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Underground Resistance

Das Detroiter Techno-Kollektiv steht seit 1989 für den kompromisslosen Kampf gegen die Ausbeutung durch die »Programmierer«. Und für einige der wichtigsten Techno-Platten überhaupt. Eine Hommage.

Original erschienen in skug #81, Winter 2009

Live-Fotos UR: Marco Microbi

Illustrationen: Frankie C. Fultz/Abdul Haqq/Skurge

Im Anfang stand die Absicht, dem 20jährigen Bestehen von einem der einflussreichsten Techno-Labels und den vielen grandiosen Tracks von Underground Resistance Tribut zu zollen. Dieses Vorhaben sollte sich sehr bald zu einem alles andere als trennscharfen Abenteuer in die Sonic Fiction Detroits ausweiten. Ein Label, bei dem jede Release nicht bloß eine 12“, sondern ein sonisches Manifest darstellt. Das durch seine Agitationen den soziopolitischen Anspruch von Techno unverrückbar vorangetrieben hat. Wie über UR schreiben, ohne nicht ständig in Superlative zu verfallen?

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Erste Spurensuche beim Durchhören diverser 12“s aus der eigenen Sammlung, Video-Interviews ansehen, das Buch »Techno Rebels« von Dan Sicko wieder lesen, Gespräche mit Auskennern. Indes zerrinnt UR zu einem immer unfassbareren Mythos. Enthusiastisch ein Interview-Mail gen Detroit geschrieben. Dann, lange nichts mehr.

Das Schweigen von UR bekommt logische Konsequenz. Denn wenn nicht hier, wo dann, geht es um die permanente Durchmischung von Un- und Sichtbarkeit, um Geheimcodes und Informationen, die mit der Präzision und Opakheit eines Scharfschützen im Audiokörper detonieren. UR-Mitbegründer Robert Hood hatte bereits in den Anfangstagen deren Sound-Agenten als »spectral nomads« klassifiziert. Labelgründer »Mad« Mike Banks kennt man nur mit Halstuch vor dem Gesicht. Wäre James M. Stinson 2002 nicht traurigerweise verstorben, man wüsste bis heute nicht, wer sich hinter Drexciya, der einzig legitimen Nachfolgeband von Kraftwerk, verbarg. Unterwasser-Mutanten, interstellare Flüchtlinge, Sonic Science über die Saturnringe, PhonoFiktion über analoge Hyperkörper, ein Soundstudio namens Black Planet, den Marvel-Comics und Mangas entlehnte Superhelden in den Zeichnungen von Abdul Haqq und Frankie C. Fultz, martialisch technifizierte Frequenzen als Kampfansage gegen die musikalische Mittelmäßigkeit der Programmierer aka Machtbastionen: UR funkt das Wissen um afroamerikanische Musikkultur in 33/45RpM-Geschwindigkeit von intergalaktischen und maritimen Fronten in den Club.

»UR bewegen sich in den Militärisch-Industiellen Komplex, weil der der Straße (des HipHop) vorangeht und ihre Bedingungen bestimmt. Indem sie sich im Inneren des Militärs installieren, werden UR eine Kriegsmaschine, die der amerikanischen Musik um Jahrzehnte voraus ist. Sie verschmelzen menschliche DNS und Zellstruktur mit kybernetischen und sonischen Schaltkreisen, eine Einheit von Sound, Mensch und Maschine« (Kodwo Eshun: »Heller als die Sonne«, 1999).

Ob industrialisierter Electro wie bei Floyds »Geiger Counter« oder der Hi-Tech-Jazz von Universe2Universe: Underground Resistance sind zu Elektronik geronnene Funk-Gnosis, bei der afrofuturistische Musiken (Voodoo, Jazz, Sun Ra, Funkadelic/Parliament, …) auf die Tanzmaschine von Motown und effiziente Rhythmatik (Kraftwerk) auf Bewusstsein (Public Enemy) treffen.

Berlin: »Bubble Metropolis«

Ende Oktober stehe ich seit Langem wieder im Berliner Plattenladen Hard Wax. Ûber den Turntables prangt das Promo-Plakat der Compilation »Interstellar Fugitives« (1998), unterschrieben von so gut wie allen darauf vertretenen UR-Acts. Hier materialisiert sich der transatlantische Austausch – vom Berliner »Metropolis« zum Detroiter »Metroplex« — als Vinyl-geronnener Diskurs. Eine Dreifach-12“, die mit Deacon, Suburban Knight und The Aztec Mystic Techno in ein neues Millennium beamte, alleine der Tracktitel »Afrogermaniac« vom ehemaligen, in Heidelberg stationierten GI Chaos wäre eine Diplomarbeit wert. Beinahe konspirativ grinsen die Hard-Wax-Betreiber rüber. »Gut, was?« Ziemlich sogar. Immerhin erstehe ich endlich UR001, UR w/ Yolanda: »The Time Is Up«. Damals machten Banks/Jeff Mills Musik, die mit ihren House-typischen Beats, Piano-Samples und Yolandas »soulful« Gesang noch am ehesten an Jesse Saunders oder an den ’88er-Hit »Good Life« von Inner City erinnert.

UR8.jpgDoch schon mit UR003, »The Final Frontier«, legte UR seine anderen Wurzeln bloß. Die rasiermesserscharfen Industrial-Funk-Sounds stammten, wie auch die UR-Produktion »Journey Of The Dragons«, von einer TR808-Drum Machine. Die amerikanische Lesart von Industrial und EBM zwischen Clock DVA und Front242 stand nun zum Dispens, welchen besonders Mills u.a. mit seinem Projekt Final Cut einlöste. Deren Scheibe »Deep Into The Cut« wurde 1990 auf Big Sex/Interfisch veröffentlicht, ein Label, das sich ein Jahr später Tresor nennen und einige der wichtigsten Platten von Mills und Drexciya veröffentlichen sollte. Womit wir wieder bei der Achse Berlin — Detroit wären.

 

 

Eine transatlantische Achse, die innerhalb der ersten zehn Tresor-Veröffentlichungen zwischen 1991 und 1993 die Eckpfeiler des UR-Mythos an den Rändern der Vorstellungskraft verankerte: Bei den zu 12“s umgerüsteten sonischen Transmittern der Mills-Banks-Hood-Projekte X-101, X-102 und X-103 wurde Vinyl zum skulpturalen Objekt, in dem Rillen von innen nach außen oder gegeneinander geschnitten waren, Tracktitel wie »Temple Of Poseidon« kollidierten mit »Hyperion« und die Turntable-Nadel mutierte zum Peilsender, der mit wissenschaftlicher Genauigkeit die Beat- Frequenzen aus Atlantis und von den Ringen des Saturn auf den Dancefloor schickte. In klassischer Techno-Manier werden UR-12“s in informationslosen White- oder Black-Covers veröffentlicht und auf den Vinyllabels befinden sich nur die allernotwendigsten Anhaltspunkte. Das Medium wird zur Botschaft, in dem die eigentlichen, als Parolen verklausulierten Informationen in die Auslaufrillen eingeritzt sind. Dieses Verfahren gibt sich als eine jener Fährten zu erkennen, die von Throbbing Gristle zu UR führt.

 

 

Detroit: »Message to the majors« 

Detroit, der postmoderne Stadtmythos schlechthin. Das Fließband als Paradigma für Repetition, egal ob bei General Motors, Ford oder den Veröffentlichungen des Motown-Labels. Dort war Banks vor der Gründung von UR ja mit seiner damaligen Funk-Truppe als Session-Musiker unter Vertrag, verweigerte indes die aufgezwungene Kleiderordnung, sah, dass Adornos Kritik an der Kulturindustrie auch hier zutraf und zog die Konsequenzen. Die Motorcity als retrofuturistisches »Metroplex«, dem der Visionär Alvin Toffler mit seinem Buch »The Third Wave« (1980) ein theoretisches Denkmal setzte. Der Radio-DJ Charles Johnson aka The Electrifying Mojo, der bereits den GIs in Vietnam elektronischen Funk näher gebracht hatte, wurde, zurück in Detroit, zu einer der maßgeblichen Legenden. Er war es, der das Groove-Potential von Kraftwerk erkannte, Hendrix mit Italo-Disco kurzschloss und aus Mills den DJ-Zauberer »The Wizard« machte. Wahrscheinlich war Mojo für Techno das, was John Peel für Independent war.

Bereits in den mittleren 80ern hatten die »Belleville Three« (Juan Atkins, Kevin Saunderson, Derrick May) mit Tracks wie »No Ufo’s«, »Nude Foto« und »Techno City« neben Eddie Flashin‘ Fowlkes und Blake Baxter in einer »ersten Welle« die Grundkoordinaten für Techno als Sound- und Beatkultur definiert. Zusammen mit Carl Craig, Code Industry, Octave One, F.U.S.E./Richie Hawtin und Joey Beltram wurde UR zur »zweiten Welle« des Detroit Techno, gefolgt von Aaron Carl, Aux88, Le Car, Dopplereffekt, Kenny Larkin, Claude Young, uva. Baxter war mit »The Prince of Techno« der erste UR-Act neben den hauseigenen Produktionen. Mittlerweile umfasst das UR-Universum Acts wie Nomadico, The Aztec Mystic, Atlantis, The Suburban Knight, The Deacon, DJ S², DJ Skurge, The Unknown Soldier, DJ3000, Mark Flash, De’Sean Jones, Jon Dixon und einige andere.

 

 

Wobei: Wie bei UR nicht anders zu erwarten, Namen tun hier nichts zur Sache. Banks wird nicht müde zu betonen: »I’m nothin‘ in comparison to the music«. UR arbeiten nicht mit Pop- oder HipHopverträglichen Konterfeis, haben es dafür aber geschafft, ihr Logo zu einer Corporate Identity mit zwingendem Wiedererkennungseffekt zu verdichten.

Detroit war immer UR, UR wird immer Detroit bleiben. Die grimmige Wirklichkeit einer sich in Auflösung befindenden Stadt ist zwar integraler Teil des UR-Mythos, dient den Machern aber nur als Matrize für die Vervollkommnung des Geistes, die durch den »sonic warfare« der UR-EPs eingeleitet wird. Ihre militärische Aufrüstung der Frequenzen folgt der Taktik, die Generalmobilmachung einer neoliberalen Gesellschaft im Zeitalter des grassierenden Militainment-Komplexes zu infiltrieren. UR sah sich oft damit konfrontiert, ihr besonders durch Banks vertretenes paramilitärisches Auftreten zu erklären. Glaubt man der UR-Homepage, gab es sogar Kollaborationsanfragen seitens Terrorismus-affiner Gruppen.

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  UR live in Berlin, 2009

Dabei steht UR für das genaue Gegenteil ein: Ihre Desinformationen speisen sich aus der einzig konsequenten Abwehr dieses Komplexes. UR senden Störgeräusche aus entlang von Cut-Up-Techniken und rhythzomatischen Resignifizierungen. Sie propagieren weder Militarismus noch Armageddon, sondern die spirituelle und politische Weiterentwicklung, deren Effizienz mit der der Musik korreliert, sich gegen die Verblödungsmaschinerie der Mainstreammedien — Gangsta-Rap im Speziellen — richtet und nichts Geringeres als den Weltfrieden im Visier hat. Auf den Rip-Off von DJ Rolandos Hit »Jaguar« 1999 durch Sony reagierten die UR-Fans mit einer »Condition Red« und legten mit Protest-Mails deren Server lahm. UR reichte auf der Re-Release ein simples »We are older« in der Auslaufrille, um Sony mit dieser »message to the majors« in die Knie zu zwingen.

Bereits das Hören einer UR-Platte wird so zum politischen Akt. Dabei bilden die UR-Superhelden (Ninja: Analog Assassin, aztekischer Jaguar-Krieger: Rolando, Suburban Knight: James Pennington, Unterwasser-Kämpfer: Drexciya, The Punisher) eine mythologische Kriegerkaste, die in Einsatzgebieten operiert, die ebenso ambivalent (non-)fiktional sind wie der Mekongfluss für das Himmelfahrtskommando aus »Apocalypse Now«. Comics als Zwischenstation zu den der afroamerikanischen Geschichte eingeschriebenen Befreiungsmythen ermitteln so einen Möglichkeitsraum, der den ewigen Kampf zwischen — in der UR-Diktion — Programmieren und Flüchtlingen auf ein die Wirklichkeit ausbremsendes Level transformiert. Es ist eine popgeerdete Interpretation der »Black Diaspora«, in der sich die interstellaren Flüchtlinge von UR aufmachen, Paul Gilroys »Black Atlantic« zu durchpflügen. UR reist in Gedankengeschwindigkeit durch abyssale Zonen und das All und kartografiert die Potentiale der Diaspora – Ablehnung oder zumindest Hinterfragung staatlicher, nationaler und ethnischer Grenzen sowie Identitäten – ständig neu.

UR hat mit der »Echtheit der Straße« genau nichts zu tun, sondern mit der Echtheit von Träumen:

»Do I have a life or am I just living? Put yourself in the direction of your dreams, find your strength in the sound and make your transition.« (von der 12“ »Transition«).

 

 Die Welt: Universe2Universe

UR6.jpg Die 2006 veröffentlichte Compilation »Interstellar Fugitives: Destruction of Order« stellt in 31 Tracks eines der markantesten Lebenszeichen in den letzten Jahren dar. Die harschen Experimente werden dabei überwiegend zurückgelassen. Stattdessen hat sich das Spektrum um gesamplete Metal-Gitarren und arabisch-asiatisch anmutende Melodien erweitert. Fundamente sind nach wie vor ultratrockene, minimalistische Beats aus der Techno-Steinzeit. Club-Hits wie »Transition« oder der elektronifizierte Cajun auf »Ma Ya Ya« definierten neue Klangwelten. Mit der 2005 erschienen DLP »A Hitech Jazz Compilation« von Galaxy2Galaxy knüpfte das Label an seine eigene wie an die lange Musiktradition Detroits an, Moog-Experimente treffen auf House-geerdeten Alien-Jazz. Ungebrochen rabiat kommt dagegen die Doppel-12“ »Electronic Warfare 2.0« von 2007 daher. Der darin enthaltene Track »Kill My Radio Station« ist zusammen mit dem Untertitel der Compilation »My Radio Station Is Killing Me« eine Weiterführung jener philosophisch-kommunikationspolitischen Ambivalenz, wie sie bereits zwischen »I am« — »ur« (you are) und »ru« (are you) — »UR« (Underground Resistance) zu finden war. 

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Unweit des UR-HQ befindet sich das Gebäude von Submerge. Was als internationaler Vertrieb für Techno aus Detroit begann, umfasst auf zwei Etagen eine Galerie für Detroiter Graffiti und visuelle Kunst sowie ein Museum, in dem Instrumente ausgestellt sind, mit denen einige der UR-Klassiker eingespielt wurden: Eine von Atkins gespendete TR909, die auch Banks, Fowlkes und Anthony »Shake« Shakir benutzten, eine TB303 und eine TR727-Rhythmusmaschine, mit der May/Fowlkes ihre ersten Nummern und Saunderson seinen Hit »Big Fun« einspielte. Der hausinterne Plattenladen versteht sich von selbst. Submerge dient als eine zwischen den UR-Leuten, den Kids aus dem Viertel und der Welt vermittelnde Kommandozentrale. Ein beträchtlicher Teil der Glaubwürdigkeit von UR besteht darin, dass das Label ein radikal autarkes Veröffentlichungs- und Distributionsnetzwerk etablieren konnte und sich besonders durch Banks um den musikalischen Nachwuchs kümmert. Gerade für Jugendliche, die nur bis an die Territoriumsgrenzen ihres Reviers vordringen, bedeutet UR die Möglichkeit, ein blitzlichtartiges Abbild von der Welt da draußen zu bekommen.

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 UR live in Berlin, 2009

UR ist gelebte Technowirklichkeit: Vor etwa zwei Jahren war auf der UR-Homepage ein Foto abgebildet, das ein Baby zeigte, welches eine UR-Plattentasche in der Hand hielt. Aufgrund irritierter Kommentare sah sich Banks genötigt, in einem Kommuniqué darauf hinzuweisen, dass UR ein eben nicht von der Realität abgekoppeltes Paralleluniversum darstellt, sondern ein System, in dem Musik und Alltag einander bedingen. Banks‘ Mission ist neben UR die eines Sozialarbeiters, der die reinigende Kraft der Musik predigt, in Kirchen die Orgel spielt, an Sonntagen Synagogen säubert und auch immer wieder darauf hinweist, dass Internetzugänge im Viertel nach wie vor Mangelware sind. UR-Geld wird in Ausbildungs-, Sport- und Gesundheitsprogramme investiert. In einem Land, in dem staatliche Gesundheitsvorsorge praktisch nicht existiert und Präsident Barrack Obama für entsprechende Gesetzesvorschläge als »Stalinist« gedisst wurde, werden aus Initiativen wie dem UR-Praktikumsprojekt »Alter Ego« oder Banks‘ Baseballtrainings für Jugendliche überlebenswichtige Sozialisierungspraxen. Von den 4,5 Millionen Einwohnern der Metropolenregion sind mehr als 80 % afroamerikanischer Herkunft, segregiert im verfallenden Zentrum der Stadt. Die potentesten Arbeitsgeber der Stadt, Ford und General Motors, strichen in den letzten Jahren drastisch Mitarbeiterstellen und sie wurden »replaced by robots« (Track auf »Electronic Warfare«). GM, der ehemals weltgrößte Autohersteller, musste krisenbedingt im Sommer 2009 Insolvenz anmelden.

Abgesehen von einer Remix-12“ haben UR seit 2008 nichts mehr veröffentlicht. Auch die Hard-Wax-Leute wissen von keinem neuen Release. UR auf Tauchstation?

Eines Tages schwirrt doch noch ein E-Mail von UR-Sprecher Cornelius »Atlantis« Harris herein. »Danke für das Interesse. Aber extrem beschäftigt.« Ich nehme es als Zeichen dafür, dass UR sich trotz aller Widrigkeiten auch weiterhin gegen die Programmierer in Stellung bringen wird, bestückt mit tanzbaren Soundwaffen im 12“-Format, die die Welt ebenso ein Stück zum Guten verändern werden wie sie es bisher taten. Respekt!

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Text
Heinrich Deisl

Veröffentlichung
07.02.2011

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