Eingängig, hypnomäßig, Laetitia Sadiers geschmeidiger Gesang, mal französisch, mal englisch, gerne geloopt, dann flächig betörend. Ein krautiges Endlosschlagzeug, auch öfter mal geloopt und bearbeitet, soundtechnisch eine angenehm natürliche Künstlichkeit, weil alles so tight, ineinander verschwimmend und perfekt gekonnt. Nach »Transient Random-Noise Bursts With Announcements« (1993) und Mars Audiac Quintet« (1994) im Mai 2019 wurden im September das beste und zweitbeste Album von Stereolab neu aufgelegt, »Emperor Tomato Ketchup« (1996) und »Dots and Loops« (1997), außerdem »Cobra and Phases Group Play Voltage in the Milky Night« (1999). Im November folgen dann noch Reissues von »Sound-Dust« (2001) und »Margerine Eclipse« (2004). Hier zwei Track-für-Track-Reviews unter leichter Zuhilfenahme der beiliegenden Liner-Notes von Gründungsmitglied Tim Gane.
»Dots and Loops«
»Brakhage«, der erste Track von »Dots and Loops«, beginnt mit einem Stottern, das Kenner*innen an die schnelle Bilderfolge von einem der Filme Stan Brakhages erinnert. Brakhages Arbeiten und experimenteller Film generell waren ein wichtiger Einfluss für die Band, der Name dieses Albums entstammt den Namen zweier Arbeiten von Norman McLaren, nämlich »Dots« und »Loops«. »We need so damned many things«, singt Laetitia Sadier zu Beginn des Albums. Vielleicht sind es aber nur Songs wie diese, die man wirklich braucht. »Miss Modular« ist eine der Gute-Laune-Nummern, die die Welt zu einer besseren machen. Man kann sich oberflächlich dem Song hingeben oder genauer hinhören: Die Drums sind geloopt, der Bass agiert als roter Faden, an dem die restlichen computerbearbeiteten Teile wie festgeklebt scheinen, wie auf einer schönen Collage kleiner Bilder, die ein großes Ganzes ergeben. Zeitlos schön. Auf »The Flower Called Nowhere«, dessen Refrain zu einem der großen Stereolab-Ohrwürmer gehört, erkennt man einen Akkord, den Tim Gane so aussuchte, dass er den Vibe wiedergab, den er beim Lauschen von Krysztof Komedas Musik spürte und der auch irgendwo in der 1960er-Exploitation-Filmmusik verortet ist. Das Intro zu »Diagonal« vereint viel der typischen Experimentalität, da trifft so viel zusammen, so viel Sound-Ingenieurtum, so viel Kreativität, die dann in den schönsten Groove übergeht. Wonne. Den Liner-Notes ist zu entnehmen, dass Tim Gane den Song »Prisoner of Mars« selbst nicht mag, weil der zu smooth sei. Letzteres stimmt, ersteres gehört verbessert: Klingt smooth wie ein spätes Talk-Talk-Stück. Gut so. Aber geschenkt. Es ist zudem inspiriert von einer sehr heißen Bar, in welcher die Band sich eine Zeit lang aufhielt. Heißer Track allemal auch. »Refractions in the Plastic Pulse«, wärmer als warm, fast 20 Minuten lang, elektronisch ausgetüftelt, eine Reise durchs Elektrolabor. »Parsec« ist die DrumʼnʼBass-Nummer mit ultra-flashigen Drums. »Ticker-tape of the Unconscious«: In den Liner-Notes erzählt Gane von der Entstehungsgeschichte und dass das »alles irgendwie durch etwas ging«, also jedes Instrument einer krassen Bearbeitung unterlag, bevor es von uns gehört wurde. Weswegen der Sound so speziell klingt. Speziell gut. »Contranatura« ist der letzte offizielle Track, changiert zwischen klassischen Experimenten, mal gediegenes Gitarrenstück, mal Dance-Track mit Wumms. Zu Recht das zweitbeste Stereolab! Zum Abschluss hat man noch einige Demos und Probeaufnahmen und Instrumentals drauf gepackt. Das klingt dann ziemlich unbearbeitet, na klar, der Gesang oft bloß mal eben aufgenommen, damit die Ideen nicht in Vergessenheit geraten. Nicht unbedingt nötig, aber für Komplettist*innen unverzichtbar, zwinker.
»Emperor Tomato Ketchup«
»Emperor Tomato Ketchup« ist der Name von Shuji Terayamas gleichnamigem Film aus dem Jahre 1971, eine weitere Filmreferenz nun von dieser Kunstband. Es sei erwähnt, dass John McEntire von Tortoise an der Produktion und auch einigen Instrumenten beteiligt war. Das hört man zuweilen, Keyboarder Tim Gane, der die Liner-Notes zur Special-Edition verfasste, spricht darüber und auch über andere Hintergründe der Songs recht ausführlich, was die Band und ihren Sound sehr interessant erläutert. »Metronomic Underground« beginnt mit einem wie gewohnt hyper-groovigen Schlagzeug und Bass, gefolgt von einem weiteren Saiteninstrument, das einen der eindringlichsten Rhythmen der Band darstellt, und immer mehr Flächen legen sich darüber, erst noch Sadiers Gesang geloopt und dann die Tasten. »Crazy, sturdy / a torpedo / crazy brutal / a torpedo«, die ersten Zeilen, die sich für immer in die Hirnrinde einbrennen, wenn man sie hört. »Cybeleʼs Dream« hat vielleicht den lieblichsten Gesang in Stereolabs Œuvre generell, Refrain und Chorus (?), vereint mit den Streichern, sind in dem Moment so süß wie nichts anderes auf dieser Welt, die folgenden Streicherelemente äußerst gekonnt eingesetzt. Die Stimmung und der Aufbau sind dramatisch wie ein Film, nicht wie Filmmusik, sondern selbst wie ein Film. Das quirkige »Percolator« entstand aus einer Idee, die der 1960er-Band (The) Godz entstammt, die geloopt Grundlage für den Song bildete. Dieser Loop, das Gefühl, der Song könnte endlos gehen, gibt dem Ganzen einen recht krautigen Vibe. Noch mehr von diesem Krautsound hat das folgende »Les Yper Sound«, könnte in seinen ersten Momenten glatt als direkt von Can durchgehen, so leicht und fröhlich und slap-happy stolziert es daher. »Spark Plug« ist poppig und kurz, lebt von Laetitias und Mary Hansens Gesang. »OLV 26« wurzelt in der Zusammenarbeit mit Nurse With Wound zu »Simple Headphone Mind« (1997). Tim Gane selbst spricht von Kraftwerk-Ähnlichkeiten, es sind vor allem der verzerrte, langgezogene Bass und die eher düstere Stimmung, die auffallen. Gleichzeitig hört man einen zweiten Bass im Hintergrund, der ein angenehmes Gegengewicht dazu darstellt. »The Noise of Carpet« ist der Punk-Rock-Song des Albums, im Zuge vieler gediegener, hypnotisierender Nummern ein Aufwecker, kann man sagen. Einer von Ganes liebsten Tracks auf dem Album ist »Tomorrow is Already«, die Gitarre spielt er hier neben McEntire. Der Titeltrack hat auch einige der zeitlos schönsten Refrains überhaupt, funktioniert grandios mit dem tighten Schlagzeug. »Monster Sacre«. Gane: »Simple Song. Sad Song«. »Motoroller Scalatron«: besteht bloß aus zwei Akkorden. Egal, im Stereolab mixt man daraus wie gewohnt das beste Gemisch zusammen. »Slow Fast Hazel« ist auch einer der Songs, die der Keyboarder Gane eher weniger mag. Kann schon richtig sein, die stärkste Nummer ist es nicht, im Gefüge dieser vorangegangen Monster-Tracks aber auch kein Wunder. Das letzte Lied auf der regulären Platte ist »Anonymous Collective« und nimmt einen gewohnt bei der Hand. Man könnte das Ding jetzt ausfaden lassen oder aber einfach wieder zum Anfang zurück und nochmal hören. Oder aber den Demos lauschen. Da findet sich noch das Stück »Freestyle Dumpling«, ein rohes Ding, das es aus nicht ganz so klaren Gründen aber nicht aufs Album schaffte. Noch erwähnenswert von den nun folgenden fast 20 Zusatztracks ist die Demo von »Noise of Carpet«, die noch ein wenig simpler gestaltet ist, voll auf die Zwölf. »Old Lungs« war laut Liner-Notes der Katalysator für ETK, schaffte es jedoch nie aufs Album. Jetzt aber. Gut alles. Sehr gut sogar.
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