Eigentlich ist es ja merkwürdig: Man weiß von Anfang an, dass die unmöglich scheinende Tat geschafft ist. Man weiß es, weil man gerade im Kino sitzt und eineinhalb Stunden dramaturgisch darauf vorbereitet wurde, dass schlussendlich der Moment kommt, in dem Honnold trotz aller Zweifel das Unmögliche möglich macht. Denn niemand hätte diesen Film herausgebracht, wenn Honnold doch, wie Jimmy Chin, Regisseur und Kameramann, im Film meint, »through the frame« gefallen wäre. Keiner hätte je den Film gesehen, wenn Honnold schlussendlich doch nicht der »Kletter-Hero« geworden, sondern in den sicheren Tod gefallen wäre. Trotzdem sitzt man da und kann fast nicht hinschauen, wenn Honnold an einer der schwierigsten Stellen der Route, dem »boulder problem«, mit der Kraft zweier Daumen seinen Körper vor der Tiefe bewahrt.
Ganz offenkundig: »Free Solo«, ein Dokumentarfilm von Jimmy Chin und Elizabeth Chai Vasarhelyi, ist ein beeindruckender Kletterfilm. Und als selbst leidenschaftliche Kletterin hat er auf mich durchaus den Effekt, dass ich nach dem Kinobesuch am liebsten selbst gleich die nächste Hauswand sicherungslos erklimmen möchte. Dennoch mischt sich schon während des Films wie auch danach eine seltsame Ambivalenz in diesen Enthusiasmus.
Moralische Opposition
Das hat vor allem etwas mit der moralischen Diskrepanz zu tun, die prinzipiell mit dem »soloing« einhergeht. Denn es ist nun mal eine Form des Kletterns, die (auch oft genug im Film beschrieben) aufgrund ihres Anspruchs auf Perfektion durch den Spannungszustand überhaupt erst reizvoll wird, dadurch, dass man, wenn man eben nicht perfekt klettert, dafür mit dem relativ sicheren Tod bestraft wird. Diese Spannung macht diese Variante des Extrem-Kletterns auch in der Kletter-Community zu einem sehr polarisierenden Thema und gleichzeitig zu einem sehr einsamen Hobby. Denn wer will sich freiwillig mit einem Menschen umgeben, der die Möglichkeit des Todes in Kauf nimmt, nur um in seinem Hobby der Allerbeste zu sein?
In einer sehr dafür sprechenden Szene des Films, in der Alex gerade erfahren hat, dass sein Kollege Ueli Steck bei einer seiner Touren abgestürzt ist, und Alex Freundin, Sanni McCandless, nochmals versucht, ihn in seinem Vorhaben zu hinterfragen, meint er nur gelassen in die Kamera: »What did she expect?«
Gezielte Inszenierung
Was mir persönlich allerdings wohl am meisten in meinen Überlegungen zu dem Film in den Kopf stieg, war der Gedanke, inwiefern das Medium des Films selbst bei einem solchen sportlichen Grenzgang hinterfragt werden müsste. Tatsächlich wird dieser Punkt im Film auch thematisiert, doch blieb meine Hauptfrage bestehen: Was war die wirkliche Intention bei diesem Filmkonzept?
Wenn man nämlich nochmals genauer überdenkt, was man im Film gesehen hat, dann verbleibt allein die unbewusste Hochstilisierung des Erfolgs und der Figur Alex Honnold. Erreichen tut der Film dies, indem eigentlich jeder aussagende Mensch in dem Film, sei es die Mutter, die Freundin, das Filmteam oder sein jahrelanger, engster Kletterpartner, das Gefühl provoziert, dass niemand so wirklich will, dass Alex die Tour tatsächlich macht. Ganz im Gegenteil wird die Coolness von Alex Selbstreflexion ständig damit kontrastiert, dass alle übrigen Beteiligten eher psychisch darunter leiden, dass Alex es »durchziehen« will. Natürlich schafft der Held der Stunde aber am Ende des Tages das Unmögliche und zerschmettert alle Zweifel. Die Zuschauer*innen dürfen wieder aufatmen.
Offene Fragen
Die Spitze der Ironie ist es natürlich, wenn Honnold selbst im Film aussagt, dass es »egal« wäre, wenn er bei einem Alleingang stürzte, er es aber nicht verantworten könnte, wenn es seine Freunde mitansehen müssten – das wäre »messed up«. Also wieso dann der Film?
Obwohl der Film also nichtsdestotrotz ein ästhetisches und menschliches Erlebnis sondergleichen ist, eine Art »human sublime« (wie im Trailer angekündigt), bleiben die impliziten Aussagen fragwürdig. Im Endeffekt muss wohl jeder selbst entscheiden, welcher er sich zuwendet. Empfinde ich selbst es als körperliche und menschliche Höchstleistung? Ja! Sollte es eine Motivation für alle Kletterer*innen sein, selbst Free Solo zu starten? Lieber nicht.