Neben einem Fokus auf die Maghreb-Länder Marokko, Tunesien und Algerien legt das Salam Orient Festival von 14. bis 23. Oktober 2019 hohes Augenmerk auf die Präsentation weiblicher Artists aus diesen Regionen. Weiters mit dabei sind Mahan Mirarab (Iran), mit fein akzentuierten orientalischen wie jazzigen Elementen, das syrische Duo Orwa Saleh & Basma Jabr, das alte Sufi-Gedichte vertont, sowie Dudu Tassa & the Kuwaitis (Israel/Irak), die elektronische Pop-Balladen kredenzen, die auf traditionellem Liedgut fußen. Weil die öffentliche Aufmerksamkeit sich allzu oft nur auf die politischen Krisen in diesen Ländern richtet, ist es wichtig, einen anderen Blickwinkel aufzuzeigen, in dem die Kultur aus dem Orient in den Vordergrund gerückt wird. Wir haben Katrin Pröll, neben Martina Laab Kuratorin des Salam Orient Festivals, um ein Interview gebeten.
skug: Wie hat sich der heurige Schwerpunkt ergeben? Hing das auch damit zusammen, dass der Musikerinnenanteil im Maghreb grundsätzlich höher ist? Es gibt lange Traditionslinien ägyptischer Sängerinnen oder von singenden Berberfrauen, wobei der Auftritt von Houria Aïchi, die aus dem Aurès-Gebirge in Algerien stammt (sie ist schon in jungen Jahren für ihr Studium nach Paris gegangen, wo sie bis heute lebt), sicherlich einen Höhepunkt des Festivals markieren wird.
Katrin Pröll: Wir haben 2017 das Festival übernommen und es war naheliegend, dass ein Maghreb-Schwerpunkt eher früher als später kommen wird. Die Region liegt mir persönlich sehr nahe, die Musik finde ich überaus spannend und vielfältig, außerdem waren wir ich in den letzten drei Jahren öfter bei einer Musikmesse in Rabat und konnten dort neue, junge Bands aus dem Maghreb für uns entdecken. Dass der Schwerpunkt nun gerade heuer angedacht wurde, liegt auch an den politischen Bewegungen, die es zuletzt in Algerien und auch wieder in Tunesien gegeben hat. Wir möchten gerade auch jene Regionen beleuchten, die durch politische Krisen gezeichnet sind – einerseits, um die öffentliche Aufmerksamkeit darauf zu lenken, aber auch, um über die Kunst und Kultur einen anderen Blickwinkel aufzuzeigen. Es gibt im Maghreb wie auch in anderen Ländern des Mittleren und Nahen Ostens spannende Musiktraditionen von Frauen und viele herausragende Sängerinnen. Wir haben dieses Jahr keinen bewussten Schwerpunkt auf Frauen gelegt. Dass das Programm größtenteils weiblich kuratiert ist, ist ganz einfach und natürlich zustande gekommen. Das ist vor allem deshalb bemerkenswert, weil die Vorurteile gegenüber der Region vermuten lassen würden, dass man die Frauen im Speziellen suchen müsste.
Die marokkanische Sängerin El-Ghai Ben Essahraoui hat als Künstlername den Vornamen der im arabischen Raum allseits geschätzten Oum Kulthum entliehen. Oums Musik hat eine politische Dimension, doch ihre Botschaft »Ich kann als Frau in einem muslimischen, arabischen, afrikanischen Land wie Marokko emanzipiert und frei sein«, stimmt die wirklich so? Gilt wohl für die meisten am Existenzminium lebenden Unterschichtfrauen weniger.
Ich denke, dass Emanzipation sehr viel mit Bildung zu tun hat, egal in welchem Land man lebt. Oum ist eine respektierte Künstlerin in Marokko und nutzt ihre Bekanntheit dafür, auf soziale Ungerechtigkeiten aufmerksam zu machen und den Frauen Mut zu machen, für ihre Rechte wie Bildung zu kämpfen. Sie übernimmt eine Vorbildrolle, in dem Wissen, dass es noch immer viele Frauen gibt, die sich in Abhängigkeiten befinden.
Für die Unabhängigkeit der Westsahara und ein freies Referendum einzutreten, ist in Marokko auch eine Einschränkung der politischen Freiheit. Marokko hat 1975 widerrechtlich die ehemalige spanische Kolonie Westsahara okkupiert und später annektiert. Leider ist diese Ungerechtigkeit prolongiert. Die Frente Polisario kontrolliert übrigens nur einen schmalen Streifen im Osten und Süden der Westsahara an der Grenze zu Algerien bis zur Atlantikküste. Gab es schon mal Auftritte von sahraouischen Artists bei Salam Orient oder ist das aufgrund der Dominanz Marokkos zu schwierig?
Wir hatten dieses Jahr angedacht, Aziza Brahim, die in einem Flüchtlingslager in der Westsahara geboren und aufgewachsen ist, einzuladen. Es hat leider nicht geklappt, aber wir konnten sie immerhin an die Sargfabrik weitervermitteln und können uns dort im September ganz ohne Festivalstress an ihrer Musik erfreuen.
Das einzige Land, in dem der Arabische Frühling halbwegs Früchte trägt, ist Tunesien. Emel Mathlouthi, die dort der Revolution mit dem Song »Kelmti Horra« (»Mein Wort ist frei«) eine Hymne verschaffte, wird im Trio auftreten. Warum lebt sie mittlerweile im Exil, in New York?
Ja, Tunesien hat sich demokratiepolitisch stabil entwickelt. Erst Anfang Oktober hat es eine Parlamentswahl gegeben, im September die Präsidentschaftswahlen. Wirtschaftlich ist Tunesien aber weiterhin in der Krise und die hohe Arbeitslosigkeit hat die Menschen auch 2019 wieder protestierend auf die Straße getrieben. Es bleibt abzuwarten, wie die Politik die Herausforderungen des Landes angeht. Ich nehme nicht an, dass Emel Mathlouthi in New York im Exil lebt, sondern vielmehr für die weitere Entwicklung ihrer Musik und Kunst New York als Lebensmittelpunkt gewählt hat. Seit ihrem »Kelmti Horra« vor sieben Jahren hat sich ihre Musik stark verändert. Es gab eine mutige und progressive Weiterentwicklung, sicherlich auch inspiriert durch das große künstlerische Potenzial New Yorks. Die politische und sozialkritische Botschaft ist Emel Mathlouthi nach wie vor wichtig – in ihrem neuen Album, das Ende September erschienen ist, geht es diesmal um das globale Thema Umwelt.
Im Sudan kam es heuer zu einer maximal »halb« geglückten Revolution. Die Nubier sind nach wie vor eine große Minderheit, die unter Repression leidet. Die Eltern der Singer-Songwriterin Alsarah mussten bereits in den 1960er-Jahren flüchten und mit ihrer Band The Nubatones wird die im US-Exil Lebende das Unrecht im Sudan thematisieren. Ist es nicht ein trauriger Befund, beim Booking feststellen zu müssen, dass viele Musiker*innen, die bei Salam Orient auftreten, nicht in ihrer Heimat leben können? Bzw. ist das Booking wesentlich einfacher, weil in diesem Fall Alsarah eine etablierte Weltmusik-Größe ist?
Die Entwicklungen im Sudan beobachte ich mit großer Spannung. Ein sudanesischer Freund aus Wien, übrigens auch ein Nubier, hat mir berichtet, dass die Aufbruchsstimmung, die Solidarität und der Zusammenhalt unter den Demonstrant*innen ähnlich wie am Tahrir Platz in Kairo war. Ich hoffe, dass diese Revolution ihre Früchte tragen wird. Ich würde nicht sagen, dass es ein trauriger Befund beim Booking ist, sondern vielmehr ganz allgemein traurig und erschreckend, wie viele Menschen gezwungen sind, ihr Heimatland zu verlassen. Die Bands, die wir für Salam Orient buchen, haben eine neue Heimat gefunden und offensichtlich eine erfolgreiche Karriere starten oder fortsetzen können. Das ist ja eigentlich ein erfreulicher Aspekt in der weltweiten Flüchtlingskrise. Es stimmt natürlich auch, dass es oftmals für uns einfacher ist, wenn die Musiker*innen mittlerweile in der EU leben. Dadurch fällt das Visum-Problem weg, das uns oft Kopfzerbrechen macht. Wir müssen immer wieder alle Hebel in Bewegung setzen, damit Bands noch rechtzeitig ihr Visum bekommen.
Für meinen Geschmack gibt es zu wenig arabischen HipHop, der oft auch sehr politisch ist. Immerhin gibt es »Coole Reime, Fette Beats«, ein Schulprogramm mit dem tollen österreichischen Duo EsRap. Warum eigentlich werden keine Rapper*innen aus dem Maghreb oder anderen orientalischen Staaten präsentiert?
In Marokko hat sich HipHop vor ca. zehn Jahren rasant entwickelt, damals hat die Band Hoba Hoba Spirit internationale Bekanntheit erlangt und vielen anderen Bands den Weg bereitet, darunter sind heute auch einige rein weiblich besetzte HipHop-Bands. Salam Orient präsentiert vorwiegend Weltmusik, wenn auch oftmals sehr progressiv weiter entwickelt in Richtung Pop, Elektronik oder Rock. HipHop ist ein eigenes Genre, für das es auch eigene Festivals gibt. Aber natürlich experimentieren wir gerne und sind offen für alle Genres, wenn die Formation spannend ist. Und so hatten wir heuer eine Rap-Band geplant, die aber leider aufgrund der enormen Kürzungen unserer Fördergelder letztendlich aus dem Programm fiel.
Statt Diskurs gibt es heuer die Subschiene Dialog, wo der syrische Poet Hamed Abboud im Freunde Salon in der Garnisongasse 11 mittels Schreibwerkstatt zum Texten animiert. Außerdem eine zum Plaudern einladende Tanzparty mit Hamayun & Friends in der Brunnenpassage sowie ein Künstlergespräch der syrisch-österreichischen Schriftstellerin Luna Al-Mousli mit der Guembri-Spielerin Asmaa Hamzaoui im 1001 Nacht in der Jörgerstraße 50 am 15. Oktober, dem Vorabend des Konzerts der Marokkanerin mit Bnat Timbouktou im Porgy und Bess. Was zeichnet die Locations Freunde Salon und 1001 Nacht aus? Außerdem: Waren die Diskursabende der letzten Jahre zu schlecht besucht bzw. welche Gründe führten in der Programmplanung zur Änderung?
Wir haben 2017 das Dialogformat eingeführt, weil es uns wichtig ist, Diskussionen und Austausch niedrigschwellig anzubieten und viele verschiedene Menschen zu erreichen und für die Hintergründe zu interessieren. Mit diesen Programmpunkten probieren wir auch gerne neue, leicht zugängliche Veranstaltungsorte aus. Das persische Restaurant 1001 Nacht veranstaltet sehr engagiert immer wieder kleine Konzerte. Die Freude über diese Kooperation ist auf beiden Seiten groß und sicher ausbaufähig. Der Freunde Salon wurde vom Verein Fremde werden Freunde ins Leben gerufen, als die Flüchtlingsströme auf ihrem Höhepunkt waren. Sie haben ein tolles Konzept, bei dem sich Wiener*innen und Asylwerber*innen auf Augenhöhe treffen und gemeinsam etwas unternehmen, Kurse angeboten werden und Austausch stattfindet.
Für Schulkinder entwickelte Marwan Abado »Die Rhythmusstraße« und auch »Feetbox« Kaveri & Philipp Sageder mit klassischem Kathak-Tanz aus Indien findet nur für Schulklassen in der der Vereinsgasse statt. Ließe sich da nicht ein offenerer Zugang am Wochenende machen, wie es etwa bei den Lalala-Konzerten für Kinder von Kulturen in Bewegung möglich ist?
Vielen Dank für diese Frage! Wir hatten ein umfassendes öffentliches Kinderprogramm geplant, mit vielen neuen Ideen und Spielorten. Mitte Juli erhielten wir dann die völlig überraschende Nachricht, dass das Ministerium für Bildung uns die gesamte Förderung dafür streicht. Dank anderer Fördergeber, die über den Sommer kurzfristig eingesprungen sind, konnten wir zumindest das Schulprogramm wie geplant umsetzen, was uns ein großes Anliegen ist.
5 x 2 Freikarten für Houria Aïchi gewinnen!
Obacht! Wir verlosen 5 x 2 Freikarten für das Konzert von Houria Aïchi beim Salam Orient Festivals am 21. Oktober 2019 um 19:30 Uhr im Theater Akzent. Um an der Verlosung teilzunehmen, einfach eine E-Mail mit Betreff »Salam Orient« und deinem Namen bis 20. Oktober 2019 an gewinnspiel@skug.at senden. Die Gewinner*innen werden per E-Mail verständigt. Rechtsweg und Barablöse sind ausgeschlossen.
Link: www.salam-orient.at