Robert Smith © Sam Rockman
Robert Smith © Sam Rockman

»Broken voiced lament to call us home«

16 Jahre nach ihrem letzten Release haben The Cure endlich ihr lang erwartetes neues Album »Songs of a Lost World« veröffentlicht und mit einer 3-Stunden-Show im Live-Stream präsentiert. Klingt nach Nostalgie? Ja, und das ist gut so.

Das neue The-Cure-Album ist da und das erste, was auffällt, ist, dass sie auf den Algorithmus pfeifen, der kürzere Tracks bevorzugt. Die Stücke auf »Songs of a Lost World« dauern im Schnitt 6 Minuten; das kürzeste ist »Warsong« mit 4:17, das längste »Endsong« mit epischen 10:23; und Robert Smith fängt oft erst auf halber Strecke zu singen an. Das gibt viel Platz für Atmosphäre und komplexe Songstrukturen, wie sie im zeitgenössischen Mainstream selten geworden sind. Aber The Cure haben es auch nicht nötig, sich an Spotify & Co. anzubiedern.

»This is the end of every song we sing«

Das zweite, was auffällt, ist, dass alles klingt, als würde man’s schon kennen. Um nicht zu sagen: als wär’s schon dagewesen. Diese Melodie, diese Textzeile, dieses Gitarrenriff, dieser Drumbeat, alles erinnert an eine andere Melodie, eine andere Textzeile, ein anderes Riff, einen anderen Beat, die The Cure schon in einem anderen Song auf einem anderen Album angeschlagen haben. Die einen tönen nach Pop-Cure in ihrer »Kiss Me, Kiss Me, Kiss Me«- oder »Wish«-Ära (»A Fragile Thing«, »Drone:Nodrone«, »All I Ever Am«), die anderen nach Goth-Cure, wie man sie z. B. von »Desintegration« oder »Pornography« kennt (»Alone«, »Warsong«, »I Can Never Say Goodbye«). Das ist nichts Schlechtes, es ist vielmehr, was viele Fans sich von diesem Release erwartet haben, und sie werden nicht enttäuscht, im Gegenteil: Wer der Band schon seit Langem folgt, und wer tut das nicht, dessen nostalgische Bedürfnisse werden voll befriedigt. Ergänzt um eingängige Melodien, die teilweise schon bei den Live-Shows der letzten fünf Jahre zu hören waren, und einige der vielleicht besten Textzeilen, die je aus Robert Smiths Feder geflossen sind, wird »Songs of a Lost World« zum instant Klassiker, der sich nahtlos ins bisherige Oeuvre der Band einfügt.

»Something wicked this way comes«

The Cure erfinden sich also bei Album Nr. 14 nicht neu, sondern bleiben als Soundschuster bei ihren bewährten Leisten. Die Spannweite dessen, was »nach The Cure klingt«, ist nach fast 50 Jahren Bandgeschichte aber auch breit genug und ehrlich gesagt hat nach 16 Jahren Pause niemand mehr so recht mit einem neuen Album gerechnet, obwohl Smith seit 2019 ein solches angekündigt hatte. Aber er redet auch seit Jahren davon, das Handtuch zu werfen und die Band in Pension zu schicken. Das nächste Finale ist übrigens für 2029 anvisiert, da wird Smith 70 und das erste The-Cure-Album 50. Wer’s glaubt. Bis dahin sollten sich jedenfalls noch ein paar Tonträger ausgehen, denn Interviews zufolge ist nur ein Bruchteil der Songs, die Smith in den letzten Jahren geschrieben hat, auf diesem 50-Minuten-Release vereint. Einige Lieder wurden sogar ersetzt, weil man den Hörer*innen nicht zu viel Schwermut auf einmal zumuten wollte, und an ihrer Stelle ein paar leichtere, weniger düstere Nummern (vgl. Pop-Cure) eingestreut. Persönliche Favoriten bleiben dennoch die auf der melancholischeren Schiene: »Alone«, der verglühende Komet, dem der Rest des Albums folgt, »Warsong«, der verzweifelte Klageschrei gegen den Weltschmerz, und »I Can Never Say Goodbye«, die Trauerhymne, die Smiths verstorbenem Bruder gewidmet ist.

»Promise you’ll be with me in the end«

Es dürfte also in den kommenden Jahren allen Schwanengesängen zum Trotz noch einige neue Veröffentlichungen und natürlich auch Live-Auftritte geben. The Cure sind ja eine legendäre Live-Band, wie sie auch bei der »Songs of a Lost World« Release-Show am 1. November 2024 im Troxy in London unter Beweis stellten, die Live-Stream sei Dank in Gruftie-Wohnzimmer in aller Welt übertragen wurde, und mit kreischenden Gitarren und dröhnendem Bass klingen selbst die poliertesten Songs vom neuen Album noch ein bisschen besser. Auch längentechnisch fügen sich die Stücke gut in die gewohnt ausufernden Live-Sets und man darf sich schon jetzt auf »Alone« als Show-Opener bei der nächsten The-Cure-Tour freuen. Bis dahin am besten einfach nochmal den Stream vom Release-Konzert hören und Liedern einer (noch nicht) verlorenen Welt lauschen.

 

The Cure: »Songs of a Lost World« (Capitol, Fiction, Lost, Polydor, Universal)

Link: https://www.thecure.com/

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