© Sepp Wejwar
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Wer wird die Wende herbeiführen?

»Hope«, also Hoffnung, war das Motto der Ars Electronica 2024 in Linz. Ein buntes Spektakel, gemixt aus Ausstellungen, Workshops, Konzerten und mehr.

Wäre »international« steigerbar, die Ars Electronica wäre Anwärterin auch für diesen Superlativ. 1.260 Menschen – Künstler*innen, Wissenschaftler*innen, Entwickler*innen, Unternehmer*innen und Aktivist*innen – aus 67 Ländern boten höchst unterschiedliche Antworten auf die das diesjährige Festivalmotto »Hope« begleitende Frage: »Who will turn the tide?« Mit mehr als 112.000 Besucher*innen hat das Festival 2024 damit alle seine Vorläufer übertroffen. 

Wäre »vielfältig« steigerbar, die Ars Electronica verdiente sich auch so ein Attribut. Das bezieht sich etwa auf die Vorschläge, wie denn die Wende herbeizuführen wäre. Beginnend bei »Fractal Elegies« aus Qatar: »Fractal Elegies kann sowohl als Brücke als auch als Barriere dienen, indem es die verschiedenen Fäden der Geschichte, Tradition und Identität miteinander verwebt. […] Der Betrachter kann durch eine Reihe von neun kunstvoll gestalteten Räumen navigieren, um Szenen aus verschiedenen Geschichten über Stämme, Lebensumstände, Kämpfe, Traditionen, Feste und Reisen des philippinischen Volkes zu entdecken. […] Die Prinzipien der frühen islamischen Kunst können als Vorläufer der westlichen Computerkunst betrachtet werden.«

Vielfalt wurde jedoch auch in Bezug auf die gebotenen Attraktionen geboten: Performances, ein Symposium, Kunst- und Wissenschaftsausstellungen, Musikdarbietungen, Workshops; dabei ein starker Fokus auf KI. In Ausstellungen, etwa Paul Trillos’ (USA) »Washed Out: The Hardest Part« im Lentos Kunstmuseum; bei Workshops, wie »Girl AI: Playful Subversion with AI & Design« von Dominika Čupková (SK) beziehungsweise »Against AI Narratives« von Rasa Bocyte (LT); oder bei spielerischen Selbstversuchen, wie »How to (not) get hit by a self-driving car« von Daniel Coppen (GB) und Tomo Kihara (JP) wurden Gegenwart und Zukunft künstlicher Intelligenz beforscht.

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Nicht billig, aber auch gratis 

Mit 59,– Euro für das Tagesticket und 210,– Euro für den Festivalpass war der Eintritt von 4. bis 8. September nicht gerade billig, aber ein Besuch in der Post-City Linz lohnt sich auch für jene, deren Börserl nicht so locker sitzt. Denn die hochinteressanten Ausstellungen im 1. Stock waren ohne Ticket, also gratis, zu besuchen. (Und niemand war gezwungen, sich für 6,50 Euro ein kleines Bier aus dem Kühlschrank zu schnappen.) In jedem Fall lieferte schon diese Ausstellung Ansätze zum Nachdenken. Student*innen aus Berlin stellten die Frage, wie wir eines der letzten Güter, das noch wirklich uns gehört, unsere Gedanken, vor dem Zugriff durch die längst omnipräsenten Datenkraken schützen können und ob wir es zulassen, dass in Zukunft vermehrt Gedankenlesegeräte (Hirnströme können nicht schwindeln), etwa bei Einstellungsgesprächen, eingesetzt werden.

Zudem gab es einiges an Kultur bei kostenlosem Eintritt – auch außerhalb der Post-City. Der MED-Campus der Kepler-Uni, der 2024 seinen ersten Auftritt als Ars-Electronica-Festival-Location hatte, war ebenfalls gratis zu besuchen. Dabei zeigte das Linz Institute of Technology acht Arbeiten zur Demonstration von Synergien zwischen künstlerischer und wissenschaftlicher Forschung.

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Workshop-Programm im Selbstversuch

Selbstversuche habe auch ich angestellt – indem ich Workshops gebucht habe. (Diese konnten nur mit Tagesticket oder Festivalpass besucht werden.) Am noch halbwegs ruhigen ersten Tag fand um 13:00 Uhr der Workshop »A Beacon of Hope: Create your own AR/VR avatar!« statt. Zunächst wurden Fallbeispiele gezeigt – aus den Bereichen Skulptur, 3D-Modellieren, 3D Augmented Reality, animierte Szenen, Augmented Contemporary Artworks, Mode oder Geolocation. Und aus dem Bereich der KI: mit künstlicher Intelligenz generierte Kunst oder Merchandise. Der erste Präsentator erinnerte mich an einen meiner Hochschulprofessoren, einen Mathematiker, der nie ein Beispiel fertiggerechnet hat. Er hat immer bei rund zwei Drittel des Rechenvorgangs abgebrochen und gesagt: »Der Rest versteht sich von selbst.« Kaum eine*r von uns hat je irgendetwas »von selbst« verstanden. So erging es mir mit diesem Präsentator. In atemberaubender Geschwindigkeit flog er über seine Beispiele, sodass es unmöglich war, sie überhaupt zur Kenntnis zu nehmen.

Dann wurden wir eingeladen: In eine »Klasse« des Programms »Tinkercad«. Wir bekamen einen Nickname (Ich war »ars08«) und über den Scan eines QR-Codes fanden wir rasch in unseren jeweiligen Workspace. Am Handy! Dort war das Ganze aber so klein, dass ich es trotz intensiver Versuche nicht zustande brachte, auch nur eines der Objekte irgendwie zurechtzubiegen. (Dabei bin ich am Rechner nicht völlig ungeschickt; im Berufsleben gelingt es mir mühelos, Grafiken zu erstellen, ja ich darf sogar ganze Printmagazine bauen.) Das hier war ziemlich frustrierend. Etwas besser hingegen waren jene Teile, in denen der Präsentator einen kurzen Schwenk über das Thema gab: Concept, Sculpting and Modeling, Retopology, Baking, Unwrapping, Texturing, Rigging and Skinning, Animation. Zusammenfassend kann ich sagen, dass die beiden – durchaus freundlichen und hilfsbereiten – Workshop-Leiter sicher Koryphäen in ihrem Fach sind; was das Leiten des Praxisteils eines Workshops betrifft, sollten sie sich aber wenigstens didaktische Grundlagen aneignen. Fazit: Vom Thema her überaus interessant, die Umsetzung leider ziemlich mangelhaft.

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Wie unser Essen das Klima beeinflusst

Der andere Selbstversuch bezog sich auf den Workshop »Low Carbon Food System« von Ling Tan (UK/SG). Sie ging der Frage nach, wie sich Essen und Kochen auf die Klimafrage auswirken. Ihr Projekt »Low Carbon Chinatown« untersucht den Einfluss der Esskultur chinesischer Einwander*innen in Leeds auf das Klima. Dabei sensibilisierte sie die Teilnehmer*innen für den CO2– Fußabdruck unserer Nahrung. Das Ganze war recht unterhaltsam, Ling Tan gab Rätsel auf und ließ viel diskutieren. Auch darüber, was alles einzurechnen sei: Lieferketten, Flächen- und Wasserverbrauch, Verarbeitungstechnologie, Verpackung … Auch die Herstellung unseres Essens, etwa das Kochen und die dafür notwendige Energie, haben einen wesentlichen Einfluss auf den CO2-Ausstoß auf unserem Planeten. Wieder etwas gelernt.

Zahlreiche Konzerte, von Klassik bis hin zu (natürlich) elektronischer Musik, begleiteten die Ars Electronica 2024, das Ganze gipfelte in der traditionsreichen »Linzer Klangwolke«. Die Ars Electronica ist ein wichtiger Beitrag zu einem positiven Image Österreichs und sie verbessert Jahr für Jahr den moralischen Fußabdruck der Landeshauptstadt Linz. Die Empfehlung eines Besuchs gilt deswegen in jedem Fall auch fürs nächste Jahr!

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Link: Ars Electronica

Home / Kultur / Kunst

Text
Sepp Wejwar

Veröffentlichung
16.09.2024

Schlagwörter

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