Emil Breisach, damaliger Direktor des Landesstudios ORF Steiermark, hat das musikprotokoll, das älteste Festival für Neue Musik in Österreich, 1968 ins Leben gerufen. Die Koproduktion der beiden Programme Radio Österreich 1 und Radio Steiermark, in denen die aufgeführten Werke gesendet werden, geschieht seit jeher in Kooperation mit dem Festival steirischer herbst. Im musikprotokoll Archiv, das im GrazMuseum noch bis 18. Jänner 2018 ausgestellt ist, sind zahlreiche Materialien zu finden, etwa Audioschnipsel, Biografien und Texte zu den aufgeführten Werken sowie Videos und Fotodokumentationen. Nicht nur für Georg Friedrich Haas ist das musikprotokoll ein Hauptereignis der Neuen Musik mit universellem Programm. Genannt seien nur zwei legendäre Uraufführungen: »Spiegel IV« von Friedrich Cerha und »Coptic Light« von Morton Feldman. Auch das Jubiläumsprogramm verspricht Großartiges. Bereits am ersten Tag erfolgte die Uraufführung von Peter Jakobers »Primen«. Euphorisierend und gleichwohl unter die Haut gehend spielten das Ensemble Zeitfluss unter Gerd Kenda und sangen die Vokalensembles chor pro musica, Vocalforum Graz und Domkantorei Graz einen Text von Ferdinand Schmatz, in dem es u. a. um die Manipulation des Wortes und somit die Manipulation des Menschen ging.
deranged orchestra – Stefan Fraunberger © J. M. Guggengberger Crisma
»Tanzmusik für Fortgeschrittene«
Das Programm des musikprotokoll Festivals umfasst heuer 34 Uraufführungen und 8 österreichische Erstaufführungen. Aus der Fülle seien einige Highlights hervorgehoben: Stefan Fraunberger hat auf seinen Orientreisen die Santur, ein dem Hackbrett verwandtes Instrument, schätzen gelernt. Der mittlerweile gut im heimischen Experimental-Festivalmusikbusiness gebuchte Oberösterreicher hat darauf seine eigenen Spieltechniken entwickelt, die er in »Ornamentrauschen« am 6. Oktober um 22:30 Uhr im Grazer Congress zum Erklingen bringt. Die Soundkünstler Stefan Fraunberger und Andreas Trobollowitsch wurden übrigens von den KuratorInnen für die Plattform SHAPE, ein Projekt des vor zehn Jahren vom ORF musikprotokoll mitbegründeten Festivalnetzwerkes ICAS, nominiert.
Musiker, die über den Tellerrand blicken, zeichnet oft aus, dass sie sich auch in die »Niederungen« der Populärmusik begeben. Schön ist das etwa bei Free Drummer Han Bennink zu hören, wenn er dem Swing huldigt. Ûbersetzt auf ein Festival muss natürlich das alte Ballwesen herhalten, weshalb zeitgenössische Komponisten aufgefordert wurden, kurze, tanzbare Stücke zu schreiben. Der Stefaniensaal im Grazer Congress ist am 6. Oktober um 19:30 Uhr der geeignete Ort, an dem Werke von Johanna Doderer, Judit Varga oder Jorge Sánchez-Chiong zu Hüftschwüngen und Ähnlichem anregen sollen. »Tanzmusik für Fortgeschrittene« einmal anders. Soll Spaß machen und mit dem RSO Wien unter Johannes Kalitzke gelingen, etwa bei einer Polka-Adaption von Gerhard E. Winkler.
Danach, um 21:30 Uhr, matchen sich im benachbarten Kammermusiksaal noch die beiden Kontrabassisten Barry Guy und Peter Herbert. Die Schweizer Barock-Violinistin Maya Homburger, die seit 20 Jahren mit Guy im Duo spielt, wird am Samstag mit dem Londoner Bassisten und dem Gitarrenquartett Aleph u. a. Werke von Zeynep GedizlioÄŸlu und Marko Nikodijevic kredenzen. Empfohlen seien auch Klammer & Gründlers »The Sound of the Internet of Things« am 7. Oktober um 21.30 Uhr in der Helmut List Halle sowie Matthew Shlomowitz’ »Electric Dreams« im MUMUTH, wo am 8. Oktober um 19:30 Uhr Operngesang auf Synthesizerklänge trifft.
Happy New Fear © Rima Naijdi
»Homages« an New Yorker Künstler
Eine Klangausstellung der anderen Art, erfahrbar über Kopfhörer: Im Stadtwerke-Haus (Holding Graz), der Akademie Graz und im designforum sind in Kooperation mit dem Austrian Cultural Forum New York (ACFNY) 15 »Homages« österreichischer an New Yorker Musikschaffende zu erleben. Hier eine unvollständige Liste der Würdigungen: Olga Neuwirth – Patti Smith, Andrea Sodomka – Yoko Ono, Patrick Pulsinger – Philip Glass, Christian Fennesz – Cyndi Lauper, Peter Herbert – Charles Mingus, Bernhard Lang – Robert Ashley, Peter Ablinger – Morton Feldman, Elisabeth Schimana – Max Brand. Nicht zu vergessen Mia Zabelkas Hommage an Pauline Oliveiros (siehe auch Mia Zabelkas Artikel zu PhonoFemme 2017 auf skug.at).
Zum Abschluss ist das musikprotokoll wie jedes Jahr im ORF Landesstudio Steiermark zu Gast, und zwar am 8. Oktober ab 23:00 Uhr. Die libanesische Performance-Künstlerin Rima Najdi konfrontiert in »Happy New Fear«, zurückgehend auf ihr »Madame Bomba: The TNT Project«, in dem sie eine Bombenattrappe um ihren Körper durch Beirut trug, mit der Komponistin und Musikerin Kathy Alberici die HörerInnen eindringlich mit ihren eigenen Ängsten. Für ihre audiovisuelle Live-Version haben Najdi und Alberici weiters die Video-Künstlerin Ana Nieves Moya eingeladen.
musikprotokoll, Österreichs Festival für zeitgenössische und experimentelle Musik, 4.-8. Oktober 2017, Graz
»mp 1968/2017 – 50 x Diebsgut und Fundstücke«, noch bis 8. 1. 2018, GrazMuseum, Offenes Foyer