Nach dem Flüchtlingsheim Gasthof Linde in Bleiburg Stadt ist das Theater-Ensemble benannt. In drei Jahren führte das internationale Kärntner Ensemble Linde fünf Produktionen durch. Regisseurin Imke Logar-Thiessen arbeitete mit wechselnden Flüchtlingen, denn nicht wenige verließen im Laufe der Zeit die Kleinstadt, suchten sich privat eine Wohnung und arbeiten schon. »Ein Stück Menschlichkeit als Sinn jedes Daseins«, propagiert eine Frau bei der Eröffnung der Schau im Kulturni Dom, der slowenischen Kulturhalle. »Wir sind Leute aus Bleiburg Stadt, die es gewagt haben, auf die Newcomer zuzugehen.« Bei der Generalprobe tanzen alle übermütig im Dunkeln herum. Gekicher. »Wir haben ›Romeo und Julia‹ voll verfremdet und einen eigenen Text geschrieben. Kein einziges Wort ist original«, erklärt die Regisseurin. »Unsere Heimat.« Klatsch. Stampf. »Unser Volk. Österreich den Österreichern.« Stampf. Die eine Gang scheint aus Patriot*innen zu bestehen, wie Herr Strache diese Geisteshaltung benennen würde. Die bunte Gegendemo der Gegengang klatscht im Gegenrhythmus. Die Gangtanzerei erinnert natürlich schon an Leonard Bernsteins weltberühmtes New Yorker Drama »West Side Story«. Nur agieren bei solchen Aufführungen Profitänzer*innen und keine Flüchtlinge.
Frieda, Stopp!
Die Flüchtlinge schauen seitlich hinter der Kulisse heraus. »Ich hoffe mal, dass das nur eine Ironie des Schicksals ist«, hört man. Oder: »Rechtsstaat. Warum nicht Linksstaat?« Der vierzehnjährige Milan zieht die Flüchtlinge mit seiner Spielfreude mit. »Wir wollen keine Grenzen. Nationale Sicherheit, bedeutet das internationale Unsicherheit?« Die Rollen sind oft gegengleich besetzt, also die rechtsrechte Gang hat mit Romeo (Mostafa aus Afghanistan) einen Flüchtling als Anführer. Ausländerfeindliche Phrasen klingen in gebrochenem Deutsch noch seltsamer. »Heimat ist dort, wo du gewohnt bist zu sein. Auch wenn es ein dunkler Graben ist«, sagt eine Slowenin.
Tanzmäßige Ver- und Umschlingungen von Julia und Romeo. Die rechtsrechte Frieda, ein komplett neuer, von der jungen Schauspielerin selbst erfundener Charakter für die alte Geschichte, gibt Julia aus Eifersucht Beruhigungspillen. Die schmeißt gleich eine Handvoll ein. Romeo und Julia sterben direkt hinter dem Schild »Österreich den Österreichern«. Die beiden Gangs gehen in Paaren nach vorne zum Begräbnis und werfen Blumen vom Bühnenrand. Frieda (Elsa Logar) verzweifelt ob ihrer plötzlichen, selbst erzeugten Einsamkeit: »Romeo und Frieda gehörten zusammen. Das weiß doch jeder!« Ein Flüchtling aus Kamerun nimmt ihre Hand. »Frieda, Stopp!«, sagt Peter. »Das Ende ist der Anfang. Nichts ist der Anfang von allem. Wenn man alles verliert, kann man das als Chance sehen und nutzen. Schau mich an. Ich hab’ alles verloren und neu angefangen.« (Ein Satz, den sich die apokalypseverliebten Angst-Lust-Rechtsrechten ins Stammbuch schreiben sollten!) »Okay«, nickt die kleinlaute Frieda ganz eifrig. Ab.
Zigaretten für die Partisan*innen
Auf dem Bauernhof oben über Bleiburg Stadt, direkt an der Grenze zu Slowenien, auf dem die Logars seit Generationen leben, schwirrten in der Nazizeit die Ustascha und die Partisan*innen herum, trafen aber Gottseidank nie direkt aufeinander. »Der Großvater hat allen Most gegeben, egal wem, er hat alle bewirtet«, erzählt Franz Logar. »Deswegen hat die Ustascha uns nicht ausgeraubt und den Hof niedergebrannt.« Einmal fand er hinter einem Baum einen verrosteten Wehrmachtskarabiner. »Die Drau ist voller Waffen«, meint er, denn unten im Tal in der Nähe ist das Loibacher Feld, auf dem die Ustascha von den Briten entwaffnet wurde, weil deren Mitglieder sich nicht ergeben wollten. Gerade treffen sich dort kroatische Faschisten zum Gedenken. »120 Ustascha-Leute wurden direkt dort getötet, viele in die Drau geworfen. Von denen wissen wir Kärntner. Andere wurden unterwegs getötet. Ein paar wurden umgedreht.«
Der Großvater mütterlicherseits wurde von einem zum Nazi umgedrehten Partisanen verraten und, weil er Zigaretten für die Partisan*innen versteckt hatte, in das KZ Dachau eingeliefert. Ein Ex-Partisan, der zur Gestapo ging, hatte gleich mehrere Menschen verraten. Viele Partisan*innen landeten in Dachau. Großvater Johann Zadnjak konnte aber wieder zurückkehren. »Die Mutter sagte immer, wenn wir im Silo arbeiteten, hier raucht es wie in Dachau. Den Spruch hat sie vom Vater übernommen. Lange dachte ich, Dachau wäre das slowenische Wort für Staub«, schüttelt Franz Logar den Kopf. »Se tako kadi ku pa v dohavo!« Nach dem Flüchtlingstheater spielt ein Duo aus Dravograd. Ein Lied handelt davon, wie schön doch die Drau ist. Pling, Plong, macht die Gitarre. Die schöne Drau voller Waffen.