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Still alive and well: It’s Record Store Day 2017!

Der 22. April 2017 ist der Tag der Plattenläden und was für Geeks ein Pflichttermin ist, sollte zumindest einige halb-interessierte Murmeltiere aus ihren Schlafhöhlen mit Internetanschluss locken.

Früher hatten MusikerInnen, KünstlerInnen, GeisteswissenschaftlerInnen und alle sonst wie auf gesellschaftlichen Randwegen denkenden und handelnden Menschen einen ökonomischen Plan B – nein, nicht das Taxifahren, sondern das Arbeiten in einem Plattenladen oder einer Niveau-Videothek. Vielleicht, so träumten die Größenwahnsinnigen unter ihnen, könnten sie sogar eines Tages selbst eines von diesen Dingern aufmachen. Die Sache schien sehr reizvoll: Den ganzen Tag umgeben von Dingen, die man mag, und die Möglichkeit, sich mit interessierten Käufergruppen auszutauschen. Tja, das ist weitgehend Geschichte, der Kapitalismus hat augenscheinlich etwas anderes mit uns vor.

Die Videotheken hat es komplett erwischt und die Plattenläden waren schon ganz nah an der Klippe. Indes erwiesen sie sich als zäh, kämpften sich zurück und sind heute schon fast wieder in der Lage, die Miete zu zahlen (wenn sie genügend Versand machen). Die Entwicklung des letzten zwei Jahrzehnte war und ist bedauerlich, mehr noch, sie ist in Teilen unbegreiflich. Weshalb erlauben es unsere politischen Führungseliten in ihrer grenzenlosen Weisheit, dass ein Monopolist wie Amazon in nicht allzu ferner Zukunft wohl das Privileg haben wird, im Alleingang sämtliche Tonträger und Bücher zu vertreiben, mitsamt den entsetzlichen Folgen für ArbeiterInnen und ProduzentInnen? Am besten, man fragt seine lokalen Abgeordneten dies einmal persönlich. Und man lasse sich bitte nicht abspeisen mit der Aussage, die Leute seien halt bequem und wollen alles im Netz auf einer einzigen Seite bestellen können. Es ist auch bequem, seinen Müll einfach aus dem Fenster zu kippen, und trotzdem können Gesetze und Gepflogenheiten dies verhindern. Ein Monopol aber richtet mehr Schaden an, als ausgeleerter Müll auf dem Gehweg.

Widerstand der Restbestände

Noch allerdings haben die digitalen Monopolisten nicht alles weggetafelt. Kleine Nischenanbieter halten sich tapfer. Seien es Kleinstlabels, Buchhandlungen mit Minigastronomie oder eben einige Plattenläden. Letztere verbreiten Charme und bieten die Coolness des crate digging auch für Leute, die eigentlich keine Zeit mehr zum Musikhören mit Turntables haben. Das hat natürlich viel mit der teils bestehenden, teils herbeigeschriebenen Vinyl-Renaissance zu tun. Der muss, allen ansteigenden Verkaufszahlen zum Trotz, eine gewisse Skepsis entgegengebracht werden. Was hier ansteigt, kann auch als Konsolidierung auf recht niedrigem Niveau beschrieben werden. Aber immerhin das. Außerdem muss die Anmerkung im aufbrausenden Begeisterungssturm erlaubt sein, dass die vinylbegeisterten Kunden alle etwa das gleiche Alter und Geschlecht haben. Für die, die sich in der Szene nicht so auskennen: ja, sie tragen oft Hipsterbärte. Darüber hinaus blenden nostalgische Erwägungen die wahren Verhältnisse aus. Schon vergessen, dass vor zwanzig Jahren die meisten Musikbegeisterten bereit gewesen wären, einen Mord zu begehen für ein Gerätchen, das sämtliche Musik der Welt ausspuckt?

Leider gingen manche Aficionados dem Warenfetisch auf den Leim und hielten ihre Sammlungen für wertvoll. Nun, das sind sie – allerdings mit Geld nicht aufzuwiegen, weshalb dies auch wirklich niemand tut. Was eine Plattensammlung denn dann »wert« ist? Ein paar Deutungsangebote: Sie ist Abbild der Persönlichkeit des Sammlers oder der Sammlerin, auch jenseits gewisser selbstdarstellerischer Eitelkeit. Sie ist eine bedeutsame Erinnerungsstütze und die Möglichkeit, in der eigenen Vergangenheit physisch zu kramen und dabei hin und wieder echte Entdeckungen zu machen, weil die zeitliche Relativität jeden Urteils immer wieder überrascht: »Dieses Cover hat mich einmal beeindruckt? Diese Platte fand ich damals gut? Warum ist mir nie aufgefallen, wie stark dieser Song eigentlich ist!« etc. Mit den mp3s geht das vielleicht auch, aber es fehlen viele stoffliche Elemente, die einer Erfahrung Tiefe verleihen. Schließlich haben wir auf mp3-Erinnerungsreise nichts in der Hand und vor der Nase, außer der immer gleichen Dateiliste. Zudem lässt sich gemeinsam über Listen auf einem Screen schwerer reden als vor einem Plattenregal und dann ist da abschließend noch dieses »zeitenüberdauernde« Element für die, die so etwas mögen. In der Negation wird es sofort begreifbar, denn die Vorstellung, ein paar Enkel durchstöbern die alten Playlisten ihres Opas, darf getrost als absurd bezeichnet werden. Kurzum, es gibt tatsächlich ein paar Gründe, Platten zu kaufen.

Blöd ist eben, dass jede technisch-industrielle Entwicklung immer einen Ausschlusseffekt erzeugt. Kaum gab es Transatlantikflüge, wurden die Schiffspassagen eingestellt. Als der Internetversand und die digitale Musikverbreitung in Fahrt kamen, und damit fraglos neue Möglichkeiten entstanden, starben die Plattenläden wie die Fliegen und alte Möglichkeiten gingen hops. Bedauerlich, denn Plattenläden gehören bekanntlich zu den schönsten Plätzen auf Erden, und in ihnen abzuhängen, ist gut genutzte Zeit. Es war schade um die allermeisten von ihnen, die den digitalen Neuerungen zum Opfer fielen. Wünschen wir deshalb den Hinterbliebenen das Allerbeste und feiern wir sie am 22. April!

Record Store Day 2017 in Wien

Zu diesem Zweck soll speziell auf eine Veranstaltung in Wien hingewiesen werden: Die Band Freud und Freind (MusikerkollegInnen von Minisex, Chuzpe, Tanz Baby! A Life, A Song, A Cigarette u. v. m.) werden zum Record Store Day 2017 ihre 7″ »Da Hofa« veröffentlichen, am 22. April zwischen 15:00 und 15:30 Uhr auf einem LKW auf der Mariahilfer Straße präsentieren und danach gegen 16:00 Uhr im Plattenladen Recordbag vorbeischauen. Die Band wundert sich übrigens zu Recht, weshalb Pop- und Rockmusik so selten noch kritisch das Wort ergreifen. skug hat dazu eine breite Palette an Thesen und die erörtern wir am besten gemeinsam am Tresen des Record Stores unseres Vertrauens.

Hier die Liste aller noch quicklebendigen österreichischen Plattenläden, die beim Record Store Day 2017 mitmachen:

Audio Center Judenplatz 9, 1010 Wien

EMI – the music store Kärtnerstraße 30, 1010 Wien

Supersense, Praterstraße 70/1, 1020 Wien

Record Shack Reinprechtsdorfer Straße 60, 1050 Wien

rave up Hofmühlgasse 1, 1060 Wien

Recordbag Kollergerngasse 4, 1060 Wien

Schallter Westbahnstraße 13, 1070 Wien

Substance Westbahnstraße 16, 1070 Wien

Tongues Theobaldgasse 16, 1060 Wien

Records&More Hofgasse 7, 4020 Linz

Vinylcorner Bürgerstraße 14, 4020 Linz

Vinylton Salzburger Straße 88, 4600 Wels

Good Things Johann-Evangelist-Habert-Straße 14, 4810 Gmunden

Minerva Records Schallmooser Hauptstraße 6, 5020 Salzburg

Musikladen Linzergasse 58, 5020 Salzburg

Downtown Universitätsstraße 5, 6020 Innsbruck

Musikladen Innsbruck Sparkassenplatz 2, 6020 Innsbruck

Poeschl Musikladen Sparkassenplatz 2, 6020 Innsbruck

musikladen jehle & müllner Johannitergasse 4, 6800 Feldkirch

CD-MONROE Domplatz 3, 7000 Eisenstadt

NENTWICH Hauptstraße 39, 7000 Eisenstadt

onVINYL Recordstore Bürgergasse 15, 8200 Gleisdorf

Musikfachgeschäft Friebe Sporgasse 21, 8010 Graz

Dux Records Annenstraße 6, 8020 Graz

di marcos high fidelity Bahnhofstraße 26, 9020 Klagenfurt am Wörthersee

Weitere Infos: www.recordstoredaygermany.de

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