»Der Platzhirsch ruft« © Viertelfestival Niederösterreich
»Der Platzhirsch ruft« © Viertelfestival Niederösterreich

Ökologisches und klingendes Mostviertel

»Bodenkontakte« en masse. Herausgeklaubt aus dem noch bis Ende Oktober 2021 laufenden Viertelfestival Niederösterreich: Projekte wider die Bodenversiegelung und die famosen blasmusikalischen Umtriebigkeiten von Andreas Pranzl – übrigens nicht verwandt mit dem Autor –, die in Mank ein Finale erleben.

Ganz abgehoben ist das diesjährige Motto »Bodenkontakt« des Viertelfestival Niederösterreich nicht. Immerhin wurde und wird in einigen Projekten Widerständiges gegen das gravierende Fiasko der fortschreitenden Bodenversiegelung – dem Politik/Behörden Einhalt gebieten könnten, wenn sie nur wollten – in der Alpenrepublik gewidmet: Im Naturparkzentrum Ötscher-Basis in Wienerbruck thematisierte Jürgen Thoma im August die Schrumpfung natürlicher Lebensräume mit Fotos an der Fassade des Gebäudes. Traum und Wirklichkeit können weit auseinanderklaffen, je nachdem, wo Mensch sich befindet. Bevor die Industrialisierung der Landwirtschaft einsetzte, hatten die Bauern noch einen ökologischen Umgang mit ihrer Umwelt. »Zu Grund und Boden« nannte sich in Wieselburg eine Performance von Akino und Agnes Distelberger mit Volksmusik, zeitgenössischem Tanz sowie Video- und Sound-Installationen über das Leben ihrer Oma Theresia, einer ehemaligen Kleinbäuerin. Aufführungsort war der nun bezeichnenderweise leerstehende Bauernhof der Familie.

»Zu Grund und Boden« © Viktor Thiery

Kleine, aber feine Flecken Erde
Die Agrarlobby hat den Funktionären des Bauernbunds eingebläut, dass es ohne Kunstdünger scheinbar nicht geht. Da ist zumindest die Wirtschafts- und Musikmittelschule Waidhofen/Ybbs viel weiter. Ingrid Mühlbachler lanciert dort noch bis Ende Oktober »Auf meinem Fleckchen Erde … Eine kreative Erforschung der Umgebung«. Schüler*innen hinterfragen dabei Umweltgefahren durch Düngemittel, Monokulturen oder Verbauung kritisch. Die ökologische Bedeutung der wurzellosen Moose, die für den Wasserhaushalt in Wäldern enorm wichtig sind, thematisieren Waltraud Glänzel und Claudia Kubelka mit der noch bis 18. September in Annaberg laufenden Ausstellung »Rein ins Moos. Kontakt zu faszinierenden Bodendeckern«. Und schlussendlich sei noch auf eine denkwürdige Intervention im öffentlichen Raum verwiesen. »Ein kleiner Flecken Erde. Errettung einer Kleinstfläche« reflektiert in Böhlerwerk die Endlichkeit von Ressourcen. Poetischen Widerstand liefert ein mit einer Stahlplatte überdachter Parkplatzteil, auf dem u. a. Barbarakraut, Beifuß, Hirtentäschel, Große Klette, Knopfkraut, Wilde Malve, Nachtkerze, Rainkohl, Gelber Steinklee oder Wegwarte wuchern. Ambientconsult – Landschaftsarchitektur, dahinter stecken Alois Graf und David Dobetsberger, lädt anlässlich dieser Installation am 18. September zu einer Podiumsdiskussion mit der Raumplanerin und Universitätsprofessorin Gerlind Weber, bei der die grassierende Bodenversiegelung und die daraus resultierenden negativen Begleiterscheinungen in die Mangel genommen werden. Sigrid Horn liefert mit ihrer Band den passenden Konzert-Soundtrack dazu. Mit ihrem Anti-Zubetonier-Lied »baun« gewann die Singer/Songwriterin vor einigen Jahre den FM4-Protest-Song-Contest.

»Auf meinem Fleckchen Erde« © Christian Wagner

Der Arrangeur/Komponist/Musiker Andreas Pranzl und Roman Britschgi (Jazzbassist und Kurator), bilden ein großartiges Gespann. Nachdem sie 2019 mit Joshua Dolgin aka Socalled fürs Klezmore Festival jiddisches Liedgut mit der Lungau Big Band in neuem Strahlenglanz entzündeten, zog/zieht heuer ein Viertelfestival-Gastspiel in den Bann. Neu dazugesellt hat sich Matthias Lackenberger, der den mächtigen Lärm einer Hammerschmiede elektronisch verfremdet in neue Sphären transferiert. Auch das Schüren des Feuers oder das Kühlen von geschmolzenem Eisen durch die Kunstschmiede Roman Britschgi und Bartholomäus Kinner gaben den Takt vor, als am 8. August in der Schauschmiede Treffenguthammer in Hollenstein an der Ybbs das Viertelfestival-Projekt »Eisen und Weisen. Tradition ist Jetzt« über die Bühne ging. Weisen meint das durchaus nicht brachiale, sondern eher samtene Verschmelzen der Schmiedegeräusche mit den Volksliedern aus dieser Region der Eisenstraße, die Blechbläser der Musikkapelle Hollenstein intonierten.

Lackenberger hat auch die Geräusche, die beim Mostmachen entstehen, aufgenommen. Authentische Field Recordings aus dem Mostviertel! Der Aufprall von vom Baum fallenden Mostbirnen (lateinisch »Pyrus«), das Klauben des Mostobstes, der Gärungsprozess, heruntertropfende Maische, der Klang von Holzfässern, quietschende Mostkellertüren oder der Klang von Holzfässern fließen als elektronische Loops in zehn Kompositionen, die am 11. September gemeinsam mit der Stadtkapelle Mank aufgeführt werden. »Pyrus. So schmeckt der Mostklang« titelt die Veranstaltung, bei der auch neuartige Mostproduktionsweisen vorgestellt werden und Most- und Schmankerlverkostungen obligat sein werden. Damit die Gurgl nicht verrostet, wird der Kabarettist Thomas Franz-Riegler mit launigen Kommentaren durch den Abend führen.

»Pyrus« © Christine Lochmann

Viertelfestival Niederösterreich, noch bis 31. Oktober 2021

www.viertelfestival-noe.at

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Text
Alfred Pranzl

Veröffentlichung
30.08.2021

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