Was soll man sagen? Wo soll man anfangen? Wie kann man die Energie und den Enthusiasmus dieser kanadischen Generation an Musiknarren auch nur annähernd in Worte fassen? Wo sie doch selber drei Stunden brauchen, um daran zu ermüden. Na gut, so viel Zeit hab ich nicht, aber es gilt mehr denn je: Sehr viel bleibt auf der Strecke.
The Most Serene Republic. Indierock-Androiden mit einem der vielversprechendsten Debütalben der letzten Jahre. Kanadische Noch-nicht-mal-Twens, die zwar auf Broken Social Scene-Label Arts & Crafts landeten, aber mit ihnen personell vorher nicht verbunden waren. Ihren ersten Wien-Gig hätten sie als Vorband von Broken Social Scene letzten Dezember geben sollen, aber dieser Teil der Tour wurde für sie wegen Übermüdung gestrichen. Also, Nervosität einer so jungen Band ob des großen Popbiz-Drumherums (Angst Nr. 1), plus die beiden Standardprobleme beim ersten Live-Erlebnis einer Band, die ein tolles Album im Rücken hat: Sie nudelt’s einfach herunter (Angst Nr. 2) oder sie wird ihm einfach nicht gerecht (Angst Nr. 3). So, es gab also ne Menge, was schief gehen konnte.
Also: Angst Nr. 1 war spätestens bei einer locker hingerotzten, mutigen Darbietung von »(Oh) God« als zweites Stück wie weggeblasen. Ihre Nervosität, ihre junge Verwirrtheit kehrten sie ab dem Punkt in ihre Stärke, ihr Selbstvertrauen. Angst Nr. 2 war quasi von Anfang an absurd, weil die meisten Stücke (teilweise bis zu Unkenntlichkeit) verfremdet wurden und außerdem zwei neue Stücke der Tour-EP »Phages« mit im Set waren. Angst Nr. 3 war allein deshalb keine Frage, weil sie als Live-Event dem Album noch deutlich eins draufsetzen, mit den manischen Eskapaden des Sängers Adrian Jewett (und seinen wirklich zutiefst erschütternden Augen) und dem glänzenden Ruhepol Emma Ditchburn. Besonders berührend (und näher als auf Platte) war ihr Duett, jene Gattung also, die wir uns eigentlich für den Hauptact des Abends vorgenommen haben. Die Stimmen waren generell besser als erhofft, denn die auf dem Album so leise gemischten Vocals verpflichten geradezu zu einem rockigen, lauten Abmischen beim Gig (Angst Nr. 4). Nada, die Stimmen waren genauso schön unschön in den Sound-Ozean eingewoben, wie der Rest der kaum voneinander zu unterscheidenden Instrumente. Alles in Allem haben wir eine Band gesehen, die – wenn sie so weiter macht – eine der herausragendsten Figuren des Spät-Nullziger-Indierocks sein könnte. Wenn sie das nicht jetzt schon ist.
Dort schon angekommen sind die Stars spätestens seit 2005, dem großen Durchbruchjahr für ihr drittes Werk »Set Yourself On Fire«. Auch wenn sie zu Zeiten ihres zweiten Albums »Heart« schon in der Szene als Vorband von Broken Social Scene gastierten, sah man jetzt eben, was es heißt, wenn Stars endlich selber zu Stars werden, und aus dem Schatten der Label-Gründer heraustreten. Und das in einer Stadt, die sie lieben, und die sie ob dieser Liebe auch mit dem schlichtweg besten Konzert, das mir je von ihnen untergekommen ist (sei es persönliche Erlebnisse, sei es Mitschnitte, die im Netz herumschwirren), beglücken. Gespielt wurden die Hits von »Heart«, inkl. dem Herzstück »Death to Death«, und alles (noch mal: ALLES!) von »Set Yourself On Fire«, inklusive der selten zu hörenden Meisterwerke »Calender Girl«, wo Amy Millans Stimme schlichtweg atemberaubend das Jahr in vier Minuten zusammenfasst, und dem Jahrhundertopener »Your Ex-Lover Is Dead«, wo das Publikum auch die Möglichkeit hatte, sich das »I’m not sorry. There’s nothing to say!« aus der Seele zu schreien. »Calender Girl« als letzte Nummer vor der Zugabe, »Your Ex-Lover Is Dead« als erste Nummer der selbigen sorgten natürlich für eine sensationelle Dramaturgie.
Auf der anderen Seite, abgesehen von der Setlist und der Dramaturgie, bewiesen die Stars auch wieder mal, dass sie ungemein sympathische Käuze sind. Z.B. als sie den Licht-Menschen aufforderten endlich das Stars-Banner im Hintergrund zu entfernen, weil sie mittlerweile eh alle wüssten, dass heute Abend verdammt noch mal die Stars spielen (worauf Sänger Torquil Campbell natürlich protestierte, weil er sich immer wieder fragt, ob sie nicht doch Queen sind, und das Banner ihn immer freundlich berichtigt …). Z.B. als sie am Ende erzählen, kanadische Bands kriegen nur dann staatliche Förderung, wenn sie mindestens zu fünfzehnt auf der Bühne stehen (woraufhin natürlich die komplette Most Serene Republic und mutige Publikumshaudegen auf die Bühne geholt wurden, um eine schlichtweg atemberaubende Version von »The First Five Times« – the song about fucking the one you love forever and ever – abzuliefern). Oder auch, als für eben diese Zugabe dann auch schlussendlich das erhoffte »?QUEEN?« am Banner hinten auftauchte. Womit der Abend nicht nur für Torquil Campbell endgültig in die Annalen der Jahrhundertkonzerte erhoben wurde.