ist eine Weile her, dass ich mir Musik von Patti Smith angehört hatte. Ihre kraftvollen Songs hatten mir in früheren Jahren etwas bedeutet. Sie selber lebte nach den Erfolgen ihrer Anfangsjahre zu Punkzeiten, begonnen mit dem von John Cale produzierten Album »Horses«, dann eine ganze Weile zurückgezogen. Musste den zu frühen Tod von Freunden wie Robert Mapplethorpe oder Fred Sonic Smith verkraften.
Ihre neueste Veröffentlichung der vergangenen Jahre ist von 2007 das reine Cover-Album »Twelve«. Die Auswahl: 1. »Are You Experienced?«, 2. »Everybody Wants To Rule The World«, 3. »Helpless, 4. »Gimme Shelter«, 5. »Within You Without You«, 6. »White Rabbit«, 7. »Changing Of The Guards«, 8. »The Boy In The Bubble«, 9. »Soul Kitchen«, 10. »Smells Like Teen Spirit«, 11. »Midnight Rider«, 12. »Pastime Paradise«.
Beim Gespräch im Haus der Kunst, dem Rockjargon nahe und nicht komplizierten Intellektualismen, redete sich Patti Smith in Bühnenpräsenz. Sie erzählte vom Sturm, in den sie beim Aufenthalt bei den Bayreuther Festspielen geriet, über die sie für »Die Zeit« berichtete und wo sie Schlingensief, der dort Regie führte, kennenlernte. Plauderte über Banales wie das rote Gitarrenschulterband, das das Berliner Filmfest ihr schenkte genauso wie außergewöhnliche Zwischenfälle schildernd, die sie als besonderes Zeichen sah. Etwa eine Cobra sehen, einen toten Hasen beerdigen. Die Zufälle will und hat sie immer als etwas Spezielles auf ihrer Seite. Und das Schicksal. Und woran sie glaubt ist die Imagination.
Christoph Schlingensief ging in den vergangenen Monaten, getrieben von seiner schweren Erkrankung, in seine aktuellen Inszenierungen. Sie sind mit »Eine Kirche der Angst vor dem Fremden in mir« und »Der Zwischenstand der Dinge« betitelt. Schlingensief sprach von seiner Familie, in der die Eltern die Arbeit des Sohnes nicht verstehen und die Verwandten bigott in die Kirche laufen. Vom Filmen, wenn zu Beginn das Drehbuch weggeworfen und dann improvisiert wurde und Szenen aus Filmklassikern nachgedreht wurden. Und von der von ihm als krank deklarierten Veranstaltung Politik. Als er seine Krebsproblematik erwähnte, thematisierte sich auch Sterben und Gott. Er jedenfalls will noch nicht in den Himmel hochfahren, sondern hält die Arbeit hier und jetzt in dieser Welt für das best Mögliche. Geriet einen Moment in schiere Verzweiflung. Sieht sich im Spirituellen und das als eine Art Geborgenheit. Mit das Schwierigste, was es im Verlauf des Gesprächs zu verstehen gab, war ein nicht allzuschwer verständlicher Begriff wie »Möglichkeit der Selbstkomposition«, den Schlingensief ins Gespräch brachte. Der sonst bei jedem Thema über einen ironischen Plauderton wenig hinausging. Obwohl er Dinge sagte wie er vermute bei der neu ausgebrochenen Cholera in Simbabwe handle es sich um Sabotage von Gegnern.
Patti Smith, die sich selber nicht als ironische Person und Künstlerin bezeichnen wollte, wollte auch bei Schlingensief Stilmittel wie Zynismus nicht sehen und diskutieren und zeichnete von ihrem Freund ein Bild wie in einem Kinderbuch: Er sei ein Peter Pan, der nur beschwörend zu suggerieren braucht: »It will!«. Seine Arbeit sei einfach Freude und Freiheit Alles eine einzige Einladung: »Come on in! Come on into the ship! « Uns alles aus Liebe, nicht für Macht und Geld. Auch sie selber sei nur daran interessiert ein guter Mensch zu sein, der sich aber als Künstler in jede extreme menschliche Rolle verwandeln könne. Und sie sagte: »To see with new eyes, that’s what an artist needs continuously.« Man hätte noch einmal an die uneingeschränkte Kraft der Rockmusik glauben wollen. So das einmal funktioniert hat. Besonders als Patti Smith zum Abschluss noch für einen Song zur akustischen Gitarre griff. Die oft genannte Macht der drei Akkorde und des Wortes. Geradezu zauberhaft wie im Märchen. Doch Märchen beginnen mit: Es war einmal. Patti Smith sah aus einiger Distanz im Scheinwerferlicht aus wie eine Frau, die geradezu angefüllt mit Wärme und Freude lebt. Eine Glücksfee. Die Lichter dazu hatte derweil eine Glaubensgemeinschaft in einer Demonstation vor dem Haus der Kunst angezündet. Gegen Blasphemie in der Ausstellung »Spuren des Geistigen«. Eine Menschenansammlung vor einem mitgebrachten Jesus am Kreuz mit Kerzen in der Hand, im Chor Lieder vom Notenblatt singend.
Als Smith mit Dercon redend dann nach der Veranstaltung direkt an mir vorbeiging, blickte ich in die Gesichtszüge einer über 60-jährigen Frau mit eher teuflischem Touch. Die erlebten Strapazen und Extreme eines Rockmusikerdaseins sind nicht spurlos an ihr vorübergegangen. Ein Leben, von dem einer wie Alan Bangs im Gespräch mit Claudia Scholl und Michael Laufersweiler in Köln im Juni 2000 Folgendes weitergab: »…wir haben durch Zufall gestern nochmal ein Band gesehen aus der Rocknacht, wo Du Patti Smith interviewt hast … Ach, hör‘ mir auf, die spritzte in der Garderobe, und war überhaupt nicht mehr ansprechbar. Und es kam dazu, dass, als sie das erste Mal in Deutschland war, 1976, da hab‘ ich sie in München besucht, und da haben wir uns total gut verstanden. Ich hatte damals auch die Haare in etwa so lang wie jetzt – aber nicht grau, und sah echt komischerweise wie Tom Verlaine aus, und sie hatte vorher eine Affäre mit Tom Verlaine, und irgendwie haben wir uns total gut verstanden. Ich sollte dann ein Interview mit ihr machen, und sie hat gesagt: »Wenn Du nix anderes vorhast, dann bleib einfach wie wir hier in München. Ich möchte, dass Du bei den Interviews dabei bist.« Ich war dann drei Tage bei Patti Smith. Bei allen Interviews saß ich immer da, egal wer reinkam, egal was für Journalisten, und das war auch genial mitzubekommen, weil egal, wie oft ihr die gleiche Frage gestellt wurde – sie hat jedes Mal was anderes geantwortet. Also das war unglaublich, ich hab‘ so was noch nie erlebt. Und jeden Morgen fragten mich die anderen Bandmitglieder: »Na, und? Hat’s geklappt«, und ich »Was jetzt? «, ich wusste überhaupt nix davon, es kam erst später raus, wieso, weil ich eben Tom Verlaine so ähnlich sah. Gut, als sie dann in die Rocknacht kam, da hab‘ ich mir gedacht, ok, wir haben uns damals so gut verstanden. Das war echt für mich auch ne Riesenenttäuschung, das war weil sie auf Heroin war, sie hat mich einfach nicht mehr erkannt. Sie hat einfach nix mitbekommen… (WDR, Rockpalast).« So mag es gewesen sein, wird in der Szene geredet. Patti Smith jedenfalls hat sich immer oben gehalten. Beruflich. Privat.
Beim Konzert »Words 1« am nächsten Abend mit dem im Gegensatz zu ihr studierten und klassisch ausgebildeten Cellisten Adrian Brendel schien sie dann wieder da zu sein, die Magie, die von Patti Smith ausging in früheren Zeiten. Sie deklarierte beschwörend Texte, zog in den Bann der Wirkung von manischen, stimmungsvollen Akkordwiederholungen und Brendel improvisierte dazu Erlesenes auf seinem Cello. An die Bühnenrückwand projizierte Filmsequenzen und Bilder zeigten Smith, in Großaufnahme, Nahaufnahme, einen Rosenkranz aus der Jeanstasche ziehend, ihr Gesicht, ihre Hände, sich in Zeitlupe bewegend. Zwischen Steinreliefgesichtern, Stilleben, Straßenszenen, Schriften, galoppierende Pferde geschnitten. Eines ihrer neuen Lieder kündigte sie mit den Worten an: Der Song mag euch bekannt vorkommen. Aber das ist weil ich nur fünf Akkorde kann. Ihr fehlte
es an diesem Abend doch nicht an Ironie. Und auch nicht daran als eine Art Schamanin, als die Dercon sie ansagte, Ausstrahlung zu zeigen und sich als Größe und Autorität in Szene zu setzen. Jedenfalls gelang ihr das vor dieser versammelten In-Crowd. In der man sich nach Möglichkeit Chic und berufliche Position ansehen ließ. Man mischte das von mir verhasste überschwenglich-schrille Pfeifen der Rockkonzerte in den Applaus. Und bei den Zugaben waren tatsächlich dann alle Rhythmus klatschend und mitsingend. Leider kann man kaum etwas mehr erübrigen als eben so eine Version von »Because The Night«. Patti Smith selber stolperte über Textprobleme. Und rettete sich und den Spannungsbogen dann durch eine weitere Zugabe: »Gandhi«. Wünschte Frieden und ging. Was blieb da zu sagen: Eine heile Welt allen. Wenigstens für zwei Stunden. Bei »Words 2« am folgenden Tag in der Allerheiligen-Hofkirche.
Erstveröffentlichung in gekürzter Version in »anschläge« 02/09
>> www.pattismith.net
>> www.schlingensief.com
>> www.hausderkunst.de