Was tun, wenn man auf engstem Raum mit jemand eingesperrt ist, der ständig Aufmerksamkeit braucht, süchtig nach Publikum ist – nach einem Gegenüber? Von sich selber so überzeugt, dass er seine eigenen Einfälle extrem lustig findet und eine quasi Nonstop-Pointenschleuder gibt?
Diese schwule Diva hier im Kellertheater des Wiener Cafés Prückl erzählt keine romantische Geschichte von der Liebe zu einem Herrenmenschen, sondern versucht die volle Aufmerksamkeit eines jüdischen Uhrmachermeisters zu ergattern. Aufmunternd tönt er und winkt herum: »Vielleicht sind Sie besser in Zeichensprache? Wie steht es um Spaß? Ein Lächeln?« Als ob das wahre Problem der Zellengenosse wäre, den es von sich zu überzeugen gilt, und nicht die mörderischen äußeren Umstände in Sachsenhausen. Eine kleine Obsession, ein Konzentrationslager herunter gebrochen auf einen Menschen, der zu einer Art Gott stilisiert wird. Wie praktisch.
Der schlaksige, glatzige Brite Eric Lomas gibt die Rolle des schwulen Hans locker und mit viel Kraft, er schafft es äußerst glaubhaft, diesen Hans mit prallem Leben und Widersprüchen zu füllen. James Shano als Uhrmacher Benjamin nerven die ständigen kreativen und kindlich-vertrauensvollen Annäherungsversuche. »Ich habe keine Antworten-Sprache. Nichts ist ernsthaft für dich«, sagt er. »Du wirst hier nicht gebraucht. Du wirst überleben.« Der andere lässt sich nicht unterkriegen. »Juden hier, Homosexuelle dort und ein elektrischer Zaun dazwischen?«
People watch time
Die beiden KZ-Insassen sollen gemeinsam Uhren wieder zum Leben, zum »Ticktacking« erwecken. Doch Hans kennt sich nicht aus und ist auf Erklärungen des Uhrmachers angewiesen. »I am an Horologist, a clock maker. Make a stupid comment about it. This is a watch«. »Why is it called a watch?« »People watch time. It is a timekeeper.« Das Publikum, das sich am Anfang kaum zu lachen traut, kann sich später nicht mehr zurückhalten. Zu lustig sind die Faxen des Schwulen, der aber auch in reale Probleme kippt und plötzlich schweigt. So wird er mit brennenden Zigaretten gefoltert, als sein »Liebhaber« abhaut und die Nazis wissen möchten, wohin er geflohen ist. Schweigen. Verzweiflung. Ernsthaftigkeit. Und schon wieder sprüht der Funke: »This is where licking your wounds comes from.«
Dicht sind die Szenen, in denen die ungleichen Helden entdecken, dass sie beide die Oper lieben. Ab diesem Zeitpunkt wird über Verdi und Puccini gestritten, gesungen, geübt und mit großen Gesten und Geschmettere zwischen Holzbrettern im Verschlag aufgetreten. Beide tragen eine starke Sehnsucht und Hoffnung in sich, ihre Lage durch Auftritte zu verbessern, sogar eine Tournee durch die KZs imaginieren sie sich. Sie erhalten ein Handgrammophon mit einer Schallplatte. »Come and touch freedom«, hält der Uhrmachermeister Hans die Schallplatte vor die Nase und beide lauschen hingerissen mit geschlossenen Augen der Musik. »I guess I am a sort of humorist«, behauptet der Schwule, um dann ohne Pause über Verdi herzuziehen. »No sense of poetry. Too technical …« Der Uhrmacher wehrt sich: »Enough! Blasphemy …« »I was just enoughing«, lacht der schwule Puccini-Liebhaber und spielt seinem Juden eine Gottesperson vor, von einem Stuhl herunter: »Ich bin sicher, Gott hat Humor«.
Verdi oder Puccini?
Dicht auch die Szene, in der der jüdische Mann von seinen Kindern erzählt, von seiner Tochter Rebecca, genannt Poki, und von Max, seinem Sohn, der im KZ Buchenwald sitzt. »I feel life«, sagt der jüdische Mann, als er über den »Liebhaber« des Schwulen erfährt, dass Max am Leben ist. Und zusammenbricht, als er hören muss, dass seine kleine Tochter in den elektrischen Zaun ging, was ihm Hans lange verschwieg. Auf einer Uhr herum hüpft in seinem verzweifelten, ohnmächtigen Zorn und komplett durchdreht. Bei seinem langgezogenen, heiseren Weinen steigt einem das Wasser in die Augen. Der schwule Hans rettet ihn vor drohendem Unheil wegen der kaputten Uhr und verführt schnell und gekonnt den heterosexuellen KAPO, einen Gauner mit grünem Dreieck, während der Jude hin und hergerissen zwischen Dankbarkeit, Erleichterung und Abscheu vor der Türe stehen muss. Schrecklich.
Im »Kuss der Spinnenfrau« verliebt sich der Schwule in den politischen Mann und beide verbringen eine Nacht zusammen, nachdem der Aktivist gefoltert wurde. Molina wird von der Polizei erschossen, als er versucht, in der Außenwelt einen politischen Kontakt herzustellen und der Aktivist stirbt im Gefängnis an den Folgen der Folter, während er von einer wunderschönen, gefährlichen Spinnenfrau träumt, die wie Molina aussieht.
In »The Timekeepers« ist das Ende viel unspektakulärer, aber ebenfalls lebensgefährlich: Die Nazis entscheiden sich, nur noch einen Uhrmacher zu beschäftigen, denn ihnen gehen die kaputten Uhren aus und der KAPO überlässt es den beiden Protagonisten selbst, wer sich opfert. Der schwule Hans geht einfach zur Türe hinaus – ohne Abschied. Dem jüdischen Benjamin fehlen die Worte, er bleibt sprachlos zurück, aber er singt ihm eine Arie hinterher. Von Verdi oder Puccini? Es klingt kräftig und hoffnungsvoll, aber auch nach Ende und unausweichlicher Trauer. In dem Duett aus »Don Carlo« von Verdi, das sie so fleißig übten, kommt das Wort »Liberta« gefühlte dreißigmal vor …