Am Samstag, dem 2. Dezember 2017 fand in Wien eines der denkwürdigsten Konzerte der letzten Jahre statt: Deutsch Amerikanische Freundschaft, kurz und knackig DAF, in der Grellen Forelle. Oder auch: die Techno-Wegbereiter im beliebtesten Techno-Club der Stadt. Es war deshalb so denkwürdig, weil zum einen Konzerte des Duos Delgado/Görl eine Rarität darstellten und zum anderen beide an diesem Abend vor Energie und Explosivität nur so strotzten.
Robert Görl thront an seinem Schlagzeug, vor karger Bühnendeko, nämlich nicht mehr als einem nüchternen DAF-Poster, ist vollkommen fokussiert, trägt immerzu ein mildes Lächeln. Gabi Delgado hingegen tigert von der ersten Sekunde an im Flackerlicht über die Bühne, die Gestik fesselnd, die Mimik betörend. Sein schwarzes Hemd glänzt klitschnass, seine behaarte Brust und seinen strammen Bauch hat er entblößt. Wieder und wieder leert er sich eine Flasche Wasser über das millimeterkurze dunkle Haar. »Oh, ich bin so glücklich / Und mir ist so schwindlig / Mein Herz macht Bumm / Bumm / Bumm Bumm«.
Delgado krempelte den Punk um
Gabriel Delgado-Lopéz kam am 18. April 1958 im spanischen Córdoba zur Welt. In den ersten Lebensjahren war die Großmutter seine Hauptbezugsperson. Die Eltern lebten in Deutschland, wohin der Vater vor dem Franco-Regime geflüchtet war. Als Gabi Delgado acht Jahre alt war, holten ihn die Eltern nach Deutschland. Die Familie ließ sich im Rheinland nieder. Dort entdeckte Delgado als Teenager den Punk, wo sonst als im Düsseldorfer Underground-Treffpunkt Ratinger Hof. Er veröffentlichte ein Fanzine namens »Ostrich«, war Teil von Bands wie Mittagspause oder Charley’s Girls. Eigentlich, so betonte es Delgado später, konnte er mit Punkmusik gar nicht so viel anfangen. Sie war ihm zu sehr Rock’n’Roll, zu altbacken. Also krempelte Delgado den Punk um.
Härte und Hedonismus
Sein Mitstreiter bei dieser mittelgroßen Revolution war Robert Görl, ein drei Jahre älterer Münchner, der gerade sein Jazz-Studium abgebrochen hatte. Görl und Delgado gründeten Deutsch Amerikanische Freundschaft, zusammen mit Kurt Dahlke, Michael Kemner (beide später u. a. bei Fehlfarben) sowie Wolfgang Spelmanns. Die Band hatte in der Szene rasch einen Sonderstatus. Synthesizer statt E-Gitarren, die Texte zwischen Dada und Militärdiktion, die Ästhetik zwischen Riefenstahl und BDSM. Und bei all der Inszenierung von Kälte und Härte gleichzeitig radikaler Hedonismus. DAF entzog sich der Möglichkeit zur Einordnung – aber definierte ein neues Genre: die sogenannte Electronic Body Music. Abseits der Homebase Ratinger Hof stieß DAF meist auf Skepsis, Irritation, Unverständnis. Allein der Name, ein synchrones Zitieren von Linksterrorismus und Transatlantizismus, dann die Texte, da singen sie im gleichen Atemzug von »Mussolini«, »Hitler«, »Jesus Christus«, und dazu der ausgestreckte rechte Arm. DAF ließ das alles für sich stehen. Entgegen hielten sie höchstens eine paradigmatische Songzeile: »Tu, was du willst«.
Der Durchbruch
1980 verließ DAF Düsseldorf gen London. Dort folgte ein Deal mit dem Major-Label Virgin – ein weiteres No-Go für Punks –, die Schrumpfung der Band auf das Duo Delgado/Görl und schließlich der internationale Durchbruch. Nach drei Alben in drei Jahren (»Alles ist gut«, »Gold und Liebe«, »Für immer«) war aber auch schon wieder Schluss mit Big Business. Und dennoch war diese kurze Periode einschneidend. DAF beeinflusste die weitere Entwicklung von Punk und Wave, wies den Weg für Industrial und House. Die Wucht, mit der DAF damals einschlug, reicht bis zur Techno-Kultur der Gegenwart. Nicht nur hinsichtlich der soundästhetischen Dimension – Härte, Reduktion, Repetition –, sondern auch des Lifestyles: Durch DAF, man muss sagen durch die Person Delgado, verschmolz freie Sexualität und elektronische Musik zu einem festen Gemisch.
Unvergesslicher Tausendsassa
Nach der Auflösung von DAF (es kamen noch mehrere Reunions und neuerliche Trennungen), wandelten sowohl Görl als auch Delgado auf eigenen Pfaden. Mit seiner ersten Soloplatte »Mistress« bewegte sich Delgado in den Gefilden von Jazz und Funk – wieder eine Absage an das bisher Gewesene. 2003 erschien mit »Fünfzehn neue DAF-Lieder« das erste Album seit den frühen 1980ern, zu einer langfristigen Reunion rangen sich Delgado und Görl aber nicht durch. Ab 2010 spielten sie wieder regelmäßig Konzerte. Delgado, mittlerweile in Spanien beheimatet, veröffentlichte in der Folge zwei weitere Soloalben. Wie es sich für einen Mann seines Formats gehört, war Delgado über all die Jahre stets ein Tausendsassa: Sänger, Produzent, Komponist, DJ und Aktivist, ebenso Partyveranstalter, Dichter sowieso. Die Tatsache, dass er zu den prägendsten Figuren der elektronischen Musik überhaupt zählt und sich seine Existenz noch lange in zahlreichen Techno-Clubs rund um die Welt widerspiegeln wird, schien ihn nie groß zu bewegen. Gabriel Delgado-López wurde 61 Jahre alt.