Gerald Preinfalk mit Prine-Zone © Matthias Heschl
Gerald Preinfalk mit Prine-Zone © Matthias Heschl

Von Klangwesen, Verjüngungsversuchen und Soundexzessen

Vom 24. bis 27. August 2017 ging das 38. Internationale Jazzfestival Saalfelden über die Bühne. Die Tage waren bestimmt von vier neu entworfenen Klangwesen und Versuchen, auch ein jüngeres Publikum anzuziehen, dabei das alte Stammpublikum aber nicht zu vergraulen.

RRRG, ZOXX, NNMA und PHNU. Jedes dieser Klangwesen stand am vergangenen Wochenende beim Jazzfestival Saalfelden für eine Bühne und deren jeweilige künstlerische und ästhetische Ausrichtung. RRRG, durchaus freundlich aber auch ein wenig abschreckend aussehend, symbolisierte beispielsweise die Mainstage. ZOXX gab den Shortcuts im Kunsthaus Nexus ein Gesicht. NNMA durfte die Almkonzerte repräsentieren und das freundlich lächelnde PHNU sollte die breite Masse zur Citystage locken.

Klangwesen und Lautmalerei

Das neue Corporate Design steht also fest. Auch in den nächsten Jahren, zumindest bis zum 40. Jubiläum des Festivals, wird man mit diesen liebenswürdigen Wesen leben müssen. Sie sollen dem Jazz ein freundliches und anziehendes Gesicht geben. Damit will man wohl auch den Jazz vom Image befreien, er sei komplex und überhaupt für einen ungeübten Hörer nur schwer zugänglich. Mit den Klangwesen fällt, so höchstwahrscheinlich die Intention, diese Sorge weg. Jazz ist ja auch nur Klang!

Doch Klang ist stets nur der Einstieg. Allzu oft wurde Jazz schon in Verwandtschaft zu Dada gestellt und dessen onomatopoetische Qualität betont. Es gibt quasi gar nicht zu verstehen, es reicht vollständig aus, wenn man sich auf die Sounds, Klänge und Töne einlässt. Das ist nicht unproblematisch. Denn Jazz bleibt, ob man es will oder nicht, dennoch eine komplexe Angelegenheit, die nicht nur aus Klängen besteht, sondern vor allem aus ungewohnten Akkorden, unüblichen Tonleitern und zum Teil komplizierten Rhythmen. Jazz ist die Kunst und das Verfahren, nicht auf das Naheliegende und Nächstgelegene, sondern auf das Entferntere und Ungewöhnlichere zurückzugreifen.

Jazz und Artverwandtes

Der Eröffnungsabend fiel vielfältig aus. Der Saxophonist und Komponist Gerald Preinfalk brachte mit Prine-Zone gleich ein neunköpfiges Ensemble auf die Bühne. Damit belegte er, dass das mit dem Jazz irgendwie doch eine schwierige und zugleich faszinierende Sache ist. Kontraste wurden gesetzt, Widersprüche einfach stehengelassen, Versöhnungsräume aufgemacht und natürlich durfte auch eine gehörige Dosis Improvisation nicht fehlen. Die Sängerin Savina Yannatou sollte zwischen den Musikwelten, welche von elegisch-innerlich bis exzessiv-extrovertiert reichten, vermitteln. Das ging auf. Die Komposition aber zerfranste dennoch und war nicht frei von Längen. Nichtsdestotrotz war der Einstieg in den Abend gelungen und Jazz als Kunstform vorgestellt, bei der prinzipiell alles geht.

Die Norweger Møster wählten einen gänzlich anderen Zugang. Nicht nur optisch, sondern auch musikalisch ähnelten sie einer hart rockenden Band aus den 1970er-Jahren. Zumindest war aber, man will ja das Jazz-Klientel nicht allzu sehr vor den Kopf stoßen, ein Saxophon zu hören. In den Händen von Kjetil Møster fand dieses zu überraschend interessanten Interaktionen mit seiner Band, die tatsächlich dem simplen aber effizienten Powerchord der alten Schule näherstand als allzu umständlichen Jazz-Akkorden. Es rockte, es groovte, es wurde lauter als üblich. Schön und kathartisch war das, wenngleich nicht weltbewegend. Zumindest kam man nach der Prine-Zone aber zum Durchatmen und befand sich auf musikalisch nachvollziehbarem und sicherem Terrain. Das war auch notwendig, denn mit The Necks sollte womöglich bereits das Festival-Highlight schlechthin folgen.

Von Minimal Music bis HipHop

Behutsam tastend bewegte sich das bereits seit mehreren Jahrzehnten aktive Trio The Necks hin zu ureigenen Musikkategorien. Minimal Music ist dabei ein brauchbarer Anhaltspunkt und Ausgangspunkt. Mit dem Rücken zu Bassist und Schlagzeuger sitzend entwickelte Chris Abrahams einfache und repetitive Klaviermotive. Der Reiz lag in der ständigen, fast unmerklichen Verschiebung der Motive. Ehe man es sich versah, befand man sich als Hörer an gänzlich anderer Stelle. In einer leichten Trance folgte man den schleichenden Veränderungen und staunte ob der organischen und zwingend-logischen und präzisen Entwicklung dieser freien Musik.

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The Necks © Matthias Heschl

Beim anschließenden Steve Lehman und seinem Projekt Sélébéyone lässt sich von der großen und allzu großen Fallhöhe berichten. Bei diesem Ensemble verschränkt der Saxophonist Jazz und HipHop zu einem anregenden Hybrid-Gebräu. Was auf Platte aufgeht, klang live, trotz allem Perfektionismus, manchmal noch holprig. Einspielungen aus dem von Lehman mitgebrachten Laptop, Spoken-Word-Passagen, Raps und saxophonistische Höhenflüge wollten nicht so recht zu einer funktionierenden Einheit verschmelzen. So blieb es eine Skizze als Andeutung der Möglichkeiten.

Auf der Suche nach »dem Song«

Nach dem Eröffnungsabend ließ sich noch allerhand erleben und hören. Gar auf die Suche nach »dem Song« konnte man gehen. Wiederum war es beispielsweise ein Ensemble aus Norwegen, das den Rahmen eines Jazzfestivals sehr weit fasste und ausweitete. Mit Sinikka Langeland bekam das Publikum am Samstag traditionelle norwegische Gesänge und ganz viel nordische Folklore untergejubelt. Mit dem finnischen Nationalinstrument Kantele, einer griffbrettlosen Kastenzither, sang sie sich durch grandiose Lieder, die auch die eine oder andere »Hookline« zuließen. War Langeland am Anfang noch ein wenig schüchtern und zurückhaltend, kam sie im Laufe des Konzertes immer mehr aus sich heraus und erklomm beeindruckende Tonhöhen. Kongenial unterstützen sie dabei etwa Trompeter Arve Henriksen und Trygve Seim am Saxophon, die in gewohnter ECM-Manier unterstützend und atmosphärisch untermalten.

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Sinikka Langeland © Matthias Heschl

Seinen Kernkompetenzen widmete sich das Jazzfestival Saalfelden beim Brian Marsella Trio. Es gab intelligenten, aberwitzigen Pianotrio-Jazz vom Allerfeinsten. Ausgelegt wurde »Buer: The Book of Angels Vol. 31« aus der Feder von John Zorn. Hochgradig virtuos und entfesselt agierte dabei Brian Marsella selbst, Trevor Dunn und Kenny Wollesen standen ihm zur Seite und spielten sich so frei, dass man sich zum Teil sehr weit von der Ursprungs-Komposition wegbewegte. Das machte zweifellos Spaß und ist hoffentlich auch in Zukunft in Saalfelden auf diesem Niveau zu hören.

Elektronische Kontraste

Mutig programmiert stand mit 5K HD wenig später ein absolutes Kontrastprogramm auf dem Spielplan. Gegen 22:50 Uhr betraten Mira Lu Kovacs und Kompost 3, alias 5K HD, die Bühne. Man erlebte vom ersten Augenblick an eine hochgradig faszinierende Klangwelt jenseits von Jazz, Pop oder Rock. Was hörte man da? War hier dem Jazz der glasklare und konzise Song abgetrotzt worden? Durchaus. Aber mehr noch: Musiker, mit dem Jazz vertraut und durchaus in dessen Geisteshaltung zu verorten, schöpften Inspiration aus einer Vielzahl von Quellen. Elektronische Musik, Pop und jazzige Akkordtupfer vereinte man gekonnt zu Songs, die groovten, sich manchmal widerspenstig gaben, nur um dann wieder mit melodischer Grandezza alle und jeden zum Hören einzuladen. Mira Lu Kovacs oszillierte zwischen den Rollen als betörende Frontfrau und virtuoser Klang- und Stimmakrobatin, die ganz im Gesamtsound aufging. Groß!

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5K HD © Matthias Heschl

Auch Eve Risser und Sax Ruins waren am Sonntag in Saalfelden zugegen. Erstere mit dem ambitionierten Versuch, Neue Musik mit dem Jazz zu versöhnen, ohne dabei auf das klassische Klavier zu vergessen. Letztere gaben sich im Duo Format nur mit Saxophon und Schlagzeug bewaffnet unversöhnlich und klanglich radikal-kompromisslos. Auf der Citystage stand unter anderem am Samstag zu früher Stunde um 09:30 Uhr das Vienna World Music Orchestra auf der Bühne, gefolgt von der Sängerin Amira Medunjanin, die mit subtil-traurigen Sevdah-Liedern aus Ex-Jugoslawien etwas im umliegenden Getöse der Citystage unterging. Die reine Lehre der New Yorker Avantgarde gab es hingegen mit Courvoisier, Feldman, Mori und Parker im Kunsthaus Nexus zu erleben. Denn merke: Wo viel PHNU ist, da ist auch viel ZOXX.

Dem Jazz auf der Spur

Dem Jazz kam man insgesamt nicht so recht auf die Spur. Ist er eine Spielart, ein Verfahren, eine Musikrichtung mit abgesteckten und definierten Spielstrategien oder doch eher eine Geisteshaltung? Keine leicht zu beantwortende Frage. Gar ein leicht ratloses RRRG mag einem bei dieser Fragestellung entfleuchen. Fakt ist, dass es für die Festival-Highlights 5K HD oder The Necks den Begriff Jazz überhaupt nicht bräuchte. Beide Acts könnten und können sich auch mühelos in anderen Kontexten behaupten und haben zu einer eigenen Klangsprache gefunden. Das wiederum bringt die Intendanten des Festivals in Bedrängnis. Auf einem Jazzfestival muss es nämlich auch »reinen« Jazz geben, ansonsten bleibt das in Österreich durchaus vorhandene, langsam ergrauende Jazzpublikum aus. Dieser Spagat gelang in Saalfelden nicht immer. Es gab Augenblicke, in denen man das Gefühl hatte, das Saxophon diene lediglich als konstruierte und konstituierende Verbindung zum Jazz. Møster etwa spielten lupenreine Rockmusik mit einem dominanten Saxophon.

Saalfelden, quo vadis? So recht wurde es nicht klar. Verjüngen wolle man sich. Offener und breiter werden. Nicht nur auf die »üblichen« Acts amerikanischer Prägung setzen. Das gelang tatsächlich. Die Frage nach der Zukunft des Festivals blieb man aber schuldig. Wird es mehr in Richtung Song gehen? In Richtung Elektronik? Werden sich in Zukunft psychedelische Rockbands die Klinke in die Hand geben? Wird es wieder mehr Avantgarde-Jazz geben oder stellt man Weltmusik verstärkt ins Zentrum?

Vermutlich soll es von allem ein bisschen was geben. Die Jazz-Schutzgeister RRRG, ZOXX, NNMA und PHNU sind da sicherlich gute Wegbegleiter. Ob sich aber aus den einzelnen Spielarten und Disziplinen mehr als die Summe der einzelnen Teile ergeben wird? Man darf gespannt sein und sollte die Ohren schon mal vorsorglich ganz weit aufmachen. Darauf ein lautes und euphorisches NNMA!

www.jazzsaalfelden.com

Home / Musik / Artikel

Text
Markus Stegmayr

Veröffentlichung
29.08.2017

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