Es ist Oktober 2022, mein Discover Weekly ist im Allgemeinen enttäuschend und kurz bevor ich die Playlist wechseln will, ertönen die ersten Gitarrenklänge von Dolphin Loves »ofnoone« von seiner ersten EP »999« (2022). Ein düsterer Sound, einnehmend und schillernd und irgendwie berührend, aber schwer zu sagen, wo genau.
Es ist April 2024, Dolphin Love, dessen Name eigentlich Constantin Kopp ist, sitzt im Café Meta und sieht nicht, wie ich zu spät zu unserem Termin komme. Einige Monate zuvor erschien seine zweite EP »who speaks your mind« (2023), in den Monaten darauf sollten die ersten Songs seiner dritten, bis dato titellosen EP released werden. Neben ihm sind sein Gitarrenkoffer und seine Loopstation, die ihn wenige Stunden später bei einem Showcase in der Superbude begleiten sollen. Ich setze mich, entschuldige mich, er winkt ab, wir bestellen Melange. Er sitzt ganz gelassen da, fragt schelmisch, ob er sich an meinem Tabak bedienen darf, nippt an seinem Kaffee und erzählt. Normalerweise, sagt er, sei er mit seinem Drummer Jan Kaspers unterwegs, aber wenn die Shows so klein sind, lohnt es sich nicht, alles groß aufzufahren, und Jan den ganzen Weg bis nach Wien kommen zu lassen. »So ist es ein bisschen bodenständiger, nur ich und meine Werkzeuge. Das wird sowieso schön.«
Keine falsche Bescheidenheit
Coco, wie er genannt wird, hat mit 12 Jahren angefangen, mit eigenen Beats zu experimentieren. Die Einflüsse seiner Musik kommen aus Braunschweig, genauer von seinem Vater. Der spielt, seit er denken kann, in einer Rockgruppe und Coco selbst war zu Teenie-Zeiten Drummer einer Punkband, die er mit seinen Freunden gründete. Der Gedanke, dass er allein Songs produzieren will, kam irgendwann während der Corona-Lockdowns. Seit 2022 veröffentlicht er Songs unter dem Namen Dolphin Love und interpretiert die Möglichkeiten des Indie völlig neu. Einerseits 1980s-Wave, andererseits Post-Post-Punk, dann wieder der zarte Anfall von Indie-Pop meets Arctic Monkeys (bevor sie langweilig wurden). Die E-Gitarrensounds schreien Rock, seine Stimme klingt eher chorisch, hin und wieder rappt er oder singt gar nicht. Dolphin Love spielt mit Klängen und Melodien, erschafft bahnbrechende Drumsets und verleiht seinen Songs durch die raue und doch sanfte Stimme etwas Transzendentes und Kraftvolles, dem man sich bei jeder Gemütslage hingeben möchte.
Man könnte erwarten, ein junger Mann mit einer solch vielversprechenden Karriere würde sich arroganter oder zumindest seinem angehenden Erfolg entsprechend abgehoben verhalten. Nicht aber Coco, er freut sich einfach und sagt, dass er oft überrascht davon ist, wie seine Musik ankommt. Man solle das aber nicht falsch verstehen; er liebt, was er tut, und hat großen Spaß, das Outcome zu produzieren, das macht ihn alles sehr dankbar. Aber dass ihm Menschen mitteilen, dass seine Musik etwas in ihnen auslöst, scheint ihm noch befremdlich. »Letztlich bin ich auch bloß ein Typ, der zufälligerweise Gitarre und Schlagzeug spielt, Ableton früh gecheckt hat und dann halt noch Texte schreibt. Kein großes Ding, das hat sich einfach alles irgendwie ergeben.« Er lacht, als er das ungläubige Starren meinerseits bemerkt.
Kreatives Chaos: Naiv bleiben aus Prinzip
Wir sprechen über den Prozess, mit dem er seine Projekte angeht. Man rechnet mit routiniertem Herumprobieren: zuerst die Anfänge einer Melodie, dann Teile des Refrains, hier und da die ersten Beat-Ideen, irgendwann dann der rote Faden, der alles zusammenbringt und schließlich auf »Record« drücken. Coco geht das anders an. »Sobald ich eine Idee habe – eine Zeile, eine Tonabfolge, you name it – mache ich mich sofort ans Werk. Wie und wo, ist egal. Ich schaue einfach, wohin mich die Idee führt.« Er hat kein richtiges Konzept und steht da auch entschlossen dahinter: »Ich finde, sobald man eine Idee zerdenkt und sich eine Richtung vorstellt, in die sie gehen soll, geht vieles verloren.« Ein Satz, der sich gut auch auf das ganze Dasein übertragen lässt. Dolphin Love lebt von intuitiver Impulsivität, »als würde ich wie ein Kind alle Instrumente und Tools zum ersten Mal berühren, die Klänge zum ersten Mal hören«. Er versucht, auch sein Leben auf diese Weise anzugehen. Wie er sich dabei fühlt, lässt er uns durch die Musik wissen.
Intuition ist also das Motto, das seinem Sound den Zauber verleiht. Im einminütigen und wundervollen Intro zu »to me« (2023) oder etwa im wunderbar spielerischen theatral-dramatischen Hans-Zimmer-like EP-Opener »feel you« (2022) kann man das hören: Das naiv-neugierige Herumspielen mit der Gitarre oder dem Piano, umhüllt von gewagten Klangabfolgen, sanft gehauchten Vocals. Jeder Song denkt die Komponenten in neuen Möglichkeiten und schafft Orte, die nur er selbst kennt, aber die für alle Ohren gleichermaßen Tumult im Herzen auslösen. Und wie? Indem er um die Ecke denkt, die Irr- und Umwege mitnimmt, schlicht aus dem Grund, dass es ihm Spaß macht. »Be delulu!«, schreit es aus dem Internet und Dolphin Love manifestiert ebenjenes Wunschdenken mit all seiner Ekstase in jedem Song neu.
Über Schnelllebigkeit, Sehnsucht und Erfolg
Es ist inspirierend, wäre es nicht auch so gruselig. Ob es ihm manchmal schwerfällt, das Gefühl der endlosen Sehnsüchte unserer Zeit zu greifen und in etwas zu verwandeln, das andere nachvollziehen können? »Es gibt mehr im Leben als geradlinige Wege. Ich schaue außerhalb der Scheuklappen nach Inspiration und bin glücklich damit. Das klingt irgendwie blöd, aber ich versuche, die meiste Zeit im Hier und Jetzt zu sein, meine Intuition und Kreativität nicht zu hinterfragen und einfach zu schauen, was dabei herauskommt, wenn ich dem nachgehe.« Abundance-Mindset also, ein typisches für unsere Generation: Alles manifestieren, vom Besten ausgehen und lernen, seiner »Bestimmung« zu folgen. Oft wirkt das sehr weit hergeholt und nur selten gelingt es, die Scheuklappen dank unserer leistungsorientierten Sozialisation tatsächlich abzulegen, sich nicht vom Kommerz der Masse einnehmen zu lassen oder gar ganz abzudriften.
»Es ist schwer, in unserer Zeit daran zu glauben, dass irgendwie alles gut wird. Und es ist auch schwer, sich nicht vom Leistungsgedanken einholen zu lassen. Ich muss mich oft daran erinnern, dass Zahlen und Business und Management meine Karriere nicht gänzlich bestimmen dürfen, obwohl sie es ja eigentlich tun.« Er lacht, nimmt einen Schluck von seiner Melange und fährt fort: »Aber ich glaube, solange sich weiterhin die Dinge für mich irgendwie ergeben und gut anfühlen, ist das ein Zeichen, dass ich auf dem richtigen Weg bin, meine Kreativität nicht davon beeinflussen zu lassen. Es kommt schon alles so heraus, wie es soll.« Der 24-jährige Musiker und Produzent spielt auf Festivals wie dem Dockville oder dem Appletree Garden, bei der Fusion war er auch vertreten und hat schon in so einigen deutschen Konzerträumen seinen Sound hinterlassen. Von der Musikpresse, darunter nicht nur spezialisierte Zeitschriften wie »Diffus« oder »Bandup«, wird er immer wieder für seine künstlerische Entwicklung und seinen unverwechselbaren Sound hervorgehoben. Vor allem seine authentische Ausdrucksweise und die Mischung aus Indie-Pop, Synthie-Sounds und Rock sichern ihm einen Top-Platz unter den Newcomern der deutschen Indie-Szene. Für Coco hat sich allem Anschein nach bisher alles recht gut »ergeben«.
Intimität als Motor des musikalischen Wandels
Dass er sich nicht ganz eingestehen will, wie hart er dafür wirklich arbeitet, ist nachvollziehbar: Nichtsdestotrotz ist auch er ein Kind seiner Generation und demnach nicht gefeit vor systemischen Erwartungshaltungen. Ein bisschen aufgeregt ist er also trotzdem jedes Mal vor den Auftritten, sind seine Songs letztlich intime Auseinandersetzungen mit dem Leben. Auf seiner letzten EP »who speaks your mind« (2023) handelt er Themen wie Selbstfindung und Aufbruch aus und legt die Texte, die nicht im Geringsten so klischeehaft sind, wie man annehmen könnte, auf warme Synthesizer, pulsierende Drums und schrille Gitarrenriffs. Er schafft eine zuversichtliche Melancholie; eine, die trotz (oder gerade wegen) der Schnelllebigkeit unserer Zeit die Schönheit des Trubels in allen Facetten anerkennen will. Als Dolphin Love interpretiert Coco Kopp das Zusammenspiel von Kunst und Leben auf seine eigene Weise neu und liefert so die Basis für weitere vielversprechende musikalische Entwicklungen – nicht nur für sich selbst, sondern für das Genre im Ganzen.
Nun ist es Februar 2025 und man kann sich, pünktlich zur Jahreszeit des Aufbruchs über neue Musik von Dolphin Love freuen. Am 11. Februar erscheint die dritte EP »not from here« des musikalischen Animagus auf allen gängigen Plattformen. Freundlicherweise hat er schon vorab eine kleine Hörprobe vergeben und es lässt sich gewissenhaft sagen: Es wird grandios, es wird tanzbar und es wird mal wieder nicht zu vergleichen sein mit dem, was uns sonst so in die Spotify Playlists gespült wird.