Am 4. und 5. Dezember 2018 versammelten sich an zwei Abenden im Wiener Porgy & Bess insgesamt sechs Bands aus der österreichischen Jazzszene für das Kick Jazz, ein sogenanntes Showcase-Festival, kuratiert von Helge Hinteregger von der mica.
Ausländische Journalist*innen, Booker*innen und andere Musikbusiness-Menschen trafen auf Musiker*innen der hiesigen Szene. skug war dabei und hat sich ein Bild davon gemacht, wie sich die österreichische Szene nach außen repräsentieren möchte.
Tag 1 – Trio Infernal, Golnar & Mahan und das Roman Britschgi Quartett
Österreichs Akkordeon-Export Nr. 1, Christian Bakanic, ist an diesem Abend gleich zweimal zu hören. Zunächst als Opener mit seinem Trio Infernal, dem neben ihm noch Christian Wendt am Bass und Jörg Haberl am Schlagzeug angehören. Obwohl stets mit Prisen moderner Adaption und akkordeonistischer Meisterlichkeit versehen, bleibt dieser Auftritt ein wenig am Boden haften – was auch den Kompositionen geschuldet sein mag, die immer wieder an die Tango-Tradition andocken und diese zwar weiterdenken, aber deren Reize nicht ganz von der Tanzfläche in den Konzertsaal mitnehmen können. Intensiv und brandheiß wird es allerdings, wenn sich Bakanic seinen anderen Einflüssen wie dem Zawinul Syndicate oder seinen Balkan-Wurzeln widmet. Fügt man seinem Nachnamen Bakanic ein »l« und ein »b« hinzu, erhält man »Balkanbic« und damit den ersten Höhepunkt des Abends. Mit dem verkürzten Takt, dem zackigen Tempo und einer scheinbar jetzt erst so wirklich entfachten Leidenschaft springt hier plötzlich der Funke über!
Nach anfänglichen Monitor-Problemen weiß das Trio rund um die in Teheran geborene Sängerin und Gitarristin Golnar Shahyar dieses hohe Energielevel fortzusetzen. In Symbiose mit dem Gitarristen Mahan Mirarab und dem Percussionisten Amir Wahba gibt sie mitreißende Kompositionen zum Besten, unter anderem von dem hervorragenden Album »Derakht«, und weiß dabei das Publikum mit ihrer Stimmgewalt in ihren Bann zu ziehen. In dieser Band sehen sich alle zugleich als Melodie-, aber auch als Rhythmusinstrument und zwischen diese Einigkeit passt kein Blatt Papier. Und obwohl eine Sprachbarriere zwischen dem Großteil des Publikums und dem Inhalt der Songs steht, sind die Geschichten dennoch unmissverständlich, einnehmend und einprägsam.
Wo Golnar & Mahan Geschichten anhand rhythmisch und melodiös höchst komplexer Mittel erzählen, tut dies der letzte Act des Abends, Bassist Roman Britschgi und sein Quintett, mit dem Gegenteil: reduzierte, teilweise volkstümlich angehauchte Stücke, getragen vom vollen Bass-Sound des Bandleaders, der selbst als Musiker hier in der Charlie-Haden-Tradition des treibenden Minimalismus spielt. Christian Bakanic hat in dieser Formation den zweiten Auftritt des Abends, zwar in einer untergeordneteren Rolle als in seinem Trio, aber dennoch prägt er den Sound mit seinem Akkordeon mit und schließt somit eine Klammer, die zu Beginn des Abends freiwillig oder unfreiwillig geöffnet wurde. Denn obwohl Bakanic ein wirklich hervorragender Musiker ist, ist das Akkordeon in der hiesigen Jazzszene doch eher selten anzutreffen. Daher darf man sich wohl die Frage stellen, wie repräsentativ es wirklich ist, dass bei zwei von drei Auftritten eines Showcase-Festivals dieses Instrument eine prägende Rolle spielt.
Tag 2 – Synesthetic Quartett, KVIN und BartolomeyBittmann
Der zweite Konzertabend beginnt ganz im Zeichen der vertrackten Grooves. Mit Peter Rom an der Gitarre, Manu Mayr am Bass, Andi Lettner an den Drums und dem hochinteressanten Querdenker Vincent Pongracz hat sich eine spektakuläre Partie an Rhythmus-Dehnern und -Verkürzern eingefunden, die sich ausnahmslos tight durch Pongracz’ eigenwillige und dennoch melodiös hängenbleibende Kompositionen arbeitet. Mit sympathisch-verhaltenen Zwischenmoderationen, Raps in einer eigenen Fantasiesprache und Stücken mit Titeln wie »Systematic Masturbation« kann das Synesthetic Quartett gleich zu Beginn des Abends einhellig begeistern.
Auf dieses elektrisierende Setup folgt nun das Quintett KVIN, ein Projekt des äußerst umtriebigen Bassisten Philipp Kienberger, das kürzlich sein Debütalbum veröffentlicht hat. KVIN versteht sich als Streicherquartett, das von einem Klavier unter- und ummalt wird. Spektakuläre Klangreisen verbergen sich in Kienbergers Kompositionen, die sich nur dem offenbaren, der sich wirklich darauf einlässt und der Musik die Zeit gibt, die sie benötigt. Das ist auch anhand des Publikums zu beobachten, dass während der ersten Stücke etwas verhalten wirkt, jedoch mit fortschreitendem Set immer lauter und euphorischer.
Am Ende des zweiten und letzten Abends steht dann das ohnehin schon über die Landesgrenzen hinaus bekannte Geige-Cello-Duo BartolomeyBittmann auf der Bühne. Mit Clip-on-Mikrofonen und der damit einhergehenden Bewegungsfreiheit werden Bombast-Kompositionen Hollywood-cineastischen Ausmaßes präsentiert, die aber auch in dieser Manier recht distanziert und aufgesetzt wirken. Das Konzept von BartolomeyBittmann ist für diesen Rahmen einfach denkbar ungeeignet, da bräuchte es ein größeres und anderes Publikum (sowie Pyrotechnik), um wirklich einzuschlagen.
Conclusio
Gespickt mit einigen Highlights war das Kick Jazz 2018 ein durchaus spannendes Showcase-Festival, allerdings nicht divers genug, um die tatsächliche Bandbreite der österreichischen Jazzszene zu repräsentieren. Andererseits bräuchte es dafür wohl eine mindestens einwöchige Veranstaltungsreihe. Das Ziel eines Showcase-Festivals, internationale Veranstalter*innen und Journalist*innen von den hiesigen Acts zu überzeugen, kann fast nur erfüllt worden sein, denn obwohl man das Line-up noch extremer hätte gestalten können, konnte es jeden Abend einen Bogen zwischen relativ einfach konsumierbar serviertem Können und komplexen, verkopften Performances spannen, die das Publikum internationaler Festivals mit Sicherheit begeistern werden.