Es ist ein heftiger Ort, ein Täterort. Auch wenn das NS-Dokumentationszentrum München ein Neubau ist, das dreistöckige Gebäude steht auf den Fundamenten des »Braunen Hauses«, in dem Adolf Hitler sein Hauptquartier hatte. Durch das Fenster kann man vom obersten Stock aus in das Arbeitszimmer Hitlers blicken, denn das Nebengebäude des »Braunen Hauses« steht noch. Nun klingen abends schöne Töne aus dem altmodischen Gebäude. Sphärische Klaviermusik. Die Hochschule für Musik ist jetzt darin angesiedelt. München war die »Hauptstadt der Bewegung«. Der Museumswächter betont immer wieder, dass er schon beinahe Dienstschluss habe, denn eigentlich dürfe er nicht mit Besuchern reden. Dabei steht er den lieben langen Tag inmitten der Text- und Bilddokumente, die die Euphorie des Beginns der nationalsozialistischen Bewegung zeigen. Ungesund und unmenschlich ist es daher, sich stundenlang nicht äußern zu dürfen. Die Sonne knallt auf das grellweiße Haus, das ganz allein dasteht, denn der Rest des Nazi-Hauptquartiers wurde von den Alliierten weggebombt, die verbleibenden Ruinen wurden gesprengt, die Sockel bepflanzt. »Unser Haus wurde auch schon angegriffen«, sagt der Wächter und deutet aus einem anderen Fenster, »da hinten standen die Neonazis, als sie gegen die Eröffnung unseres Hauses protestierten.« Freundlich weist er einen realitätsnahen Ausweg aus der geistigen Ûberlastung durch die enorm vielen Dokumente, die dicht auf dicht gelagert sind und gewaltig triggern. Quasi allumfassend, überbordend.
Adolf Frankl »Verbrennungsofen – Leichenträger«(© VG-Bild-Kunst, Bonn / bildrecht.at )
Bilder, die stark genug sind
»Man kann sich in der Stadt kaum mehr bewegen, ohne sich diese Parolen anhören zu müssen«, sagt der Münchner Kulturstadtrat in seiner Eröffnungsrede zur Bilderausstellung des Auschwitz-Ûberlebenden Adolf Frankl (Bratislava/ Wien), zu der viele Besucher aus Wien angereist sind. Der Stadtrat erzählt von der Pegida-Demo, die er auf dem Weg vom Rathaus zum NS-Dokumentationszentrum durchqueren musste. »Wenn wir an die Macht kommen, werdet ihr die Flüchtlinge sein«, tönten die Pegida-Leute in Richtung der Gegendemonstranten. Wenn man im NS-Dokumentationszentrum nach den oberen zwei Stockwerken durch all die schwarzweißen Dokumente hindurch endlich zu den Bildern von Adolf Frankl kommt, leuchten sie wie jene Andy Warhols. Der Direktor suchte die Ölgemälde persönlich in Wien aus, er nahm nur Bilder mit knalligen Farben. »Bilder, die stark genug sind«, meint er im Gespräch. In seiner Rede betont der Direktor des NS-Dokumentationszentrums dann mehrmals, dass der Künstler Adolf Frankl »authentisch« sei und »jeder Ästhetisierung ausweiche«. Was logisch erscheint, wenn jemand im Konzentrationslager Auschwitz inhaftiert war und knapp der Ermordung durch die Nazis entkam. Mit seiner Aussage will sich der Direktor aber von Künstlern wie Gerhard Richter oder Anselm Kiefer abgrenzen, die pathetisch und dramatisch Kunst über die NS-Zeit machen würden. Er will kein »ephemeres Spektakel«, sagt er und erwähnt Claude Lanzmann, der in Richtung Steven Spielberg meinte, Bilder würden die Imagination töten.
Thomas Frankl vor dem Bild »Gesichter, die mich verfolgen«, das sein Vater um 1954 herum malte. (Foto: Orla Connolly)
Gespenster-Gesichter, Seelen
»Unverblümt« würden die Bilder das Grauen des KZ zeigen, meint Charlotte Knobloch, die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München. Der Ausdruck »unverblümt« ist deswegen bemerkenswert, weil ein Therapeut Adolf Frankl dazu riet, Blumenbilder zu malen. In der Nacht, wenn er nicht schlafen konnte, stand Frankl jedoch auf und malte Gesichter auf jede einzelne Blume. Gesichter der ermordeten Menschen, Gespenster-Gesichter, Seelen. Es ließ ihm keine Ruhe. Deswegen sind die Bilduntergründe oft fleckig, blumig, bunt. »Der Tod und die Vernichtung der anderen überschatteten sein Leid«, sagt der aus Wien angereiste Sohn, Thomas Frankl, in seiner Rede. »Vater hat nie mehr ins Leben zurückgefunden. Das ging vielen Ûberlebenden so. Er war ein grundgütiger Mensch, der allen vergab und nie hasste. Stellt euch vor, er vergab sogar dem Hausmeister, der uns ins Verderben geschickt hatte. Vater überlebte alle seine Peiniger. Er malte aus innerer Wut sein eigenes Schicksal.« Dann zitiert Thomas Frankl noch den Pädagogen Peter Gstettner, der einmal sagte, dass man Ûberlebenden oft die Kunst absprechen würde und so tue, als ob die Malerei ausschließlich Selbsttherapie wäre. Die Kunst wird ihnen aber auch leicht abgesprochen, wenn man die »Authentizität« besonders betont. »Ich wende mich wieder dem Bild zu. Farben und verwischte Gesichter nehmen Gestalt an. Die grellen, leuchtenden Farben sind mir sympatisch. Wie das Feuer leuchten sollen sie! Bei mir ist die tiefe Wirkung der Farben die Grundlage meiner Werke“, schrieb Adolf Frankl über seine Kunst. Vor dem Holocaust war er Zeichner in einer Tageszeitung in Bratislava gewesen.
Die Sonderausstellung »Adolf Frankl – Kunst gegen das Vergessen« wird von 21. Juli bis 25. September im NS-Dokumentationszentrum München gezeigt.