Aha. Geschichtsamnesie statt Historienverfälschung. Wer will schon alles wissen. Und im Endeffekt ist ohnehin alles subjektiv. War der Führerbunker nicht die erste Big-Brother-Edition, hätte Leni bloß nicht die Kamera vergessen? Was auch immer bleibt, es ist immer Mythos. Aktuellen Forschungsergebnissen zufolge vergisst die „Jugend“ zunehmend die Geschehnisse des zweiten Weltkriegs, festgehalten am Verweilwert von deren ausschlaggebenden Protagonisten. Nur einer bleibt ewig im Gedächtnis, die Mensch gewordene Geburt der Propaganda-Planwirtschaft, des lebenden Logos mit Schnauz.
Zumindest im offenen Kulturgedächtnis ist Dolferl also der unbestreitbare Gewinner der 2WK-Freedom-World-Tour. Also muss er nach heutigen neoliberalen Begrifflichkeiten was am Kasten gehabt haben. Die wild umstrittenen Aussagen eines Bowie oder Jagger, Hitler wäre der erste Popstar gewesen, gewinnen mit jedem vertrickernden Monat der Hyperökonomie. Impakt zählt, nicht Ideale. In Guillermo del Toros durchaus saftigem Kommerzschinken „Hellboy“ nach dem düster wuchtigen Kult(!)-Comic von Mike Mignola sind Nazis noch so wie es ich gehört, und wie man sich das Böse der Welt vorstellt: Halbmaschinelle Homunculi im SS-Käppchen und kaum zerstörbarem Leckerleder, verschworen mit allem, was der Weltekel bieten kann: von Rasputin bis zu einem mandalesken Lovecraftschen Schleimloch direkt aus der Hölle. Dabei hagelt es arische Märchenwaldvisionen in einer Cliffhanger-Häufung, wie man sie seit dem direkt beklauten „Indiana Jones“ nicht mehr gesehen hat. Und dermaßen feuchtfröhlich mit Haudrauf entmoralisiert sowieso nie.
Dass das NS-Regime als erstes gesellschaftlich funktionales Multimediaspektakel jede Folgekultur seitdem mit ihren Bildwelten inspiriert und gefüttert hat, ist ja mittlerweile gern verdrängtes Fakt, genauso wie die Riefenstahlisierung täglicher Werbeclips, Sportberichte, Survival Soaps (mit einer Jugend die im Öko-Nazi- & Blut & Boden-Hippie-Chic wieder hart, flink, zäh und urig-bärig wie Luis Trenker sein darf) und Blockbuster im globalen Rechtsschwenk rapide zugenommen hat. Emotion und Spektakel statt Diskurs und Hinterfragung. Wer will schon von den Leichen hinter der Leinwand hören. Und das ist allerdings wie damals und mittlerweile gültig für alle politische Seiten, die die allmächtig donnernde Medienstimme („Zardoz! Zardoz!“) ausschließlich totalitär verstehen. Toro ist wenigstens Geek, Sammleridiot, der die Bilder ernst nimmt, mit denen er seinen Oberflächenbrei anrührt, ihnen damit wieder Geschichte, Inhalt, damit auch Möglichkeit zur Hinterfragung gibt. Stichwortgeber dazu war offensichtlich die Doku „Schwarze Sonne“ von Okkultforscher Rüdiger Sünner, der stilkonservativ, aber akribisch wie faszinierend die mythologischen Hintergründe des Nationalsozialismus auffächert. Und damit verdeutlicht, dass die immer nur Fun, Konsum und Entideologisierung heischenden Massenbildchen, freiwillig oder nicht, immer Historie und Message in sich tragen. „Schwarze Sonne“ ist da große notwendige Aufklärung, so wie „Hellboy“ ein großer geiler Spaß. Doch wie alles große Eindruckswerk ist es mit Vorsicht zu genießen. Denn auch Popkultur braucht Geschichtsarbeit, solange die Zwangsparameter dabei Rock’n’Roll bleiben.
Die DVD von „Schwarze Sonne“ ist bei Absolut Medien erschienen. „Hellboy“ startet im September in den deutschsprachigen Kinos.
Mehr Info: http://www.ruedigersuenner.de