© Patrick Münnich, www.instagram.com/patrickmunnich 
© Patrick Münnich, www.instagram.com/patrickmunnich 

Jonestown jingle jangle

Seit über 30 Jahren führt Anton Newcombe seine metamorphe Band The Brian Jonestown Massacre an. Auf 20 Studioalben, 14 EPs und etliche internationale Tourneen folgt 2025 eine weitere Tour durch Europa und Großbritannien. Am 5. Mai machten sie Halt in der Arena Wien.

Als Reinkarnation des Rock geht Anton Newcombe seit den 1990er-Jahren durch die Welt, in seinem Fleisch und Blut akkumuliert er die Seelen unzähliger Legenden, flüchtiger Bekanntschaften, langjähriger Musikgeschichte und innovativer Kunstbewegungen. Geboren 1967 in Newport Beach, Kalifornien, wächst er als Sohn eines alkoholkranken, schizophrenen Vaters auf, wird regelmäßig von der Polizei festgenommen und schreibt schlechte Noten. Die Schule beschreibt Newcombe als frustrierenden Ort, für den sein Kopf zu langsam war. Was seine Aufmerksamkeit dagegen mühelos anzog, war die Plattensammlung seiner Schwester. Mit 23 Jahren zieht er nach San Francisco und gründet The Brian Jonestown Massacre. Der Bandname kombiniert den Namen von Brian Jones, dem berüchtigten Gitarristen und Gründungsmitglied der Rolling Stones, und dem Jonestown Massacre, einem Massensuizid der neureligiösen Gruppierung Peoples Temple im Jahr 1979.

Say no to everything

Seit Anbeginn führt Newcombe seine Band nach eigener Vision an. Mitglieder kommen und gehen; mal besteht das Projekt aus acht Personen, mal nur aus Newcombe allein. Insgesamt sollen bereits 40 Musiker*innen Teil gewesen sein. Beeinflusst vom Psychedelic Rock der 1960er und inspiriert von aktuellen Shoegaze-Bewegungen bringt The Brian Jonestown Massacre einen Sound hervor, der aus der Zeit gefallen und gleichzeitig nie dagewesen scheint. Dabei werden direkte Einflüsse nicht verschleiert, sondern als Hommage durch Wortspiele oder Neuinterpretationen betont (z. B. bei den Albumtiteln »And This Is Our Music« aus dem Jahr 2003 oder »My Bloody Underground« aus dem Jahr 2008). Die Band schafft es früh, die Aufmerksamkeit der Szene auf sich zu lenken und ihr Potenzial vor Musiklabels zu beweisen. Um dieses Potenzial jedoch tatsächlich auszuschöpfen, müssten Konventionen eingehalten werden, gegen die Newcombe sich sträubt. Statt Deals hinterherzujagen und Kompromisse einzugehen, will er seinen eigenen Kopf durchsetzen, stellt die Musik an vorderste Stelle und seine Karriere an die letzte. 2008 gründet er dann sein eigenes Label A Records.

© Patrick Münnich, www.instagram.com/patrickmunnich

Dig!

Im Jahr 2004 ist Newcombes eigener, oftmals sturer Kopf in Verruf geraten. Über acht Jahre hinweg (1996–2003) begleitet die Filmemacherin Ondi Timoner sowohl The Brian Jonestown Massacre als auch die befreundete Band The Dandy Warhols auf ihrem Werdegang und kündigt einen Film an, der unabhängige Musiker*innen porträtieren soll. Was 2004 auf dem Sundance Film Festival unter dem Titel »Dig!« Premiere feiert, ist jedoch weniger eine Musikdokumentation als die dramatische Inszenierung zwischenmenschlicher Konflikte. Newcombes rücksichtsloser Umgang mit seinen Bandmitgliedern, seine Drogeneskapaden und handgreifliche Streitereien auf Konzertbühnen prägen das Bild der Band und die Erzählstruktur des preisgekrönten Films. 

Auf der anderen Seite werden The Dandy Warhols als Streber*innen der Industry dargestellt, die ihren Sound mit dem Erfolg in Pop-Strukturen pressen. Beide Bands beschweren sich nach Veröffentlichung über diese Darstellungsweise, versuchen sich zu rechtfertigen, doch der Medienaufruhr nach »Dig!« begleitet The Brian Jonestown Massacre nachhaltig. 2024 wurde dann ein neuer Schnitt des Films unter dem Titel »Dig! XX« veröffentlicht. Dieser enthält 40 Minuten mehr Material und wird kommentiert von Joel Gion, dem illustren Tamburinspieler von The Brian Jonestown Massacre. In einer Lesung seiner Autobiografie »In The Jingle Jangle Jungle«, die er im selben Jahr publizierte, erklärt Gion, die neue Version des Films würde die damals gezeigten Geschehnisse in den nötigen Kontext setzen.

Same old, same old

Doch wie viel kann ein dichter Kontext aufwiegen, wenn stetig neuer Aufruhr um Newcombe und seine Band aufwirbelt? Den Drogen hat er mittlerweile abgeschworen, bemüht sich um seine beiden Söhne und ist seit über 30 Jahren unaufhaltsam in seinem musikalischen Schaffen. Er spielt etliche Instrumente, schreibt die meisten Songs für The Brian Jonestown Massacre alleine, kümmert sich oftmals selbstständig um die Postproduktion der Alben, produziert Alben für andere Bands wie Dead Meadow und schreibt sich seine Unabhängigkeit bei all seinem Tun groß auf die Fahne. Sein Leben hat er der Musik gewidmet, seinen Ideen, ohne sich vom Weg abbringen zu lassen. Doch die Ausreißer, die »Dig!« in Szene setzt, passieren auch heute noch. Im Jahr 2023 gab es Tumulte während eines Auftritts in Melbourne, bei dem erst der ehemalige Gitarrist Ryan Van Kriedt einen Zuschauer angriff und dann selbst von Newcombe mit seiner Gitarre geschlagen wurde. Der Rest der Tour wurde daraufhin abgesagt.

© Patrick Münnich, www.instagram.com/patrickmunnich

Where would we be now?

Lange Zeit schien es, als würden viele vor allem auf ein Konzert von The Brian Jonestown Massacre gehen, um zu sehen, wie sich auf der Bühne gefetzt wird. Zum Großteil hat sich das Blatt aber zugunsten der Musik gewendet. So auch am 5. Mai 2025 in der großen Halle der Arena Wien. Newcombe wird vor Konzertbeginn noch an der Bar gesichtet, dann spielen Errorr aus Berlin ein einheizendes Warm-up. Bald darauf tritt The Brian Jonestown Massacre in aktueller Formation auf die Bühne: Anton Newcombe, Ricky Maymi und Hákon Aðalsteinsson Gitarre, Collin Hegna und Hallberg Daði Hallbergsson Bass, Emil Nikolaisen Keys, Joel Gion Tamburin und Uri Rennert Schlagzeug. Die Musiker geben Songs aus insgesamt 13 Alben zum Besten, wirken dabei routiniert, konzentriert und nach einer Weile stößt Gion ein herzhaftes Gähnen hervor – eine so lange Zeit an Ort und Stelle zu stehen, muss anstrengend sein. 

Mit zittriger Stimme bedankt sich Newcombe während des Sets beim Publikum für das zahlreiche Erscheinen. Das Konzert ist zwar nicht ausverkauft, doch die große Halle ist reichlich gefüllt; bis auf die Tribünen am Ende des Raumes stehen Menschen aller Altersgruppen und tanzen zu »That Girl Suicide«, »Pish« und »Forgotten Graves«. Auch nach über 30 Jahren sind so große Konzerte nicht selbstverständlich für diese Band. Erst im Jänner traten sie gerade mal vor ein paar hundert Besucher*innen in Hamburg auf. Und doch spielen sie, egal wo, egal wie lang, für die Musik und für jene, die daran teilhaben wollen. In einer Pause zwischen zwei Songs hört man Rufe aus dem Publikum, die »Open Heart Surgery« einfordern. Newcombe antwortet nur: »I don’t take requests. I never have. Because if I ever did, where do you think we’d be now?«.

© Patrick Münnich, www.instagram.com/patrickmunnich

Link: https://www.thebrianjonestownmassacre.com/ 

Home / Musik / Konzert

Text
Ariana Koochi

Veröffentlichung
13.05.2025

Schlagwörter

favicon

Unterstütze uns mit deiner Spende

skug ist ein unabhängiges Non-Profit-Magazin. Unterstütze unsere journalistische Arbeit mit einer Spende an den Empfänger: Verein zur Förderung von Subkultur, Verwendungszweck: skug Spende, IBAN: AT80 1100 0034 8351 7300, BIC: BKAUATWW, Bank Austria. Vielen Dank!

Ähnliche Beiträge

Nach oben scrollen