Illustration © Benedikt Haid
Illustration © Benedikt Haid

Zum Verhältnis von Marx und Freud

Marx und Freud sind sich ähnlicher, als gemeinhin angenommen. Beide liefern die Instrumente zu einer Kritik, um die angeblich natürlichen Voraussetzungen von Ökonomie transparent zu machen. Weder die politische, noch die psychische »Pseudonatur« sollte als unabänderlich akzeptiert werden.

Karl Marx’ und Siegmund Freuds Hauptwerke – »Das Kapital« (1867) und »Die Traumdeutung« – (1900) sind im Abstand von nur gut drei Jahrzehnten erschienen. Der junge Freud hätte, als er im Juli und August 1875 seine beiden Halbbrüder Emanuel und Philipp in Manchester besuchte, mit der Bahn in wenigen Stunden in London sein und dort Marx und Engels aufsuchen können. Beide Autoren standen in der Tradition der materialistischen Hegel-Kritik Ludwig Feuerbachs und diese Tradition reicht noch weiter zurück, nämlich an den Beginn des 19. Jahrhunderts, also zu dem (damals »jakobinisch« orientierten) Duo Hegel-Schelling. Die deutschen Dialektiker – eben Johann Gottlieb Fichte, Georg Wilhelm Friedrich Hegel und Friedrich Wilhelm Joseph Schelling – waren in ihrer Jugend enthusiastische Anhänger der Französischen Revolution, die – nach dem »Thermidor«1 von 1794 – an ihre Schranken stieß. Mit »Freiheit«, »Gleichheit« und »Brüderlichkeit« hatten die Aufklärungs-Philosophen mehr gemeint als das, was anno 1800 realisierbar war: die allgemeine Nutzung des Privateigentums, die formelle Rechtsgleichheit und die prekäre Kooperation antagonistischer Klassen.

Es ist anzunehmen, dass sich dieses Kunstwerk gegen den angeblichen Naturzustand des Homo homini lupus richtet. Werner Lang: alle gegen alle gegen alle gegen alle gegen alle (© MAG3)

Wider die »ewigen« Institutionen
Wenn eine Revolution (wie die Französische) imstande ist, alte, obsolet gewordene Institutionen (wie das feudale Grundeigentum) abzuschaffen, die Revolutionäre aber außerstande sind, den Rahmen jüngerer, selbstgeschaffener Institutionen (wie das Privateigentum und den Nationalstaat) zu sprengen, bedarf es einer neuartigen Form der Kritik, die es mit menschengemachten Institutionen, die sich wie »Natur« ausnehmen, ohne es zu sein, aufnehmen kann. Solche Kritiken von »Pseudonatur« sind sowohl die Marxsche Kritik der »politischen« als auch die Freudsche Kritik der psychischen Ökonomie. Beide haben ein und dasselbe »Objekt«, das »Subjekt« werden kann – nämlich die vergesellschafteten Individuen – und beide gehen, was ihr Instrumentarium anlangt, zurück auf den ersten Hegelkritiker, nämlich Schelling. In den vergangenen gut 100 Jahren wurden beide Kritiken als »Naturwissenschaften« missverstanden und unterlagen einem Erosionsprozess. Das Verhältnis von Marxismus und Psychoanalyse war dementsprechend eines der feindseligen Ignoranz. Dies einmal zu verstehen heißt, es zu verändern.

Dieser Beitrag ist ebenso wie jene von Friedrich Tomberg und Reinhold Sturm Teil der Veranstaltung »marx200.0«, die in der Galerie MAG³ am Vorabend und Abend von Marx’ Geburtstag, also am 4. Mai und 5. Mai 2018, stattfinden wird. Neben den Vorträgen der Autoren werden die Schauspielerin Gabriela Schmoll und der Medienwissenschaftler Chris Zintzen bedeutende Texte des Jubilars verlesen.

1 »Hitzemonat« des Republikanischen Kalenders, der zwischen 1793 und 1805 in Frankreich galt. Gemäß gregorianischem Kalender die Zeit zwischen Ende Juli und Anfang August. Am 9. Thermidor 1794 endete mit dem Sturz von Robespierre dessen »Terrorherrschaft«.

Link: https://www.nammkhah.at/Mag3/

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