Sun Worship © Ulrike Bernard
Sun Worship © Ulrike Bernard

Von Kellerkindern und Höhlenmenschen

Mit »Emanations of Desolation« veröffentlichen Sun Worship ein neues Album, ihr erstes in Duobesetzung. Lars Ennsen und Bastian Hagedorn sprachen mit skug über den veränderten Arbeitsprozess zu den Aufnahmen des Albums, den neuen Sound der Band und ihr Selbstverständnis als (Black) Metal Band.

Das letzte Album, das Sun Worship in der ursprünglichen Triobesetzung einspielten, erschien 2016 unter dem Titel »Pale Dawn«, auf dem Cover ein Sternenhimmel. Bald darauf sollte für die deutsche Black-Metal-Band, die sich innerhalb kurzer Zeit auch international einen Namen gemacht hatte, tatsächlich eine neue Zeit anbrechen, denn Gitarrist Felix verließ nach einer letzten gemeinsamen Show in Island Ende 2017 die Band und mit der Personalfrage stand auch die Zukunft von Sun Worship in den Sternen.

Der Himmel über Island
Weitermachen, ja oder nein? Erfreulicherweise entschieden sich Bastian und Lars weiterzumachen. Felix, Bastian, Lars … die Namen der auch nicht mehr so jungen Männer stehen hier nicht umsonst so harmlos hingeschrieben, als handele es sich um Protagonisten einer Daily Soap und nicht um Akteure in einem musikalischen Genre, dessen Ursprünge buchstäblich im Dunklen liegen (bestenfalls spärliches Kerzenlicht wurde im Helvete-Keller geduldet) und das bis in die Gegenwart hinein immer wieder musikalisch interessante aber – gleichzeitig – politisch fragwürdige Blüten treibt (es ist nicht nur die korrekte Aussprache des Namens der polnischen Band Mgla, die Fragen aufwirft). Ebenso gibt es eine große Szene, die sich der Kontaktschuldfrage nicht gereizt, mit Achselzucken und Augenrollen, sondern mit nüchtern wahrgenommener Verantwortung nähert. Sun Worship gehören in dieses Milieu, ihr Label Vendetta Records ist in Deutschland vielleicht das wichtigste, das eine internationale Black-Metal-Szene repräsentiert und verlegt, die sich über die musikalische Bedeutung früher Burzum-Platten genauso zweifelsfrei im Klaren ist wie um den vollumfänglichen Deppenstatus von Kristian »Count Grishnackh« Vikernes. Es ist nicht ganz unwichtig für die Rezeption von Sun Worship, ein paar Diskursschleifen zu drehen, denn in poplinken Kreisen ist die Faszination für Black Metal begleitet von (berechtigter) Skepsis gegenüber Akteur*innen und Bands in der Extreme-Metal-Szene, von der jedoch wiederum viele popaffine Rezensent*innen kaum mehr als einen blassen Schimmer haben, da kann Stephen O’ Malley mit Sunn O))) noch so viele Platten veröffentlichen – andere Baustelle. Sun Worship spielen auch keinen Post Black Metal, dieses rhetorische Feigenblatt können wir uns sparen, es bedarf auch keiner darüber hinausgehenden (pseudo-)avantgardistischen Klimmzüge, um sich die Band im Plenum eines linken Jugendzentrums schön zu reden.

Sun Worship © Ulrike Bernard

Unter der Erde
Sun Worship spielen Metal, der im Kern noch immer Black Metal ist, aber zum Duo geschrumpft geht es schmutziger, gewissermaßen gröber und primitiver zur Sache. Das verdeutlicht schon das Cover des neuen Albums. Da sitzen wir mit Sun Worship unter der Erde, in einer Höhle. (Die Abbildung geht sicher als fotografische Hommage an legendäre Dan-Seagrave-Cover durch.) Zu Zeiten des Vorgängers »Pale Dawn« ging der Blick noch – wie eingangs erwähnt – gen Himmel, der, in kühlem Lila-Blau gehalten, dem kalten Black-Metal-Sound des Albums entsprach. So weit, so genretreu – und warum auch nicht? Auf »Emanations of Desolation« schlägt die Band nun Töne an, die den Sound der Band zwischen den Polen Black und Death Metal oszillieren lässt, mit Anleihen an so gegensätzliche musikalische Genres wie Crust Punk und Dark Ambient. Diese Art von Mix ist an sich nichts Neues und auch kein Alleinstellungsmerkmal. Der Begriff fiel schon: Am vorläufigen Ende der (Metal-)Geschichte steht bis auf weiteres der Extreme Metal, ein Hilfsbegriff zur Sammlung all der Musik, die sich (nach der Erfindung des Black Metal und der Überwindung von Nu Metal) über stilistische Grenzen hinweg im langhaarigen Marktsegment finden lässt. Woran merkt man das bei Sun Worship? Der Gesang ist eher gebrüllt bzw. gebellt und nicht gekeift oder geschrien, ein paar Klargesangpassagen leistet sich das Duo auch! Ist das noch trve? Falsche Frage bzw. gehe zurück auf »Los!« und lies von vorne.

Dead is dead
Es ist nicht notwendig, kleingeistig und konventionell an den Lehren alter Schulen zu kleben. Und schon damals galt, wer nur von Black Metal Ahnung haben will, versteht auch davon nichts: Die letzte Platte, die Euronymous vor der Ermordung durch Varg Vikernes angeblich gehört haben soll, war Klaus Schulzes »Cyborg«. Mit dem Intro »Zenith« und »Pilgrimage« finden sich auch auf »Emanations of Desolation« zwei Ausflüge ins Instrumental-Atmosphärische, vor allem »Pilgrimage« überzeugt (musikalisch allerdings näher an Carpenter denn Schulze). Abgesehen von diesen beiden Titeln geht es allerdings knüppelhart zur Sache. Die Gitarre ist hie und da tiefer gestimmt und das Schlagzeug hetzt nicht nur, es holzt auch angenehm und momentweise rockt es auch, wie bei »Soul Harvester«, einem der eingängigsten Titel des Albums. Insgesamt erinnert die ungezwungene Herangehensweise des Duos wiederholt an mittlere bis späte Darkthrone, die sich über das letzte Jahrzehnt hinweg ja ebenfalls freigespielt haben und sich heute nach Lust und Laune in der metallischen Stilgeschichte bedienen. (Nebenbei bemerkt: die letzte Darkthrone »Old Star«, auch sehr gut.) Dieser Vergleich gilt jedoch nur eingeschränkt, denn zum einen: Welche Black Metal Band steht nicht in den ausgelatschten Stiefeln von Fenriz und Nocturno Culto, auch wenn Bastian und Lars auf schillernde (wahlweise auch alberne) Pseudonyme verzichten. Zum anderen: Ganz so kauzig geht es bei Sun Worship auch nicht zu. »Emanations of Desolation« ist zwar ein Doppelalbum, aber es ist straff durchkomponiert, leistet sich keine Durchhänger und fällt auch nicht durch gewöhnungsbedürftige Eigenheiten auf (Kauzfaktor: Null – aber das kann über die Jahre hinweg ja noch werden). In seiner dunklen aber auf Mumpitz verzichtenden Ästhetik kann es auch in der Nachbarschaft vieler zeitgenössischer US-Black-Metal-Bands wie Yellow Eyes, Vukari und Void Omnia oder den kanadischen Spectral Wound verortet werden und unabhängig von all dem markiert es die selbstbewusste Rückkehr einer Band, um die es schade gewesen wäre, wenn sie sich nicht zusammengerissen und weitergemacht hätte.

skug: Ende 2017 habt ihr eure letzte Show als Trio gespielt, was hat euch danach bewogen, als Duo weiterzumachen, und wie hat sich die Zusammenarbeit im Duo bis zur Veröffentlichung von »Emanations of Desolation« gestaltet? Was hat sich verändert?
Lars Ennsen: Anfang August 2017 war das, auf dem Nordanpaunk Festival in Island. Es war als schöner Bandabschlussausflug gedacht, nur dass Bastian und ich quasi direkt wieder Blut geleckt haben. Wir haben uns danach ein paar Monate Auszeit gegönnt, mit dem Plan, von jeglicher eigener sowie fremder Erwartungshaltung befreit, den Dingen freien Lauf zu lassen. Wir hatten beide das dringende Gefühl, dass wir mit Heavy Metal im Allgemeinen und der Band im Speziellen längst nicht fertig waren. Zunächst stand auch noch die Idee im Raum, eine weitere, neue Person hinzuzuziehen, aber wir haben schnell festgestellt, dass es nicht nur zu zweit viel besser funktioniert als erwartet, sondern es irgendwie auch geiler ist, noch direkter, noch reduzierter. Wir singen jetzt beide gleich viel; das Schlagzeugspiel von Bastian, das immer schon immens wichtig für die Band war, rückt wahrnehmbar noch weiter in den Mittelpunkt, gerade auf der Bühne. Die Hierarchien (hinten das Schlagzeug, vorne Gitarren und Gesang), die für uns auch vorher nie existiert haben, werden nun auch auf visuell erfahrbarer Ebene aufgelöst. Zum Songwriting: Früher haben wir uns regelrecht gefetzt, mittlerweile wissen wir, dass der Input des anderen die eigenen Ideen aufwertet bzw. dass das, was die Band zu dem macht, was sie ist, was sie von anderen abhebt, eben unsere Zusammenarbeit ist. Der einzige negative Aspekt, der mir zur Arbeit an der neuen Platte einfällt: Wir haben uns teilweise derart in einen Rausch geschrieben, dass ich bei manchen Parts auf »Emanations of Desolation« rückblickend denke, dass wir uns ein bisschen mehr Zeit hätten nehmen sollen, um an Details zu arbeiten.

Bastian Hagedorn: Für mich hatte die personelle Veränderung zur Folge, dass ich mir viel intensiver Gedanken zu den rhythmischen Spannungsbögen der Songs machen musste, um die Dramatik, die eine zweite Gitarre ermöglicht, auszugleichen. Und es war natürlich grundsätzlich eine große Herausforderung und unser Anspruch, auch als Duo weiterhin und ohne Abstriche machen zu müssen im Studio und – vor allem dann auch auf der Bühne – die volle Power zu entfalten.

Das neue Album hat einen dreckigeren und direkteren Sound als der Vorgänger »Pale Dawn«. (Inwiefern) ist die musikalische Veränderung der reduzierten Besetzung geschuldet (eine Gitarre weniger ist eine Gitarre weniger)? Gibt es Alben aus den letzten drei Jahren, die euch bei eurer eigenen Arbeit inspiriert haben?
LE: Die gibt’s, aus den letzten drei Jahren allerdings eher weniger! Was eine größere Rolle spielt: klar, einerseits die eine Gitarre weniger und dadurch die Herausforderung, Songs, die mit einer Gitarre auskommen müssen, so zu schreiben, dass sie für uns als Sun-Worship-Songs funktionieren. Diese Herausforderung war allerdings gleichzeitig ein immenser Ansporn. Sicher klingt »Emanations of Desolation« weniger episch und atmosphärisch als die alten Sachen, aber das liegt vor allem daran, dass wir andere Aspekte der Band bzw. andere Stimmungen, Ausdrucksweisen etc. in den Vordergrund gerückt haben. Ich finde zudem, dass man leicht eine Brücke von den neuen Songs zu wesentlich älteren Sachen wie »Castle High« von der »Surpass Eclipse«-EP schlagen kann, oder auch zu »Naiad« von »Pale Dawn«. Die einzige Vorgabe für uns war: Wenn wir noch eine weitere Platte aufnehmen und veröffentlichen wollen, dann muss das eine geile Heavy-Metal-Platte werden. Das war die Messlatte. Es steckt sehr viel Wille, Wut, Trotz und Selbstbewusstsein drin, trotzdem war der ganze Entstehungsprozess bemerkenswert entspannt. Wir mussten niemandem was beweisen. Wir haben einfach alles, was wir mögen und immer schon geil fanden, in einen Topf geworfen, deswegen ist da z. B. auch viel mehr Death Metal drin als früher. Aktuelle Black-Metal-Einflüsse (also dort, wo ich geklaut habe) waren eigentlich begrenzt auf Yellow Eyes und Antlers, ansonsten: Slayer, Autopsy, Morbid Angel, Wipers, Neil Young, Black Sabbath, Pagan Altar. Generell altes Zeug und sehr wenig Black Metal – ob man das nun hört oder nicht. Der dreckige und direkte Sound ist Absicht, die Produktion sollte möglichst nah an dem sein, wie wir live klingen. Das hätte ich mir so für »Pale Dawn« auch gewünscht, die gefällt mir soundmäßig nicht mehr besonders.

BH: Ich habe in den letzten zwei Jahren vermehrt alte Thrash- und Death-Metal-Platten gehört. Das hatte definitiv auch Auswirkungen auf mein Schlagzeugspiel auf der Platte. Eine Weile lief die »Pleasure to Kill« von Kreator in der Dauerschleife. aber auch die »Arise« von Sepultura. Alles von Death läuft eigentlich auch dauernd bei mir – da könnte ich dir aber niemals sagen, welche meine favorisierte Platte ist. Letzteres führte letztendlich zu meiner Entdeckung von Control Denied. Besser spät als nie, sag ich mal. Der Gesang war anfangs etwas gewöhnungsbedürftig, weil ich eigentlich kein Power-Metal-Fan bin. (Dass ich ein riesiger »Battles In The North«-Fan bin, lässt sich allerdings beim Hören unserer Platten wohl kaum bestreiten …)

In der Auseinandersetzung mit der Platte fällt nicht nur der neue Sound auf, auch das Artwork des Albums weist nicht die genretypischen Wälder oder schneebedeckten Landschaften auf. Wie kam es zur Auswahl des Motivs und den Titel des Albums?
LE: Gut, die Wälder und den Schnee hatten wir vorher auch nicht. Das Artwork-Motiv ist ein bearbeitetes Foto aus einer Tropfsteinhöhle auf Mallorca. Wir mochten die Perspektive und dass es uralte, langsam gewachsene Gesteinsformationen sind, deren Alter die menschliche Vorstellungskraft übersteigen und die zudem sehr fremdartig, fast wie außerirdische Lebewesen wirken. Darüber hinaus: Als Betrachter*in schaut man von unten nach oben, ja? Suchend gewissermaßen – wonach auch immer, Orientierung, Erkenntnis und nicht zuletzt nach einer Möglichkeit, sich nach oben zu hangeln und vielleicht mit der Frage im Hinterkopf: Ist es das wert? Dort oben ist – metaphorisch gesprochen – vielleicht kein Ausweg, lediglich Schwärze, Ungewissheit, Nichts. Der Titel der Platte entstand als Ergebnis intensiver Überlegungen zur textlichen Thematik, ein Versuch, die unterschiedlichen Ansätze bereits geschriebener Texte unter einen Hut zu bekommen. Er ist ziemlich monumental, was gut zur Musik passt, er ist natürlich eine Referenz, aber gleichzeitig eine Distanzierung, und er fasst zusammen, worum es uns bei dieser Platte und darüber hinaus als Band geht.

BH: Das Cover unserer »Emanations of Desolation« ist unter anderem inspiriert von »Gateways To Annihilation« von Morbid Angel. Ich wollte ausdrücklich keinen Black-Metal-Wald, sondern etwas, was bei mir ähnlich verstörende Emotionen auslösen könnte, wie es das Morbid Angels Motiv getan hatte, als deren Platte rauskam (und ich fünfzehn war). Ich finde das Cover immer noch machtvoll und fesselnd. »Emanations of Desolation« mit den eingearbeiteten grotesken Fratzen soll das Düstere und Desolate widerspiegeln, das wir auf der aktuellen Platte festhalten wollten. Ich bin froh, dass unser Albumdesign unsere textlich-musikalischen Vorstellungen so gut auf den Punkt gebracht hat. Allerdings ist das meine eigene Wahrnehmung und keineswegs die ausschließliche Perspektive, der sich der*die Betrachter*in anschließen muss. Im Gegenteil: Ich freue mich, wenn Leute mich auf das Cover ansprechen und mir mitteilen, was es in ihnen auslöst.

Stichwort »Desolation«, also Verwüstung: Texte, wenn sie nicht mitgelesen werden, können ja (nicht nur) im Black Metal in den Sound so eingebettet bzw. darin vergraben werden, dass sie auf ihren Klang reduziert also als Soundelement der inhaltlichen Bedeutung nach als zweitrangig (oder gar nicht wichtig) erscheinen können? Sind euch eure Texte wichtig? Wenn ja, warum – und wer schreibt sie? Aus welchen (literarischen, philosophischen oder weltanschaulichen …) Quellen speist sich eure Inspiration?
LE: Die Texte sind, wie schon anklang, auf jeden Fall wichtiger geworden, weil der Gesang einen größeren Stellenwert einnimmt als früher, als er eher ein weiteres Instrument war, das rein klangästhetisch funktionieren sollte und musste. Wir schreiben beide Texte, aber immer jeweils für einen kompletten Song: Wer einen Song singen will, muss den Text dazu schreiben. Ich tue mir da teilweise immer noch ziemlich schwer und suche zunächst hauptsächlich Inspiration in der Stimmung der Musik. Das fängt dann häufig bei assoziativen, bildhaften Topoi aus griechischer, römischer, jüdischer und/oder germanischer Mythologie bzw. Kosmologie an. Dann eröffnen sich im Prozess immer mehr Ebenen, der Text entwickelt ein gewisses Eigenleben und ich lasse mich darauf ein bzw. spiele mit diesen Ebenen. So weiche ich der Frage nach einem konkreten Thema im Text aus, weil ich mich nicht festlegen mag, bzw. letztendlich geht es mir um eine textlich offene Form, die meinem Interesse an Fragen nach Unendlichkeit, absoluter Wirklichkeit und Wahrheit entspricht. Anders gesagt: Ich schaffe mir mit meinen Texten Rätsel, die ich selbst entschlüsseln muss – und die Zuhörer*innen sind eingeladen, dasselbe zu tun. Die Texte sind für Interpretationen offen.

BH: Der Gesang wechselt von Song zu Song. Wo im Stück die Gesangspassagen stattfinden, entscheiden wir für alle Songs gemeinsam. Die Antwort auf die Frage, wie wichtig uns unsere Texte sind, deutet sich vielleicht an, wenn ich dir sage, dass der überwiegende Teil der Texte in der Aufnahmewoche entstanden ist. Nichtsdestotrotz ist mir wichtig, dass sie Inhalte transportieren, mit denen ich mich auch verbunden sehe. Ich sehe die Texte als einen Teil der Gesamtästhetik von Sun Worship an, der aber auch nicht per se wichtiger ist als etwa der Sound der Kick-Drum oder die Riffstrukturen, die dem Stil, den wir spielen, ihre Prägnanz verleihen. Davon abgesehen ist für mich die Musik, die wir spielen, eine kathartische Erfahrung, in der ich die düstere Seite meiner Gedankenwelt zum Vorschein bringe und bis zu einem gewissen Grad verarbeite, wie in »Soul Harvester« etwa. Aber manche Texte bedienen auch eher Genre-Konventionen, so etwa »Devoured«, da habe ich mich an lyrischen Klischees, Plattitüden und Versatzstücken aus dem Death Metal orientiert.

Öffnen wir die Diskussion ein wenig und wenden uns grundlegenderen Fragen zu. Woher rührt euer eigenes Interesse am Black Metal? Kunsthistorisch kann das Genre in der Tradition der Schwarzen Romantik gesehen werden, in der Stilgeschichte des Heavy Metal stellt Black Metal eine ästhetische Radikalisierung (und die letzte stilistisch relevante Neuerung im Metal) dar, die auch mit politisch und ideologisch (fragwürdigen) extremen Haltungen einherging und -gehen kann: von anti-christlichen/heidnischen über mystische/natur-religiöse und theosophisch/esoterische bis hin zu misanthropischen und letztlich menschenverachtenden rassistischen und nazistischen Haltungen reicht das Spektrum. Wo steht ihr mit Sun Worship innerhalb dieser Traditionslinien?
LE: Eigentlich ist es ziemlich schnell erklärt: Ich habe als 15-, 16-jähriges Metal-Kid um 1994 herum Enslaved entdeckt, dann kamen die Platten (bzw. damals: CDs!) von Emperor, Dissection, Ulver, Isengard, die »Panzerfaust« von Darkthrone etc. dazu. Was mich damals daran fasziniert hat, da müsste ich jetzt im Nachhinein erst einmal länger drüber nachdenken. Fünf bis sechs Jahre später war aus verschiedensten Gründen erstmal für gut zehn Jahre Feierabend mit Metal überhaupt, aber z. B. Darkthrone blieben eine Band, die ich immer gehört habe, vielleicht weil die – was später wichtig wurde – so eine Punkrock-kompatible Verweigerungshaltung mit einer Scheuklappenlosigkeit und Smartness verkörpert haben? Grundsätzlich gilt mein Interesse als Musiker nicht einem Genre als solchem und vielmehr dem Drang, nach eigenen Regeln und Maßstäben einen künstlerischen Ausdruck zu finden. Es gibt super viele Sachen an und um Black Metal, die ich nicht mag, eine davon ist daher der Kult um Black Metal als solchen, als Selbstzweck quasi – von bestimmten politischen, ideologischen und religiösen Haltungen brauchen wir gar nicht erst anfangen! Andererseits hat erst Black Metal in einem Umfang gewisse Dinge kanalisiert, die (nicht nur) bei mir einen Nerv getroffen haben und manchmal immer noch treffen, z. B. wenn es um Naturmystik, Spiritualität, Ablehnungshaltung und den Rückzug aus der realen Welt geht. Jedoch, um zu deiner Frage zurückzukommen: Die ersten beiden Sun-Worship-Platten und das restliche, ältere Material sind für mich Black Metal, vor dem Hintergrund, den ich gerade zu skizzieren versucht habe. Bei der neuen Platte ist das anders; die empfinde ich nicht als Black-Metal-Platte, überhaupt empfinde ich uns nicht mehr als Black-Metal-Band, zumindest nicht ausschließlich. Sun Worship sind für mich jetzt spirituell und ästhetisch größtenteils ein anderes Ding. Ich nehme uns heute als Metal-Band wahr, die sich stilistisch hier und dort bedient, auch beim Black Metal, aber das, was ich unter Black Metal verstehe, reicht mir nicht mehr aus, um das zu beschreiben, was wir mit Sun Worship machen.

BH: Solange Kategorien wie »mystisch/natur-religiös« und »theosophisch/esoterisch« sich mit humanistischen Idealen vereinbaren lassen und einen – wie auch immer begrenzten – progressiv-emanzipatorischen Interpretationsraum eröffnen und dabei Wissenschaft als Instanz der Erkenntnisaneignung erlauben, habe ich kein Problem damit. Alles, was in Sozialdarwinismus, Konservativismus oder gar Blut-und-Boden-Sehnsüchten mündet, lehne ich kategorisch ab. Ich kann dir aber ehrlich gesagt keine konsequente Antwort auf deine Frage geben, warum mir Black Metal plötzlich irgendwann so zugesagt hat? Es hat sicher viel mit den musikalischen Dimensionen zu tun, die das Genre eröffnet. Der Black Metal der 1990er war – zumindest soundästhetisch – eine deutliche Reaktion und Rebellion gegenüber etablierten Metal-Genres, die dazu führte, dass sich grundlegend neue musikalische Spielweisen entwickelten, die bis in die Gegenwart hineinwirken. Davon abgesehen habe ich schon immer dazu geneigt, mich an musikalischen Stilen zu bedienen, die extrem sind. Ich höre Gabber genauso gerne wie Black Metal.

Ihr wart anlässlich der Veröffentlichung des Albums kürzlich auf Tour. Welche Erfahrungen macht ihr vor dem Hintergrund der politischen Fragen, die Black Metal aufwerfen kann, mit dem Booking und dem Spielen von Shows? Was geht klar, was geht nicht klar bzw. habt ihr mit Vorurteilen oder Berührungsängsten umzugehen? (Aus welchen Gründen) wurden euch Shows in der Vergangenheit abgesagt und/oder habt ihr selbst schon Absagen erteilt – wenn ja, warum?
LE: Die Frage hat sich lange Zeit gar nicht gestellt, weil es zunächst wenig Überschneidungspunkte mit der Szene gab. Wir haben in anderen Kontexten unsere ersten Shows gespielt und kannten genug Leute, die Bock hatten auf das, was wir machen, sodass wir touren konnten, ohne uns groß Gedanken über die von dir angesprochenen Fragen zu machen. Mittlerweile hat sich das ja durchaus auch entwickelt, es gibt viel mehr Überschneidungen als früher. Zusammengefasst kann man sagen, wir arbeiten nur mit Leuten zusammen, die wir kennen und denen wir vertrauen. Was ganz sicher nicht klar geht, ist Nazi-Mist, aber da sind die Berührungspunkte eh gleich null, diese Leute wollen genauso wenig mit uns zu tun haben, wie wir mit denen. Und die »Grauzone«, also die Leute, für die das Nazi-Zeug aus vermeintlicher »Trve-ness« oder »Edgy-ness« zum Black Metal dazu gehört, die haben genauso wenig Bock auf uns. Insofern sind wir da in einer für uns einigermaßen komfortablen Position.

BH: Wie Lars schon gesagt hat, wir haben bisher kaum schlechte Erfahrungen gemacht, weil die meisten Leute, mit denen wir zusammenarbeiten, mindestens Bekannte von uns sind, denen wir vertrauen und die uns vertrauen. In den letzten Jahren hat sich zudem auch einiges getan: Es gibt mittlerweile genug Konzertgruppen (nicht nur) in alternativen Jugendzentren, die Metal wieder in DIY-Räume bringen und den politisch-kritischen Horizont auf dem Schirm haben. Außerdem gibt es auch eine fortschreitende Auseinandersetzung mit den von dir angesprochenen Fragen innerhalb der Metal-Szene. Bei all den Shows, die wir seither gespielt haben, gab es – wenn überhaupt! – nur ein paar wenige Situationen, die mich (manchmal erst im Nachhinein) genervt haben. Die kann ich sicher an einer Hand abzählen. Was generelle Berührungsängste betrifft bzw. betraf: Für viele gewissermaßen orthodoxe Full-Time-Metaler*innen waren wir vielleicht zunächst erst einmal gewöhnungsbedürftig, aber wir wurden relativ schnell akzeptiert und haben uns inzwischen etablieren können – auch ohne lange Haare und Kutten.

Wie sehr nerven diese Fragen oder sind sie angesichts der Genese des Genres ein notwendiges Übel?
LE: Vielleicht sollte man von einem nachvollziehbaren statt notwendigem Übel sprechen. Nervig ist es vor dem Hintergrund, dass es in anderen musikalischen Genres in politischer Hinsicht genauso viele Deppen gibt – mit denen du als Band spielen kannst und es juckt niemanden. Aber klar, Black Metal wird viel stärker mit solchen Dingen assoziiert bzw. definieren sich Teile der Szene selbst über diese sagen wir mal menschenverachtenden Haltungen und die grenzenlose Misanthropie. Andererseits hat sich das Genre in den letzten Jahrzehnten – auch politisch – derart diversifiziert, dass es schon manchmal albern anmutet, dass man sich immer noch positionieren soll oder muss. Zur Klarstellung: Ich habe kein Problem damit Stellung zu beziehen. Für die Band und ihre Musik jedoch fordere ich ein, Black Metal seinen ästhetischen und künstlerischen Möglichkeiten nach wahrnehmen zu können, um mit dem Sound zu arbeiten, der nicht per se fragwürdig ist, sondern frei – Klang.

BH: Sicher nerven solche Fragen mich manchmal, aber ich sehe sie dennoch als notwendiges Übel an, dem man sich stellen sollte, wenn man sich musikalisch mit dem Genre auseinandersetzt. Black Metal hat einen langen und fiesen Rattenschwanz, dessen muss man sich einfach bewusst sein. In der Rezeption geraten die Maßstäbe aber – vor allem jenseits der Metal-Szene – regelmäßig aus den Fugen, da fungiert die Vokabel Black Metal geradezu als Trigger. Punks, Rapper*innen, Reggae-Musiker*innen, Liedermacher*innen oder elektronische Musiker*innen sollten ebenso konsequent nach politisch nicht selbstverständlichen oder fragwürdigen Perspektiven, die mit ihren ästhetischen Strategien einhergehen können, befragt werden.

Sun Worship: »Emanations of Desolation« (Vendetta Records)

Link: https://sunworship.bandcamp.com/

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Text
Holger Adam

Veröffentlichung
21.11.2019

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