Ob klingt.org wirklich »org« klingt, dürfen Hörende selbst herausfinden. Ein höchst sonderbares Klangbiotop ist aber in jedem Fall gegeben. Seit 2000 bietet die Online-Plattform ein dezentrales Netzwerk für experimentelle Musik, oder – wie Gründer und Betreiber Dieter Kovačič aka Dieb13 es formuliert: »musik abseits der bekannten pfade«. Neben Webspaces für gut 250 Künstler*innen und Kunstprojekte, einem Konzertkalender und Mailinglisten steht auch eine Online-Jukebox mit über 166 Stunden Musik bereit. Eine besondere Alternative zum kommerziellen Streaming.
Schon einige Male wurden die Geburtstage des klingt.org-Kollektivs fulminant gefeiert, zuletzt 2023 im Wiener brut. Zu diesem Anlass war ich erstmals mit Dieter Kovačič im Gespräch. Ergebnis war ein irres Radiofeature mit Originalsounds aus dem wildwuchernden klingt.org-Kosmos. Nun also ein Wiedersehen zum 25. Geburtstag, dem Anlass gemäß in doppelter Stärke: Gefeiert wird am 11. Jänner 2025, zuerst ab 16:00 Uhr auf dem Donauschiff MS Vindobona und dann um 20:00 Uhr im Theater am Werk (Petersplatz).
Zu sehen und hören ist ein breites Konzertprogramm mit vielen Bekannten aus dem klingt.org-Netzwerk, darunter Mats Gustafsson, Billy Roisz, Isabella Forciniti und Klarinettistin und Saxofonistin Susanna Gartmayer. Mit ihr und Dieter Kovačič sprach ich über 25 Jahre klingt.org, familiäre Netzwerke, Kunst jenseits der Förderung und eine ominöse neunköpfige Improvisationshydra.
skug: »25 Jahre bessere Farben« lautet das Motto des Geburtstags. Sieht die Welt dank klingt.org jetzt bunter aus?
Dieter Kovačič: Hoffentlich. (lacht)
Susanna Gartmayer: Die Welt wird ja immer grauer. Die Autos sind entweder weiß, schwarz oder grau. Wie die Kleidung der Leute. Die Farben verschwinden …
Ist klingt.org also ein Projekt gegen den grauen Mainstream?
Dieter Kovačič: Wir sind nicht gegen Farben, sondern für Farben. Auf der klingt.org-Website gibt es zum Beispiel den Button »better colors«, den kann man klicken. Dann hat man das ganze Layout in anderen, besseren Farben. Daher kommt auch der Slogan des Geburtstags.
Dieter, ich kann mich noch gut an unser Gespräch zum 23. Geburtstag erinnern. Ich hatte dich für meine Sendung »funkdefekt« im Freiburger Radio Dreyeckland interviewt. Damals, 2023, gab es eine farbenfrohe Feier im brut. Zum 24. fielen die Feierlichkeiten aus. Musstet ihr euch vom letzten Geburtstag erst noch erholen?
Dieter Kovačič: Letztes Jahr bin ich schlicht an der Raumsuche gescheitert. Es gibt in Wien einfach einen Mangel an guten Veranstaltungsorten. Ich bekam vier Zusagen, die alle wieder zurückgezogen wurden. Dann habe ich frustriert aufgegeben. Es gibt viele Orte in Wien, die für Freischaffende und Freigeister wie unsereins schlicht unzugänglich sind.
Wenn ich an andere Freigeister und Subkulturen denke, sehe ich ähnliche Probleme. Findest du, dass es ein Trend ist, der stärker geworden ist?
Dieter Kovačič: Viel stärker. Als ich in den Neunzigern in Wien freischaffend Musik gemacht habe, hat es noch ein Bedürfnis nach Kooperationen und Crossovers aller Art gegeben. Das ist leider sehr zurückgegangen.
Gerade dann wundert mich, dass ihr heuer ein so großes Fest mit zwei Spielorten veranstalten könnt, darunter ein Schiff! Und ein großes Line-up mit DJ-Set! So etwas hätte ich eher kommerziellen Akteur*innen zugetraut. Zumindest aber zeugt es von Selbstvertrauen.
Dieter Kovačič: Nee, das ist einfach ein Geburtstagsgeschenk an mich selbst. Das wird wohl eher ein Verlustgeschäft. Aber den Spaß erlaube ich mir einfach. (lacht)
Susanna Gartmayer: Wir feiern ja auch nicht auf einer Yacht. So glamourös wird es nicht!
Dieter Kovačič: Die MS Vindobona ist uralt, das einzige Charterschiff in Wien. Außen hat sie so eine Art Hundertwasser-Deko. Da musste ich schon wegschauen, als ich sie gechartert habe! In den Neunzigern gab es übrigens bereits Bootsfahrten von Labels und ähnlichem. Das Wiener Mego Label hat zum Beispiel mal ein »Love Boat« im Rahmen der Ars Electronica gehabt. Und der Künstler Franz Xaver hatte mit der Eleonore in Linz für einige Zeit ein Boot, das für Artists in Residence zur Verfügung stand.
Steckt noch mehr dahinter? Ist das Boot eine Metapher? Oder einfach nur ein Traumschiff für klingt.org?
Dieter Kovačič: Ja, ein Traumschiff! Und am Ende der Fahrt küren wir den Sascha Hehn der improvisierten Musik! Nein, ich will da gar nicht zu viel reininterpretieren. Es ist einfach eine nette Idee für einen Ausflug.
Spannend finde ich, dass ihr als zweiten Spielort des klingt.org-Fests das noch junge Theater am Werk am Petersplatz ausgewählt habt. Ein Theater, das sich stark interdisziplinären und multimedialen Formen verschreibt.
Dieter Kovačič: Ja, gerade der Standort am Petersplatz hat sich mit Veranstaltungen wie DerBlödeDritteMittwoch oder dem Jahresendzeitschokoladenhohlkörper Festival stärker der experimentellen Musik geöffnet.
Wie finanziert ihr das Fest?
Dieter Kovačič: klingt.org ist ursprünglich ein Fundraiser-Projekt. Ich habe den Server immer ohne Förderung betrieben. Nur einmal im Jahr frage ich die Musiker*innen, die davon profitieren, ob sie spenden möchten. Heuer drehe ich die Sache um und stecke selbst Geld rein. Ich habe klingt.org sehr bewusst immer jenseits von Förderung betrieben. Als Verein hätte ich mich institutionalisieren müssen, Anträge schreiben. So etwas wollte ich nie – und das ist für so einen Serverbetrieb auch nicht notwendig.
Irgendwelche Zugeständnisse müsst ihr also nicht machen. Sollte man Ottonormalhörer*innen für das Fest deshalb lieber eine Warnung aussprechen?
Dieter Kovačič: Ja, denn manchmal wirken solche Warnungen ja auch anziehend. Vor ein paar Jahren hatte eine Freundin aus Salzburg ein Interview im Radio gehört, in dem ich alle Salzburger*innen davor gewarnt hatte, zum damaligen klingt.org-Fest zu kommen. Sie hat sich daraufhin auf den Weg gemacht, um sich das mal anzuschauen. Inzwischen lebt sie in Wien.
Also sprichst du hiermit eine Warnung aus.
Dieter Kovačič: Ja. Bitte auf keinen Fall zum klingt.org-Fest kommen! (wendet sich zu Susanna Gartmayer) Sag doch auch mal was.
Susanna Gartmayer: Was soll ich sagen? Ich muss ja kommen! (lacht)
Ja, warum musst du eigentlich kommen? Und wie fing die Beziehung zu klingt.org bei dir an, Susanna?
Susanna Gartmayer: Ich kannte Dieter damals über gemeinsame Freunde, ein Projekt. Und ich habe noch einen Webspace und eine Mailadresse gebraucht. Das ist jetzt schon viele Jahre her. So habe ich auch die klingt.org-Familie kennengelernt.
Du sagst Familie, also ist klingt.org mehr als ein Provider für dich. Was bedeutet das für dein künstlerisches Schaffen?
Susanna Gartmayer: Es bietet einen Kontext für meine Arbeit. Das hilft auf jeden Fall. Und ja, das familiäre Gefühl ist schon besonders. Es fängt schon damit an, dass man den Chef Dieter persönlich kontaktieren kann und der einem auch wirklich antwortet! Das ist wie in früheren Zeiten. Nicht wie mit irgendeinem KI-Assistenten.
Wie wird das eigentlich am 11. Jänner? Gibt es nur Konzerte oder auch Interdisziplinäres?
Dieter Kovačič: Es gibt eine Überraschungsperformance, eine Eröffnungsintervention des Duos beauchamp*geissler. Der Rest sind Konzerte, ganz klassisch, Frontalunterricht.
Susanna Gartmayer: Na ja, ich spiele vielleicht von hinten und von wo anders.
Dieter Kovačič: Stimmt! Susanna und Mats Gustafsson werden den Ort wahrscheinlich wechseln.
Der Saxofonist Mats Gustafsson hat in seinem kryptischen Ankündigungstext sogar gedroht, eventuell von Bord zu fallen. Ich zitiere das Original: »perhaps acoustic walking around is a way ? and jumping in donau at the end ? with instrumenst and all ? just disapearing ? I will think about it.«
Dieter Kovačič: Er hat mir nicht geschrieben, was er eigentlich vorhat. Aber er hat mir per Mail diese Fragen geschickt. Den Text habe ich dann einfach Copy/Paste auf die Website gestellt. Bei Mats weiß man nie, was kommt. Nur, dass es eine richtige Mats-Gustafsson-Saxofon-Solo-Performance wird.
Ehrlich gesagt weiß ich auch nicht ganz, was deine Ankündigung bedeutet, Susanna. Du spielst von hinten zum Publikum?
Susanna Gartmayer: Bei meinem ersten Soloprogramm habe ich mit den akustischen Möglichkeiten des Raums gearbeitet. Auf dem Schiff werde ich auch schauen, was es für Spielplätze gibt.
Also eine Impro-Show?
Susanna Gartmayer: Meine Solokonzerte sind nicht komplett improvisiert, sondern werden für die Spielorte konzipiert. Ich muss also schauen, welche Stücke ich wo auf welche Weise spiele.
Wie kam das Line-up zustande? Das klingt.org-Netzwerk ist ja nicht klein und die Slots sind begrenzt.
Dieter Kovačič: Manche habe ich angefragt, manche haben mich angefragt, manche haben sich schon letztes Jahr angekündigt. Das kommt halt so, wie es kommt. Mir war nur ein Anliegen, dass das klingt.collective spielt …
Die – wie es auf der Homepage heißt – »neunköpfige improvisationshydra« …
Dieter Kovačič: In diesem Fall sind wir leider nur zu acht, weil Oliver Stotz nicht in Wien sein wird. Mit dabei sind aber Leute wie Susanna und ich, die schon lange Teil des klingt.org-Universums sind. Wir präsentieren auch ein neues Release.
Hofft ihr, das klingt.org-Netzwerk über die Feierlichkeiten etwas bekannter zu machen? Das würde künftige Ansuchen um Räumlichkeiten sicher auch vereinfachen.
Dieter Kovačič: Das wäre ein guter Nebeneffekt. Ich habe nur keine Ambitionen, was Förderungen betrifft. Das ist noch einmal eine andere Diskussion. Aber das Fest trägt sicher zur Sichtbarkeit der Szene bei.
Susanna Gartmayer: Es hat in Wien ja schon eine Reputation als Fest, auf dem ganz weirdes Zeug läuft, dem sich Leute auch aussetzen wollen. Die ganz absichtlich deshalb hingehen.
Wer kommt denn eigentlich? Ganz erwartbar Leute, die Grenzerfahrungen suchen, und eben die klingt.org-Familie? Oder gibt ein breiteres Publikum?
Dieter Kovačič: Zum einen ist es natürlich ein Klassentreffen. Zum anderen kommen aber immer auch einige Neugierige, die über klingt.org nicht miteinander verlinkt sind. Vielleicht, weil über das Fest auch in den Medien berichtet wird.
Kinder und Familien?
Dieter Kovačič: Vielleicht, wenn es heuer am Nachmittag und auf einem Boot stattfindet. Aber eigentlich ist es kein Kinder- und Familienfest. Wobei – eine Freundin aus Japan war früher regelmäßig mit ihrer Tochter da. Die hat noch bis in die Puppen getanzt. Sie war der Fan Nummer 1.
Letzte Frage: klingt.org geht ja auf dich zurück, Dieter. Woher nimmst du die Kraft für dieses monströse Unternehmen? Ist dir das in Personalunion nicht manchmal zu viel?
Dieter Kovačič: Manchmal. Im Großen und Ganzen ist klingt.org aber etwas, das so nebenherläuft. Den Server zu administrieren ist für mich mittlerweile wie Zähneputzen.
Susanna Gartmayer: Die technischen Probleme sind aber schon eine Herausforderung, oder? Wenn du auf Tour bist, plötzlich nichts mehr funktioniert und du hundert panische Mails von irgendwelchen Leuten kriegst, weil deren eigene Website nicht mehr abrufbar ist.
Dieter Kovačič: Ja. Da hat es schon Situationen gegeben, wo ich zwischen Soundcheck und Konzert backstage am Handy panisch Server-Restarts gemacht habe. (lacht) Gestern war ich auf einem Konzert, da meinte ein Freund, der hinter mir saß: »Du weißt schon, dass klingt.org gerade nicht geht?« Da musste ich schnell raus und hatte dann schon den Anfang vom Konzert verpasst. Na ja, aber meistens ist es nicht so stressig. Technisch gesehen bräuchte es mich und den eigenen Server heutzutage auch gar nicht, um die Plattform zu betreiben.
Aber?
Dieter Kovačič: Es geht mir auch um ein Statement – gerade zu Zeiten von Social Media als politischer Waffe –, dass das Internet auch ein anderer Raum ist. Dass es dort kleine kollektive und familiäre Zusammenhänge geben kann, die auch die Öffentlichkeit erreichen.