Das Jazzfestival Saalfelden verfügt über ein Zentrum, aber über mehrere Bühnen. Bespielt werden beispielsweise die Mainstage und die Citystage. Außerdem kann man sich auf Shortcuts im Kunsthaus Nexus, Almkonzerte in der Umgebung und sogar einen Gig in der Einsiedelei St. Georg am Palfen im Norden von Saalfelden einstellen. Dass es neuerdings auch eine neue Bühne im Nexus gibt, macht die Situation noch komplexer und interessanter.
Konzept und Locations
Bei einer solchen Vielzahl an Locations ist es nur konsequent und logisch, dass sich die Konzepte für die Bespielung der jeweiligen Orte unterscheiden. Mario Steidl, Intendant des Festivals, bezeichnet die Mainstage als das »Herz des Festivals«. Dort sei der musikalische Anspruch besonders hoch. Bei den Shortcuts im Kunsthaus Nexus dürfe es sogar noch ein wenig experimenteller zugehen. Die Bands und Ensembles dort sind zumeist kleiner als auf der Mainstage, auch Platz für extravagante Solo-Gigs ist eingeräumt. Der Rathausplatz, also die Citystage, bietet weniger »reinen Jazz«. Hier will man bei freiem Eintritt Begegnungen ermöglichen und einen Treffpunkt für Festivalbesucher schaffen. Auch die Almkonzerte sind durchaus versöhnlich intendiert und möchten nicht nur Jazz-Liebhaber ansprechen. Generell wünscht man sich in Saalfelden nicht nur überzeugte Jazz-Hörer und alteingesessene Szene-Kenner, sondern verstärkt junge Leute. Die neue Bühne Nexus + soll das weiter forcieren.
Doch zerfasern tut trotz dieser vielen Bühnen und unterschiedlichen Ansätze in Saalfelden in künstlerischer Hinsicht genau gar nichts. Dazu hat man den roten Faden zu gut im Griff. »Die zentrale Ausrichtung des Festivals ist es, neue Projekte zu präsentieren, die man noch nicht kennt«, so Intendant Mario Steidl. Das Entdecken von Neuem wird somit als Hauptkategorie ausgerufen. Seine Scheuklappen darf man dazu getrost ablegen. »Wir loten die Grenzen des Jazz auch in Richtung anderer Stile aus. Außerdem zeigen wir keinen ›altbackenen Jazz‹ im herkömmlichen Sinne«, beschreibt der Intendant den Anspruch des Festivals. Da kommt es schon einmal vor, dass es »hiphoppt«, österreichische Volksmusik durch den Fleischwolf gedreht wird oder sich elektronische Frickeleien zur gepflegten Jazz-Improvisation gesellen.
Die diesjährigen Highlights
Das Publikum, das vornehmlich aus Österreich, Deutschland, Italien, Slowenien, Tschechien, aber auch Skandinavien, Rumänien oder Portugal stammt, wird dieses Jahr ein ungewöhnlich stark europäisch ausgerichtetes Festival erleben. Das Festival war und ist zwar recht eng mit der US-amerikanischen Jazz-Szene verbandelt, in diesem Jahr ergab sich aber ein deutlicher Europa-Schwerpunkt.
Eine besonders bemerkenswerte europäische Band sind 5K HD, in welcher die elektronikaffinen Modern-Jazzer von Kompost 3 und die Songwriterin Mira Lu Kovacs zusammengefunden haben. Aus dieser Zusammenkunft entstand groovige und betörende Musik weit jenseits dessen, was Otto Durchschnittshörer von Jazz erwartet. Zu hören ist die Combo, die in Saalfelden auch ihr Album präsentiert, am 26. August um 22:45 Uhr auf der Mainstage.
Steve Lehmann © Willie Davis
Ein weiteres Highlight verspricht der New Yorker Saxophonist Steve Lehman zu werden, der mit seinem Projekt Sélébéyone auftritt. Der gestandene Jazzer hat nicht nur ein abgeschlossenes Kompositionsstudium an der Columbia University vorzuweisen, sondern auch eine große Liebe zum HipHop anzubieten. So treffen an diesem Abend Jazz und Spoken-Word-Performance zusammen und ergeben gemeinsam eine aufregende Neudeutung des gegenwärtigen HipHops. Wie diese klingt, hört man am 25. August eine Minute vor Mitternacht ebenfalls auf der Mainstage.
Am letzten Festivaltag, dem 27. August, trumpfen bereits um 19:00 Uhr auf der Mainstage drei Österreicher auf, die unter dem originellen Namen Weiße Wände firmieren. Ebenso minimalistisch wie der Bandname ist auch die Besetzung. Gitarre, Schlagzeug, Stimme. Es rumpelt, es kratzt, er kracht, es erzählt, es überwältigt. Kein Wunder, sind doch mit Karl Ritter an der Gitarre, Christian Reiner an den Vocals und Herbert Pirkner am Schlagzeug beileibe keine Unbekannten am Werk.
Ûber die Mainstage und die dortigen Acts ließe sich noch viel erzählen. Etwa, dass sich das Free-Jazz-Urviech Mats Gustafsson mit seinem NU ensemble ebenfalls am letzten Tag um 00:30 Uhr ein klanggewaltiges Stelldichein geben wird. Auch Angels 9 oder das grenzenlos-geniale und schwer zu kategorisierende Trio The Necks sollte man keineswegs verpassen.
David Helbock © Marcello Girardelli
Wagen wir dennoch den Schwenk zu den Shortcuts im Nexus. Auch dort begegnet man abermals unerhört talentierten Musikerinnen und Musikern. So ist bereits am 24. August um 21:30 Uhr der gebürtige Vorarlberger Pianist David Helbock mit seinem Quartett zu sehen, der sich, unter anderem unterstützt von der in Köln lebenden Sängerin Filippa Gojo, durch das Musikschaffen von für ihn wichtigen Frauen musiziert und klimpert. Passenderweise trägt das Programm den Titel »For Her«.
Mit Live-Electronics und Kontrabass hantiert am 25. August schon um 12:30 Uhr hingegen Manu Mayr, der auch als Bassist von 5K HD in Saalfelden mit an Bord ist. Im Zentrum seines Solo-Auftritts steht die elektro-akustische Komposition »Morene«.
Neben solch bereichernden aber herausfordernden Hörerlebnissen sollte man den Weg auf die Alm nicht vernachlässigen. Dort lauern zum Beispiel am 27. August um 11:00 Uhr auf der Stöcklalm Leogang Martin Spengler & die foischen Wiener. Es ist schlicht eine Hetz, diesem Quartett zuzuhören und den bemerkenswerten Sprachkreativen von Martin Spengler zu lauschen.
Wem die Alm noch nicht ausreichend Flucht vom Jazztrubel im Tal bietet, der sollte sich in die Einsiedelei über Saalfelden begeben. Woody Black 4 bietet dort am 26. August um 10:00 Uhr lediglich mit Klarinetten bewaffnet ein ganz außergewöhnliches Klangerlebnis.
Neben all der »Hörarbeit«, dem Einsiedeln und den ausgiebigen Almbesuchen darf man aber nicht auf das vergessen, wofür Festivals auch stehen: Es geht natürlich auch ums Feiern! Besonders leicht in Feierlaune gerät man mit 5/8erl in Ehr’n und ihrem »Wiener Soul« am 25. August um 20:00 Uhr im Kunsthaus Nexus.
Anschließend entert die Poetry-Slam-Meisterin und HipHop-Poetin Yasmo um 22:30 Uhr mit ihrer Klangkantine die Stage.
Grooviges und Weltmusikalisches findet sich über die Tage verteilt auf der Citystage. Prognostiziertes Hochlicht über die Tage ist das Vienna World Music Orchestra am 26. August in aller Herrgottsfrüh um 09:30 Uhr. Diesem Orchester gehören einige heimische Hochkaräter an, etwa Golnar Shahyar oder Rina Kaçinari.
Fazit
Das diesjährige Jazzfestival zeichnet sich nicht nur durch starke europäische Beteiligung aus. Es ist auch ein klarer Beweis dafür, dass österreichische MusikerInnen zur absoluten Spitze in diesem Rahmen zählen können. Das ist kein Grund zu übertriebenem Heimatstolz. Aber es ist allemal eine gute Gelegenheit, sich mit diesem Fokus durch das heurige Festival zu bewegen und dabei nicht zu vergessen, sich in alle anderen Richtungen umzuschauen und umzuhören.