»Egal in welchem politischen System wir leben, die Leute am unteren Ende bleiben auch dort.« Die Filme des Nagisa Oshima sind Filme des schönen Ekels. Moritaten am letzten Kot-Abort der sozialen Fahnenstange, verzweifelt wie die Hunde pudernde Außenseiter, die sich mit Angstschweiß, Geschlechtssaft, Reisschnaps und bewusst dummen Gewaltexzessen die gesellschaftliche Verankerung wegsaufen. Also an sich purster Rock’n’Roll, gegen sich selbst und die verpackende Industrie Amok laufender Hedonismus in unfreiwillig politischer Mission. September 1951 trat Japan in das Anpo-Treatment ein, den Friedenspakt mit den USA, der das Land von der unmittelbaren Besetzung mitten in die Geschäfts- und Kriegs-Alliierten-Stellung bis hinein in den »pazifistischen« Korea-Krieg zwang. Das Kulturleben wurde vom Kaiserreich und Beamtenapparat bilateral zwischen harmlosem lokalen Exotismus und Hamburger-Seligkeit einreglementiert. Allein die Studentenschaft konnte sich durch die zugestandene Selbstverwaltung als Zengakuren neben den organisierten Worker-Prolls und Yakuza eine revoluzzernde Schattenwelt erhalten, die die Autorität unterwanderte und offen hinterfragte. Oshima, als Sohn eines marxistisch orientierten Samurai und Poeten, kämpfte da schon früh als Filmstudent gegen die nationale Chuzpe, Onkel Sam und Hirohito. Als er 1959 begann seine ersten Langfilme für Shochiku, eines der sechs japanischen Großstudios, zu drehen, waren es Taiyozoku, Sonnenanbeterfilme, Parallelwerke zu Beach Party- und Elvis-Schmonzettchen, voller praller Bikini-Girls, Petticoats und Softdrinks. Nur dass Oshima das knallbunte Setting in den Dreck der Ghettos und Stricher-Straßen von Tokyo und Osaka versetzte. Das dritte Werk, bereits im Titel »Das Grabmal der Sonne« (1960) bewusster AgitProp, ist bereits ein vom glamourösen Juvenile Delinquent-Reißer losgelöstes Kaleidoskop von »Dog Eat Dog«-Kampf der Slums, nur dass der Sozialpornogehalt durch unwirklich übersättigte Farben, atemberaubend schöne Menschen und bewegte Panoramen unterwandert wird, ein bizarrer Vorläufer des franzöischen Style-Kinos der Achtziger Marke Beineix oder Besson, was wiederum das heutige asiatische Kino eines Kim Ki-Duk oder Shunji Iwai prägen sollte. Mit dem im selben Jahr folgenden »Nacht und Nebel in Japan« sollte er sein Meisterstück schaffen: Bei einer Hochzeit unter alternden Uni-Aktivisten während des gewaltsamen Demo-Todes eines Studenten (die die tatsächliche Hochzeit des homosexuellen Oshima mit der Schauspielerin und Aktivistin Akiko Koyama sowie das Ableben des japanischen Dutschke Michiko Kanba parallelisierte) kommt es zur kollektiven Aufarbeitung von
gegenseitigem Hass und der Ohnmacht zum Polit-Aktivismus, den das reifende Alter scheinbar so mit sich bringt. Minimal aufgelöste Gruppentiraden zum wunderbar spartanisch melancholischen Sound von Riichiro Manabe, der ungerechtfertigt wegen seiner »Godzilla«-Scores im Schatten von Toru Takemitsu stehen sollte. Dazu Brechtisch distanzierte Theatertableaux, Song-Einlagen und überspitzte Rückblenden. Ein heute noch ohne Abstriche in die Seele schießendes Juwel intellektuellen Unterhaltungs-Kinos. Das Studio zog den Film nach drei Tagen wegen politischer Unverträglichkeit zurück, worauf Oshima mit Showazen den Vorreiter der Independent-Produktionen schaffen sollte und etliche Jahrzehnte Japan-Kinos eröffnen sollte, in denen Querköpfe wie Wakamatsu, Suzuki, Fukasaku oder Terayama Pulp, Polit-Aktivismus und Pink Porno kombinieren sollten. Aus der radikalen Phase Oshimas um Marx, gangrape und Schnellschusswaffen finden sich hier »Sing a Song for Sex« und der grandiose »Die Nacht des Mörders« aka »Japanese Summer: Double Suicide«, der wie eine Grindhouse-Variante von Godards Café-Marxisten wirkt. Wunderbar und essentiell, dass das österreichische Polyfilm-Label solche Juwelen in umwerfend restaurierten Prints wieder zugänglich macht. Bizarr, dass ein bedingungsloser Verachter des Nippon-Kinos wie Oshima gleich die ersten vier Filme der »nationalen« Edition ausmacht und kaum Begleitinformations- und kein Zusatzmaterial mitgeliefert wird. Heute kennt man Oshima vor allem für den ersten Hardcore-Bums und sichtbaren Blowjob im Arthaus-Kino mit seinem französisch produzierten »Im Reich der Sinne« von 1976 und ist er nach drei Schlaganfällen nicht mehr produktiv und fast vergessen. Damn time to catch up!
»Japanische Meisterregisseure« (DVD-Edition, 1-4 zu Nagisa Oshima, Polyfilm). Es folgen Filme von Nomuro Yoshitaro, Keisuke Kinoshita, Yasujiro Ozu.