Gerade so, als hätten sich die Menschen von payola in dieser seltsamen Disziplin nicht ohnehin schon als absolute Großmeister etabliert. Da gab es etwa diese Geschichte rund um die zweite Maxi des Kammerflimmer Kollektiefs. Das gute Teil wurde zwar – basierend auf einem Vorab-Tape – in einem euphorischen Spex-Review schon längst in höchsten Tönen gepriesen, bis zur tatsächlichen Veröffentlichung sollte dann aber noch ein gutes halbes Jahr ins Land ziehen. Wer dachte, daß dies eigentlich nicht mehr zu toppen wäre, wurde mit der Verzögerung rund um das Zweitwerk des T+TT eines Besseren belehrt.
Als ich Andreas Gerth, den Chef-Elektroniker des Ensembles mit dem irreführenden Namen, Ende November 1998 traf, war nämlich von einem »weitestgehend fertiggestellten« zweiten Album die Rede, dessen Erscheinen »demnächst« anstünde. Die Platte wurde ja auch gespannt erwartet, sorgte das 1997 (als Koproduktion der Labels payola und Kollaps) erschienene Debüt durch seine Beweglichkeit zwischen den Koordinaten Elektronik, Jazz, Dub, Postrock und Geräuschmusik doch für gehöriges Aufsehen. Tatsächlich sollte ein knappes Jahr ins Land ziehen, bis sich der mit gut halbstündiger Spielzeit neuerlich schlank gehaltene Zweitling des T+TT endlich in Form von EA 1 EA 2 materialisierte. Das Warten war freilich nicht vergebens, denn die neun neuen Stücke halten nicht nur das hohe Niveau des Erstlings, sie üben sich zudem auch in einer sehr feinen und behutsamen Ausdifferenzierung und Fokussierung des einzigartigen Sounds der Band, deren Kern neben Gerth noch die hinlänglich bekannten Gebrüder Markus und Micha Acher, der Tenorsaxophonist und Coltrane-Preisträger Johannes Enders und Christoph Brandner angehören. Dazu kommen auf Tonträger noch zusätzliche Bläser und sonstige Mitwirkende; live umfaßt die Besetzung des Ensembles im Schnitt sieben Personen.
Entstanden ist das T+TT wie so vieles aus dem Umfeld des Hausmusik-Labels aus der richtigen Mischung der Faktoren Zufall, persönliche Bekanntschaft und musikalische Leidenschaft. Am Anfang stand ein namenloses, aus Markus Acher und Christoph Brandner bestehendes und durch ein wenig Elektronik-Krach unterstütztes Schlagzeugduo, das bei einem Auszugsfest in Weilheim im leeren Swimming-Pool des abbruchreifen Hauses erstmals auftrat. Relativ bald erweiterte sich die Besetzung, zu den bis heute existierenden zwei Schlagzeugen kamen Gerth als Elektronik-Verantwortlicher und Bassist Micha Acher.
»Wir wollten«, erzählt Gerth, »in dieser Form auch eine Platte machen. Wir haben massenhaft Spuren aufgenommen, und dann ging es darum zu klären, was man aus diesem ganzen Zeug machen sollte. Es hätte eine Dub-Platte werden können, eine Geräusch-Platte usw. Von Micha kam dann die Idee, Bläser dazu zu nehmen. Markus war anfangs zwar etwas skeptisch, hat das zu diesem Zeitpunkt vorhandene Material in der Folge aber Johannes Enders überspielt und gefragt, ob er etwas dazu machen möchte. Vom Ergebnis waren wir alle dermaßen begeistert, daß somit plötzlich die Richtung festgelegt war, in die unsere Musik gehen sollte.«
Ihr spielt also nur live als Band, ansonsten geht es eher um die Sammlung und das Aufschichten unterschiedlicher Spuren?
»Ja. Die Instrumente werden nacheinander aufgenommen, zusätzlich gibt es noch mehrere Geräusch-Spuren, sodaß im Endeffekt wahnsinnig viel Material vorhanden ist. Beim Abmischen entstehen dann die Songs. Im Proberaum werden die Sachen lediglich ausprobiert, und es wird ganz grob Material gesammelt.«
Jazzplatten wurden früher in ein, zwei Tagen aufgenommen – so etwas wäre für euch undenkbar, oder?
»Wir haben eine andere Herangehensweise. Die einzelnen Sachen gehen sehr schnell – Johannes spielt zum Beispiel die ganzen Stücke in einem durch. Das Schwierige ist das Strukturieren, Abmischen usw. Daran wird lange herumgetüftelt, alles wird immer wieder dahingehend durchgehört, wo sich interessante Überkreuzungen finden, welche Spuren gemeinsam etwas Interessantes ergeben könnten. In diesem Stadium werden gewisse Dinge, die vielleicht auch gut sind, ausgeschalten, und wir entscheiden uns für etwas, das eine Spannung ergibt.«
So etwas wie eine konzeptionelle Idee hat es anfangs also überhaupt nicht gegeben?
»Nein. Das ist passiert. Beziehungsweise – man hat eben so einen konstruktiven Umgang mit Zufall. Der Zufall wird als Arrangeur in die Arbeit mit einbezogen. Aber natürlich nicht ganz willkürlich, sondern so, daß man Möglichkeiten läßt, daß sich zufällig etwas ergibt – so entstehen dann interessante Sachen. Die beteiligten Musiker kommen auch jeweils ein Stück weit aus einer anderen Richtung, und man findet dann eben einen gemeinsamen Nenner. Johannes Enders kannte diese Herangehensweise, diese Art zu arbeiten gar nicht – daß plötzlich alles wegfällt, ausgeschalten wird, in einen anderen Part reingeht und er mit einem Mal alleine dasteht. Was vorher nicht geplant war, sich aber durchs Mixen und durch Zufall ergibt. Er ist dann zwar erstaunt, was man daraus gemacht hat, aber er ist sehr offen dafür und hat kein Problem damit.«
Wird das T+TT eigentlich auch in reinen Jazz-Kreisen rezipiert?
»Wir haben schon auf mehreren Jazz-Festivals gespielt, aber die großen Reviews in Jazz-Zeitschriften haben wir nicht bekommen.«
Ist die Jazz-Szene zu konservativ?
»Ich glaube schon, daß es in dieser Szene eher eingefahrener zugeht, während man zur Zeit in der sogenannten Independent-Szene eine Offenheit erfährt, durch die plötzlich alles möglich ist – Jazz, Dub, Geräuschmusik, alles geht in einander über und wird vom Publikum auch akzeptiert. Bei Konzerten ist es heute auch kein Problem, wenn da Free-Jazz-Elemente drin sind, während das vor zwei, drei Jahren noch kaum jemand akzeptiert hätte.«
Wie empfindest du eure Live-Auftritte, die durch das doch relativ klare Bandformat mit der Arbeit im Studio kaum etwas gemein haben?
»Das ist eher eine Befreiung, da im Studio sehr viel am Mischpult entsteht, während es in der Live-Situation Phasen gibt, die sehr offen sind und die es auch zulassen, daß vorher nicht festgelegte Dinge entstehen. Das Programm ist nicht darauf angelegt, etwas nachzuspielen; es ist nicht wie eine CD, die abläuft, sondern die jeweiligen Teile sind sehr offen und variabel. Die Elektronik-Parts sind live so angelegt, daß völlig frei damit umgegangen werden kann; das basiert alles auf Ein- und Auszählen. Micha ist derjenige, der dirigiert. Das bekommt man nicht unbedingt mit, aber er gibt auf der Bühne die Zeichen.«
Was hat es damit auf sich, daß du dir Instrumente selbst bauen würdest?
»Ich habe einmal mit einem Freund zusammen ein Theremin gebaut. Das andere selbst gebaute Instrument ist eine Blechkiste, an der alle möglichen beweglichen Metallteile dran sind, die mit Kontaktmikros abgenommen werden, die ich dann noch über irgendwelche Effekte leite. Ich bin also kein Instrumentenbauer im klassischen Sinn, aber ich habe versucht, an andere, nicht gängige Sounds heranzukommen. Sounds, die durch ihren blechernen Klang im Gegensatz zu diesen harten, Techno-beeinflußten Sounds teilweise einen bestimmten 70er-Jahre-Bezug haben. Ich arbeite auch mit einem ganz alten Drum-Computer, der sich sehr gut editieren läßt. Das ist zwar mühsam, aber man kommt zu Ergebnissen, die man mit einer 808 oder 303 so nicht hinbekommt, weil die Klänge dort eben schon derart festgelegt sind. Außerdem kennt man diesen Sound heutzutage schon zu sehr.«
Hast du selbst denn immer schon mit Elektronik herumgemacht?
»Nein, bei Ogonjok (inzwischen aufgelöste Hausmusik-Band, Anm.) habe ich zum Beispiel Gitarre gespielt. Tatsächlich war mein erstes Instrument aber keine Gitarre, sondern ein Drum-Computer, eben dieser RY30, den ich immer noch benutze. Ich habe schon versucht, Elektronik-Sachen mit einzubringen –
auf der ersten CD von Ogonjok hört man das auch -, innerhalb der Band wollten das aber nicht alle, und daher gab es dann eine Spaltung. Damals hat sich das tatsächlich noch gespalten – die Gitarrenleute wollten nichts mit Elektronik zu tun haben. Inzwischen ist es überhaupt nicht mehr so, und das finde ich großartig.
Ich selbst war ja nie wirklich in dieser Gitarren-Szene drin – die Residents waren meine Lieblingsband, und ich habe immer eher alte Elektronik á la Moebius oder auch die Sachen von Eno gehört. Heute vermischt sich das alles.«
Mehr über das Tied + Tickled Trio und ihr riesiges, spannendes Umfeld gibts hier.