Einen ziemlich langen Anlauf benötigt das Golden Quartet, um in die Konzertgeschichte eingehen zu können. Ishmael Wadada Leo Smith, der den US-Avantgarde-Jazz selbst maßgeblich mitprägte, hat wahre Kapazunder als Sidemen mitgebracht. Vijay Iyer nervt zwar manchmal mit zu wolkigen Piano/Keyboard-Clustern, ist aber ein ideensprühender Musiker, der den Kompositionen von Wadada Leo Smith kongenial Mehrwert abringt. John Lindberg treibt diese mit seinen Kontrabassriffs ebenso voran wie Ronald Shannon Jackson. Jackson. Bekannt von seiner in den 80er Jahren heißen Decoding Society, erweist sich Jackson einmal mehr als begnadeter Dummer, der auf den Spuren von No Wave/Free Funk (remember James »Blood« Ulmer!) wandelt, ohne wie ein Plagiator zu wirken. An diesem Konglomerat an historischen Referenzen, die stets in irgendeiner Weise hervorblitzen, ist Smith natürlich nicht unbeteiligt. Erinnern doch seine Trompetenlinien auch an Miles Davis. Also braut sich mit der Zeit ein immer schlüssigeres Quartettspiel zusammen, das mit sichtlicher Eleganz vonstatten geht. Ist das nun Neo-No Wave oder Post-Free-Funk? Schwer zu sagen, jedenfalls: Fazinierendes in-Between! Dank galaktischer Keyboardsounds und überhaupt jenseitiger instrumentaler Höhenflüge schwingt sich schlussendlich das Golden Quartet noch zu einer fabelhaften Zugabe auf. Sun Ra’sche Dimensionen werden erklommen. Spirit in The Sky! Musik, die wie eine Droge wirkt. Kolossal phänomenal!

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