Yung Lean © Yung Lean
Yung Lean © Yung Lean

Forever Yung

Seit über einem Jahrzehnt führt Yung Lean die internationale Cloudrap-Szene mit seinem melancholischen Sound an. Auf eine Karriere voller Höhepunkte und Tiefschläge folgt das aktuelle Album »Jonatan« auf dem eigenen Label World Affairs und ein Tourstopp im Gasometer Wien am 10. November 2025.

Södermalm, Stockholm, 2013. Aus seinem Kinderzimmer heraus löst der 16-jährige Jonatan Leandoer Håstad alias Yung Lean einen überwältigenden Hype aus, gewappnet mit Fischerhut und Arizona Ice Tea. Das Musikvideo zu »Ginseng Strip 2002« erobert YouTube und Tumblr im Sturm und macht die Sad Boys zu Antihelden ihrer Generation. Hinter dem Pseudonym stecken neben Yung Lean die Musikproduzenten Yung Sherman und Yung Gud. Die drei lernen sich in einem Park in Stockholm kennen, während Robb Bank$ aus den Bluetooth-Boxen tönt. Dort freunden sie sich auch mit Rappern wie Bladee oder Thaiboy Digital an. Verbunden durch den gleichen Musikgeschmack und vorangehende Soloexperimente mit Rap- und Beat-Produktion schließt sich das Trio zusammen, veröffentlicht erste Werke auf SoundCloud und versieht diese mit überästhetisierten Musikvideos. Das Debüt bildet »Oreomilkshake«, ein Track sowohl über kulinarische als auch sexuelle Fantasien, aufgenommen in einer betrunkenen Nacht in Yung Leans heimischem Keller. 

Bald darauf wird Emilio Fagone, der künftige Manager der Sad Boys, auf die Gruppe aufmerksam und organisiert deren ersten Gig. Obwohl es noch nicht viele veröffentlichte Tracks gibt, ist die Venue mit 300 Zuschauer*innen fast ausverkauft. In Schweden ist Yung Lean zu diesem Zeitpunkt bereits bekannt. Der internationale Durchbruch gelingt ihm schließlich mit »Ginseng Strip 2002«. Der Beat samplet »Loop 61« des japanischen Produzenten Dé Dé Mouse, im Musikvideo wird »Yung Lean Doer« in japanischen Schriftzeichen eingeblendet, sein Gesicht verschmilzt gespiegelt in sich selbst wie in alten MySpace-Filtern. Das Babyface in Buckethat und Windbreaker bringt den Rap-Stil amerikanischer Vorbilder wie Lil B und Metro Zu nach Europa und definiert Cloudrap nach seinen eigenen Vorstellungen.

Paranoia 2015

2013 erscheint das Mixtape »Unknown Death 未知の死 2002«, mit dem die Sad Boys durch Schweden, Deutschland und die Niederlande touren. Das Debütalbum »Unknown Memory« aus dem Jahr 2014 führt sie durch Europa und Nordamerika. Überall verbünden sich Jugendliche mit der unaufgeregten, melancholischen Klangfarbe, mit der Emotionalität der Sad Boys. Musik, die Depressionen heilt und Leben rettet – so wird sie zumindest von Fans beschrieben. Bei Yung Lean selbst tritt diese Wirkung allerdings nicht ein.

Nach der Tour wohnt er bei seinem US-Manager und guten Freund Barron Machat, der das Label Hippos in Tanks leitete. In dessen Wohnung in Miami Beach will er sich auf die Produktion seines nächsten Albums konzentrieren. Zu dieser Zeit ist der damals 18-jährige Lean allerdings gezeichnet vom schnellen Erfolg, Tourleben und starken Drogenmissbrauch. Der regelmäßige Konsum von Xanax, Codein und Kokain löst Psychosen und Halluzinationen aus. In einer Aprilnacht im Jahr 2015 beginnt er, die Möbel in Machats Appartement zu zerstören, verletzt sich dabei selbst und wird daraufhin ins Spital eingeliefert. Doch auch dort finden seine Wahnvorstellungen kein Ende. Aus Panik, seine Musikdateien nicht bei sich zu haben, bittet er Machat, ihm seine Festplatte ins Krankenzimmer zu bringen. Machat setzt sich unter Drogeneinfluss ans Steuer und stirbt, im Alter von 27 Jahren, bei einem Autounfall.

Between chaos and order

Während in Miami trauernde Angehörige zu Machats Beerdigung zusammenkommen, weilt Yung Lean bereits wieder in Schweden. Sein Vater holt ihn aus dem Spital und zieht mit ihm in ein Haus am Land, um ihn bei seiner physischen und psychischen Genesung zu unterstützen. Die ersten Wochen verbringt Lean benommen von starken Psychopharmaka. Nach einer Weile beginnt er, Sport zu treiben, nimmt einen Fabrikjob an und arbeitet dort mit seinen Freunden und Kollegen Bladee und Gud. Für einen kurzen Moment führt er ein geregeltes, konventionelles Leben. Es soll ihn stabilisieren, ihm dabei helfen, zu differenzieren, sich nicht kopflos mitreißen zu lassen von scheinbar unendlichen Möglichkeiten und nie endender Ekstase, die L.A. für diesen jungen Menschen bedeuteten.

Dieser Reifeprozess spiegelt sich auch in seinen späteren Alben wider. Während »Warlord«, das im Februar 2016 erschien, die psychotische Zeit in Miami tief in sich und seinem kühlen, unverblümten Sound festhält, lösen sich verhärtete Fronten in Alben wie »Stranger« aus dem Jahr 2017 oder »Starz« aus 2020 wieder auf. Leans Rap-Stil wird melodischer, die Texte wirken persönlicher; oftmals werden die Traumata seiner verwobenen Jugend in ihnen verarbeitet. Er arbeitet mit Künstler*innen wie FKA twigs oder Jack Donoghue von Salem zusammen und veröffentlicht 2024 die EP »Psykos« mit Bladee. Für das Projekt engagieren sie die Produzenten Silent$ky und Palmistry. Letzterer verbringt einige Wochen mit Bladee und Lean in Thailand, um Songs aufzunehmen und in der Freizeit The Smiths zu hören. Am Ende entsteht ein gitarrenlastiges Werk, das den Cloudrap-Ursprung der beiden Rapper nur mehr erahnen lässt.

What life is all about

Seit Jahren schon veröffentlicht Yung Lean Indie-Alben unter seinem Alter Ego Jonatan Leandoer96. Er begeistert sich für Daniel Johnston, Björk und Arthur Russell und lässt deren Einfluss immer deutlicher auf seinem Hauptprojekt aufscheinen. »Jonatan«, erschienen am 2. Mai 2025, ist ein experimentelles Album, auf dem Yung Lean weniger rappt als singt – wie gewohnt mit schleppender, melancholischer Stimme. Produziert wurde es von Whitearmor und Rami Dawod, die Leans Vision eines rohen Lofi-Sounds verwirklichten und damit einen anderen Weg ansteuerten als die cleanen, futuristischen Beats von Sherman und Gud. Es dominieren scharfe Drums und verzerrte E-Gitarrenriffs, die mal schauerlich und mal verspielt klingen – besonders auf der Leadsingle »Forever Yung«. Für das dazugehörige Musikvideo führte Aidan Zamiri Regie, der bereits zuvor für das Video zu »Bliss« von Yung Lean und FKA twigs bestellt wurde. Er inszeniert Lean auf dem Weg zu seiner eigenen Beerdigung; eine Fahrt durch die Vergangenheit mit symbolträchtigen Metaphern auf dem Weg: Kanelbullar auf dem Küchentisch, Lean im Uncle-Sam-Kostüm, 1996 und 2001 aufgedruckt auf Bikinihosen.

»Jonatan« bildet die Retrospektive auf ein bewegtes, wenn auch nicht einmal 30-jähriges Leben, das über den Wolken stattfindet und gleichzeitig den Boden unter den Füßen vermisst. Ein Balanceakt, in den Yung Lean hineinwachsen musste. Nun feiert er Silvester mit Salma Hayek in Washington und kehrt anschließend zurück nach Södermalm, um sich an das langsame Tempo der dort ansässigen Pensionist*innen anzupassen. Als Jugendlicher reichte ihm seine Heimat nicht, er fand wenig Positives an dem, was simpel und berechenbar war. Heute spricht er wohlwollend über sie: »It’s really cool to walk the streets of Stockholm and get Thai takeout. Life doesn’t get much better than that«. Eine Erkenntnis, die für einen weißen Rapper aus gutem Elternhaus wohl spürbarer ist als für jene, die nichts anderes als den Imbiss ums Eck kennen.

Wer sich das neue Album live zu Gemüte führen will, hat beim Tourstopp am 10. November 2025 im Wiener Gasometer Gelegenheit dazu.

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