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»Yves Saint Laurent – L’Amour Fou«

Erinnerungen an Yves Saint Laurent und »Führungen« durch die Wohnsitze des Modeschöpfers - als Guide fungiert dessen Lebenspartner Pierre Bergé.

Fünfzig Jahre lang lebten Yves Saint Laurent und Pierre Bergé zusammen, es war eine Liebes-, Freundschafts- und Geschäftsbeziehung, die beide Männer verband. In allen Bereichen sei ihre Rollenaufteilung getrennt gewesen, erzählt Bergé. Etwa dem von beiden gegründeten »Maison de Haute Couture« war Saint Laurent für Künstlerisch-Kreatives zuständig, Bergé befasste sich mit finanziellen, organisatorischen und praktischen Agenden. Er kümmert sich seit dem Tod des Modeschöpfers im Jahr 2008 um dessen Nachlass, der u. a. eine umfangreiche Kunstsammlung umfasste. Diese Sammlung wurde 2009 versteigert. Die Auflösung/Demontage und Auktion der unzähligen Gemälde und anderen Kunstgegenstände bilden eine thematische Klammer in Pierre Thorettons Film. Die Dokumentation (der erste längere Film des Fotografen und bildenden Künstlers Thoretton) ist recht konventionell in Aufbau und Gestaltung geraten. In erster Linie ist es Pierre Bergé, der in Interviews Auskunft über seinen verstorbenen Lebensgefährten gibt. Auch einige andere kommen kurz zu Wort – etwa die engen Freundinnen und Musen des Couturiers Betty Catroux und Loulou De La Falaise. Das Publikum lernt die Wohnsitze Saint Laurents kennen: Die mit Kunstwerken vollgestellte Pariser Wohnung in der Rue de Babylone, die Villa in Marrakesch und ein Herrenhaus in der Normandie. Durch die Räumlichkeiten »führt« Pierre Bergé. Dazwischen sieht man jede Menge Archivmaterial aus TV und Kino-Wochenschauen sowie privaten Filmaufnahmen, auch Fotos und Modeskizzen.

Wenig Hintergründiges

Thoretton lässt seinen Film mit Yves Saint Laurents letztem Statement vor den Medien beginnen, in dem er seinen Rückzug aus der Üffentlichkeit bekannt gab. Die folgende Sequenz zeigt Ausschnitte der staatsbegräbnisartigen Trauerfeier 2008 in Paris. Die enorme Wertschätzung, die der Modeschöpfer genoss und noch genie&szligt, lässt sich nicht nur durch die fulminanten Erfolge seiner Kollektionen erklären. Er war in mehreren Bereichen der Modewelt ein Pionier und veränderte die Kleidungsordnung etwa durch die Einführung des Damen-Hosenanzugs. In »L’Amour Fou« werden die Gebiete, in denen Saint Laurent Neuland betrat kurz angeschnitten. Ein schier endloses Defilée an Kleidungskreationen aus mehreren Jahrzehnten zieht über die Leinwand. Leider wird über die gesellschaftliche Bedeutung dieser »Erfindungen« kaum ein Wort verloren, auch die jeweiligen zeitgeschichtlichen und sozialen Hintergründe werden gro&szligteils ausgeblendet.

Die dunklen Seiten des Erfolgs

Die Lebens-Erzählung beginnt im Jahr 1957 mit dem Tod Christian Diors, als Yves Saint Laurent, erst 21-jährig, zum künstlerischen Leiter des Modeimperiums Dior wird. Im Jahr darauf lernen er und Bergé sich kennen. ?ber die näheren Umstände ihrer ersten Begegnungen gibt Bergé kaum etwas bekannt. Generell gibt sich der distinguierte ältere Herr, der stets mit Krawatte und Anzug, hochgeschlossen und in dicke Stoffe gehüllt (bevorzugterweise Tweed), gekleidet ist, letztlich etwas zugeknöpft. Kindheit, Jugend, wirklich Persönliches bleibt weitgehend ausgespart, wenngleich Pierre Bergé die dunklen Seiten Saint Laurents nicht verschweigt und von dessen schweren Depressionen, Ausschweifungen, Drogen und Alkoholsucht erzählt. Bergé gehört immerhin einer Generation an, in der es nicht gang und gäbe ist, öffentlich Schmutzwäsche zu waschen. Nicht dass man als Zuseher auf intime Details erpicht wäre, aber mitunter wirkt Bergé wie ein Museumswärter, der routiniert durch eine gut präparierte Ausstellung führt. Jemand, der sich im Gegensatz zur Rezensentin, etwas in Modegeschichte und Couture auskennt, erfährt wohl wenig Neues durch Pierre Thorettons Film. Mit Abstand am interessantesten und berührendsten sind die Filmaufnahmen, in denen Yves Saint Laurent selbst zu sehen und zu hören ist – als schüchterner junger Mann mit scheuem Lächeln bis zum letzten Auftritt im Blitzlichtgewitter, gezeichnet von Krankheit.

»Yves Saint Laurent – L’Amour Fou«: Frankreich 2010. Regie: Pierre Thoretton. Mit: Pierre Bergé, Betty Catroux, Loulou De La Falaise, Jack Lang u. a.

Derzeit in österreichischen Kinos

Home / Kultur / Film

Text
Jenny Legenstein

Veröffentlichung
15.06.2011

Schlagwörter

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