»1853 wurde Wagners Musik erstmals in Wien gespielt und zwar – überraschenderweise – von Johann Strauß«, steht gleich beim Eingang der Wagner-Ausstellung im Wiener Jüdischen Museum zu lesen. Vielleicht war es dieser Satz, der den Musiker Georg Breinschmid zu seinem Programm »Arrive Verdi« anregte, einer Art gekonnter Veräppelung von Richard Wagners Musik, in dem der vor der Jazzpolizei flüchtende Wagner eine zweite Identität als Verdi annimmt. Sehr unwahrscheinlich, da beide Komponisten völlig unterschiedliche musikalische bzw. ideolgische Konzepte realisierten. Oder hatte Wagner genug von sich selbst und seinem Antisemitismus?
Vielleicht war es aber auch umgekehrt, dass sich die Kuratorin der Wagner-Ausstellung von der Musik inspirieren ließ. Auf jeden Fall spielten die Musiker Georg Breinschmid, Tommaso Huber und Sebastian Gürtler in der Silvesternacht u. a. mit der Figur eines Ivica Strauß, dem jüngsten Sproß, dem schwarzen Schaf der Strauß-Familie, der verschwiegen wurde, weil er atonale Musik komponierte. Ivica Strauß komponierte also unter dem Pseudonym Richard Wagner-Trenkwitz auch die Stretta aus dem Troubadour, die »fälschlicherweise Weise Wagner/Verdi zugeschrieben wird.«
Das elegante Publikum in der Kammeroper lacht schon bei den ersten falschen Tönen und Wortwechseln auf der Bühne. Wie in einem Radioweltempfänger, bei dem man den Regler verschiebt, erklingen einzelne Themen. Anflüge von Musik, jeweils eine halbe Minute lang wird Wagner gesungen, gegröhlt, à la Josef Hader kabarettartig verfremdet. Ältere Herren grinsen breit, der Akkordeonist schaut melancholisch in die Ferne. In der Kammeroper blinken kleine Luster über den Häuptern. Silvester ist es, Jahreswechsel, draußen am Schwedenplatz ist die Hölle los. Man verliert sich in den angespielten Melodien der »klassischen Schlager« und erkennt längst nicht alle. Ein Programm für Super-Auskenner? »Sie haben es sicher erkannt«, sagt Breinschmid, »das war die Ledermaus von Ivica Strauß, wegen seiner dissonanten Kompositionen verbannte ihn seine Familie auf die Insel Krk.« Oder die Skizze zum Vorspiel von »Das Breingold«: Dramatischer Beginn, ein einzelner Ton, es klingt wagnerisch, dann ein zweiter Ton, lang, tragend …, ui Tragik: »An dieser Stelle endet die Skizze leider.«
Selbstauflösung und Barbarei
Szenenwechsel: Die Ausstellung »Euphorie und Unbehagen« im Jüdischen Museum ist sehr schön gemacht, trotzdem wird man das Gefühl nicht los, etwas zu verpassen, etwas Wichtiges und Zentrales in all der Fülle der Details. Denn woher kam dieses tiefe Bedürfnis nach heftigen Emotionen? Die Euphorie über Wagner, aber auch das Unbehagen? Allein konzertanten Spaß mit der Musik Wagners zu veranstalten, erscheint in diesem Rahmen als etwas wenig in der Analyse. Oder wird in »Arrive Verdi« eher das Bild des »genialen Priesterkünstlers« zerlegt? Selbst-Verulkung in der Silvesternacht? Ob Verdis »Nabucco« mit dem Freiheitsstreben der in Babylon gefangenen Juden als Thema vorkommt, entzieht sich leider meiner musikalischen Kenntnis.
Warum hatte Wagners Publikum Selbstvergessenheit so nötig, warum fuhr es dermaßen auf diese Musik ab? »Wagners Musik ist hochemotional. In seinen Musikdramen verband er romantische Sehnsucht mit Archaik und orchestrierte alles ins Grandiose«, steht auf einer Schautafel im Museum. Wagner erfand den dunklen Zuschauerraum, damit der dem gebannten Publikum Selbstvergessenheit garantiere. »Die Avantgarde der bildenden Kunst griff das wagnerische Bild des genialen Priesterkünstlers auf«, steht auf einer anderen Schautafel. In der Ausstellung werden noch einige Gedankenanstöße präsentiert, ohne genauere Erläuterung, Verankerung oder Diskussion – vor allem, dass Adolf Hitler schon 1906 zum glühenden Wagnerianer und so »schon vor dem Ersten Weltkrieg zum Antisemiten« wurde! So stark wirkte Wagners Musik? Warum? Wieso? Weshalb? »Wagner sprach Juden generell das Verständnis für Kunst ab«, steht an anderer Stelle. Trotzdem folgten ihm viele jüdische Menschen in seinem Verständnis einer »reinen«, deutschen Kultur, die besonders hochwertig sei. »Nach wie vor soll Wagner deutsche Kultur repräsentieren – und ist im handgreiflichen Sinne untrennbar vom Ausbruch der Barbarei«, schrieb der Soziologe Theodor W. Adorno in seinem Buch »Versuch über Wagner«.
»Platz, Stranger, Platz«
Im Konzert gibt es sehr starke Momente: Etwa, als das Trio am Sportplatz gesungene Fußballhymnen von Fans anstimmt: »Mario Haas. Deine Eltern sind Geschwister!« Tosender Applaus. Es ist das einzige Mal, dass indirekt das bei Wagner so starke Thema des Missbrauchs in der Familie (verharmlost als »Inzest«) angesprochen wird. »Dein ist mein ganzes Herz. Jetzt ist es wäck!« Wenn ab und an etwas erklärt wird, kommt man auch als Banause mit, wie die Musikstücke ineinander verwebt und zerteilt sind: »Das war jetzt Wagner gegen eine Fuge aus Verdis »Falstaff« und Verdi gegen eine Fuge aus Wagners »Meistersinger«.«
Bei der »Fußballpolka« von Ivica Strauß schlägt Breinschmid heftig seinen Kontrabass – Tor! Slobodan Verdi bringt Musik von Signor Rossi mit und in »Stranger in the Night« ist Stranger ein Hund: »Platz, Stranger, Platz«. Der grandiose Geiger spielt sich sowieso hin und weg und der wie ein Filmschauspieler aussehende Akkordeonist muss ein paar Mal selber lachen. Super aufeinander eingespielt, diese spielenden Spieler.
Am Ende der Ausstellung im Jüdischen Museum steht groß ein Zitat von Thomas Mann: »Es ist viel Hitler in Wagner« und ein zweites von Woody Allen (den ich eigentlich nicht mag, weil er seine Adoptivtochter heiratete – das »Inzest«-Thema!): »Jedes Mal, wenn ich Wagner höre, habe ich das Bedürfnis in Polen einzumarschieren«. Theodor W. Adorno warnte davor, Wagners Kunst nur als Kunst zu sehen, denn: »Die Ideologie auszuschalten, um die reine Kunst als Rest zu erhalten, wäre eine unsachgemäße Vereinfachung, da das Narzistische und das Demagogische bis in die innerste Konzeption der Wagnerschen Kunst reicht.« Trotzdem kann man eventuell auch das Narzistische und Demagogische mit Humor unterlaufen. Adorno, der sogar Walter Benjamin seine Leibrente wegen angeblich mangelnder Dialektik wegnehmen wollte, hatte eventuell einen anderen Sinn für Humor.
Kontrabassist Breinschmid erzählte mitten im Konzert einen Witz: »Ein Mann beim Doktor: Ich fühle mich als Motte. Da sollten Sie aber besser zum Psychiater gehen? Ja schon, aber bei Ihnen war Licht!«
Das jüdische Wien und Richard Wagner
25 Sep 2013 bis 16 Mär 2014
Jüdisches Museum Wien