Manieristisch wird der Begriff Pop mit seinen Parametern Euphorie, Hybris und (Selbst-)Liebe zelebriert, eklektisch wird nach Belieben soundtechnisch zwischen den Jahrzehnten hin- und hergeswitcht, nun scheint zum Beispiel, zumindest was die Kostüme betrifft, das Genre Glam-Rock beim aktuellen Videoclip für die Single »Frisbeee« Pate gestanden zu haben: Die vier Jungs von Bilderbuch lieben das Spiel mit Klischee-Grenzen und halten dabei die Scheibe schön flach.
Indie-Metamorphose
Vor zehn Jahren, bei ihrem ersten Album »Nelken & Schillinge« (2009) fanden die jungen Indie-Rocker noch »Schlangen in meinem Kopf«, aufgekratzt wurde halluzinatorisch »Auf Sand gebaut«. Man hatte ihnen weh getan, daher wurde geblutet, wurde Salz in der Wunde entdeckt und Sänger und Gitarrist Maurice Ernst erkannte nach einem Psychiatrie-Zivildienst unter anderem: »Liebe ist Wasser, und trotzdem bin ich durstig«; weiters den assoziativen und dissoziativen Gesang, der auf dem zweiten, textlich sehr ausgereiften, rauschig-düsteren Konzeptalbum »Die Pest im Piemont« (2011) vervollkommnet wurde. »Unsere Jugend wird dahin sein, wie der Rauch aus dem Schornstein« oder »Im Rhythmus der Lügen leben wir, im Rhythmus der Lügen sterben wir« sind Sätze, die man nicht so schnell vergisst.
Entstanden die Songs bei den beiden ersten Alben noch vor allem als Jams, die dann im Proberaum verdichtet wurden, kam dann mit dem Wechsel des Schlagzeugers eine markante Transformation. Bilderbuch entdeckten den Computer als Komponier-Tool, Kanye West und Prince als Stilikonen und »Maurice Antoinette« wurde zu einem nicht an Groovy- und Swaggyness zu überbietenden österreichischen Proto-Cloud-Rapper. Sie waren so schlau, ihren Stil aus dem etwas abgehalfterten Indie-Idiom herauszuoperieren, der den Bands ihrer Vorgängergeneration das Verbreitungswachstum schmerzhaft begrenzte. Stattdessen der Mix, der heute zieht: ein bisschen HipHop plus R&B mit viel Pop und wenn sie noch eine Prise Techno reinstreuen, dann könnten sie eines Tages live genauso begeistern wie Helene Fischer.
Das dritte Album »Schick Schock« (2015) stellt ohne Frage eine Zäsur in der österreichischen Popgeschichte dar. Die Catchyness des Gesanges wird mit verstärktem Einsatz von Denglish erzeugt, Maurice jault Signature-Laute, sogenannte Ad-Libs, im Stile von Sprechgesangsexpert*innen aus den souligen Schubladen des HipHop. Ein Rebel, ein Gockel, ein Gigolo, ein Fan von Lucio Battisti und Adriano Celentano (den er sogar einmal imitierte) namens Maurice Ernst führt gemeinsam mit dem Ausnahme-Gitarristen Michael Krammer aka Mizzy Blue die Unternehmung Bilderbuch mit unnachahmlicher Kloster-Schläue und Selbstwirksamkeit. Stets stehen die unglaubliche Spiellust und unerschöpfliche Experimentierfreude, sowohl live wie auch im Studio, im Vordergrund.
Der Erfolg wurde auf dem vierten Album »Magic Life« ungeniert im Edel-Trash-Look weitergefeiert. All inclusive: Verzerrte Stimmen, verzerrte Gitarren die ad libitum solieren können. Ohrwürmer schrauben sich in die Gehörgänge, gemeinsam mit einer Exaltiertheit, die man in Österreich seit Falco so nicht mehr erlebt hat. Nun bespielen die vier Bilderbuch-Musikanten an zwei Abend – am 24. und 25. Mai 2019 – das Schloss Schönbrunn und leisten damit für die heimische Popmusik ein weiteres Mal Pionierarbeit. Neben Songs aus den beiden aktuellen Alben »mea culpa« (2018) und »Vernissage My Heart« (2019; Cover-Artwork: Mafia Tabak) darf auch mit weiteren neuen Songs gerechnet werden. Mit ihren Gassenhauern sowieso.
Reüssieren im Popmuseum
Die Gloriette in Wien entstand angeblich, weil der Habsburger-Monarchie beim Versuch, Versailles zu übertrumpfen, die Kohle ausging. Der Plan war, ein Schloss zu bauen, das an Größe und Schönheit alle anderen Schlösser in den Schatten stellen sollte. Schönheit meint hier Imposanz, meint Einschüchterung. Die ganze Sache ging also finanziell ins Hoserl, aber weil der neue Eingang bereits vorgefertigt war, wurde er auf den Hügel über dem popeligen Altschloss Schönbrunn geschafft. Da strahlt bis heute die Gloriette als sinnloses Tor ins Nichts und wird von einem biederen Kaffeehaus genutzt, in das Frau und Mann von Halbwelt ihre neuen Pfauenfederhüte (wenn es so etwas heute noch gibt) zur Schau austragen können, den anderen Bürger*innen zur neidigen Freud’.
Bekanntlich ist jedes Dokument der Kultur zugleich eines der Barbarei. In Austria kommt zur Barbarei dann noch der kitschige Kopfschuss. Schloss und Park von Schönbrunn dokumentieren dies eindrucksvoll in eitrigem Gelb. Nichts erinnert an jene, die zum Bau der Kitschkulisse zu Tode geschunden werden, dafür gibt es ein Taferl an jeder Ecke, das das bildungsbeflissene Publikum daran erinnert, wie der selige Erzherzog hier einst seine Kopfgrindflocken zu frühstücken pflegte. Pop wollte mit so etwas aufräumen. Null Obrigkeit, null Achtung und Geschichte, »ja«, allerdings nur in subversiver Interpretation, d. i. als Verarsche. Ein »schönes« Schloss wäre somit allenfalls als Kulisse lächerlich gemacht wurden. Was Altvordere gerne heilig gehalten hätten, zog man durch den Kakao oder strafte es mit Missachtung. Dieser Verve ist heute scheinbar futsch. Dafür ist Bilderbuch ein Beispiel aus ebenjenem. Die Jungs haben fraglos was drauf und über ihre Musik gibt es nix zu meckern, denn die ist eine wirklich gut geölte Maschin. Man lernt, was zieht.
Für die fetzige Sause braucht es idealerweise auch noch eine schicke Deko. Allzu gerne singt man an einem lauen Sommerabend der brav versammelten Hörer*innenschaft vom Bumsen und vom Konsum. Alles lustig und nie frustig. So dann eben im Mai 2019 an zwei aufeinanderfolgenden Abenden in Wien vor eben jenem Schloss Schönbrunn und zu Füßen der herrlichen Gloriette. In der ganzen Aktion steckt nicht ein schwitzig-heißer Tropfen Ironie. Nein, die Band würde nicht einmal wissen, was überhaupt das Kuriose an der Aktion sein könnte. Das häufige Erwähnen von Markennamen in den Songtexten von Bilderbuch ist kein gefinkelter subversiver Akt, es sind vielmehr die authentischen Bezugspunkte der Musikanten. Für sie ist Bilderbuch ein ebensolches Markenprodukt wie Goga Gola oder Lampurkini und das will bestmöglich breitenwirksam präsentiert werden. Kurioserweise bedienen sie damit klug das aktuell gültige »natürliche Bewusstsein«, denn es ist auch für die übellaunigsten Kulturkritiker*innen nicht zu leugnen: Marken bedeuten etwas. Ihre »Botschaft« wird allgemein verstanden, wie weiland das abgeschlagene Haupt der Medusa (das heute wiederum nur mehr trashig wirkt).
Als Michael Jackson 2009 verstarb, wollten seine Nachlassgeier eine Feier mit Gesangsbeiträgen von Stars aus aller Welt vor dem Schloss Schönbrunn abhalten. Damals hatte man in Wien noch irgendwelche Bedenken, die dann später mittels Philharmonie-Orchester und »Konzert für Europa« weggefiedelt wurden. Zu offensichtlich war der touristische Werbeeffekt durch das große Konzert im Schlossgarten. Heute setzt man gemeinsam voll auf Masse und stellt Bilderbuch vor die Kulisse, damit beide einander wechselseitig bewerben. In »Schick Schock« sagen sie es unumwunden: »Aus Brot mach’ ich Cake, nenn’ mich Maurice Antoinette.« Genau, und dann zieh’n wir vors Schloss, denn man muss schließlich schauen, dass man auf der richtigen Seite der Geschichte steht und brav bei den Gewinner*innen mit dem Popsch wackeln kann.
Pro-Europa Express
Wie sehr bei Bilderbuch geschickte Message und das eigene Produkt ineinandergreifen, zeigt ihr durchaus ambivalentes Europa-Statement. Im lieblich ausufernden »Europa 22« vom aktuellen Album haucht Maurice Ernst: »Ein Leben ohne Grenzen. Eine Freedom zu verschenken. Eine Freiheit nicht zu denken.« Dazu haben Bilderbuch eine PR-Aktion ausgeheckt: Auf https://bilderbucheuropa.love/ können sich Fans und Interessierte einen fiktiven Reisepass ausstellen lassen, der einen zum Mitglied der europäischen Familie macht. Jan Böhmermann ist einer von den über 70.000 Personen mit digitalem Bilderbuch-Reisepass. Angesichts dessen zuletzt geglücktem Public Relations-Trick – dem recht witzigen Pro-Europa-Video mit Protagonist*innen aus allen möglichen EU-Ländern – lächeln wir zumindest milde mit.