Der Elektroniker Rashad Becker hat unlängst sein vielbeachtetes LP-Debüt »Traditional Music of Notional Species Vol. I« auf PAN veröffentlicht. Labelgründer Bill Kouligas bietet ein komplexes Konzept, mit dem es gelingt, sperrige Elektroakustik, abstrakte Electronica und Clubsounds unter einen Hut zu bringen. Am ehesten ist es eine gewisse Art der Nonkonformität und des trotzigen Einzelgängertums, die alle PAN-Releases verbindet. Im Backkatalog finden sich Namen wie Keith Fullerton Whitman, Aaron Dilloway, Russell Haswell oder Lee Gamble. Nicht nur dass diese in diversen Musikgenres beheimatet sind, sie treten auch in unterschiedlichen Kontexten auf. Die von PAN-Showcases bespielten Venues reichen von typischen Clubs über Galerien, Museen und Bibliotheken bis hin zu sakralen Räumen – was zur Sichtbarkeit dieses exzentrischen Labels beigetragen hat. Dass Rashad Beckers erste Platte nun auf PAN erschienen ist, passt sehr gut, ist aber auch auf die enge Freundschaft mit Kouligas zurückzuführen. Dieser musste Becker indes lange Zeit ins Gewissen reden: »Irgendwie hatte ich Vorbehalte wegen meines Tagesjobs, ich wollte das, was ich beruflich, und das, was ich musikalisch mache, nicht vermengen «, meint Becker. Es kommt nicht von ungefähr, dass die Platte von einer derart autonomen und ausdifferenzierten Stimme zeugt. Becker tritt schon seit langem als Live-Musiker auf, war als Soundingenieur an einer Vielzahl von Theaterproduktionen beteiligt und mit Klanginstallationen bei diversen Ausstellungen vertreten. Die Erfahrungen, die er bei der Umsetzung unterschiedlicher Spatialisierungsprojekte gewonnen hat, tragen so zur räumlichen Qualität seiner Musik bei.
Imaginäre Spuren und inszenierte Sounds
»Traditional Music of Notional Species« – nicht nur der Titel der LP erinnert an Fieldrecordings. Rashad Becker kreiert eine unwahrscheinlich evokative Klangszenerie, ein gläsernes Sci- Fi-Biotop, und man kommt als Zuhörer nicht umhin, sich in diesem imaginären Areal zu verlieren. Vor diesem Hintergrund lässt Becker eine fiktive Bevölkerung auftreten. Die generierten Sounds erinnern bewusst an eine kryptische Syntax. Becker nähert sie der Sprache an und erzeugt so eine neue Lesbarkeit, die durchlässig für Assoziationen wird: Synthetische Klangkörper treten hier in Kommunikation. Er selbst nennt die von ihm erzeugten Sound-Entitäten »Wesenheiten«. Becker überschreibt sie im Kompositionsprozess mit bestimmten charakterlichen Eigenschaften und geht dann ähnlich vor wie ein Autor, der an einer Erzählung schreibt. Der autonome Kosmos, den er entstehen lässt, spiegelt dabei sein Interesse an konstruktivistischen Fragestellungen wider. »Mir scheint, dass es sehr wenig Bewusstheit dafür gibt, wie Wirklichkeitsräume durch Klang gebildet werden«, so Becker. »Der postmoderne Diskurs, der um den Bildbegriff zirkuliert, der meint, dass es nichts Authentisches oder Dokumenthaftes im Bild geben kann, ist etwas, das sich in klangbasierten Wirklichkeitsmanövern überhaupt nicht so selbstverständlich etabliert hat.«
Anders als jene, die tatsächlich aus einem dokumentarischen Interesse mit Fieldrecordings arbeiten und so immer auch ihre Verfahrensweise ausstellen bzw. rückübersetzen müssen, könne man als Musiker auch spielerisch damit umgehen. Die den Zuhörern dargebotene Möglichkeit, phantastische Räume zu bewohnen, verdankt sich letztlich einem spezifischen Vermögen des auditiven Sensoriums. Auf die Frage, ob seine Stücke einer Narration folgen, meint Rashad Becker: »Wenn dann sind sie eher als zustandhafte denn als Zeitachsen-basierte Erzählung geschrieben. Ich verbringe relativ wenig Zeit damit zu arrangieren. Die Substanz ist der Zustand und der Raum. Darin treten die Wesenheiten dann in eine Interaktion, die potentiell endlos ist.« Ob es in der von ihm entworfenen Fiktion ein utopisches Moment gibt? »Nicht explizit«, winkt Becker ab, »es findet allerdings schon eine Reflexion über soziale Räume statt, die natürlich mitunter von einer gemeinsamen Verabredung zur Utopie getragen ist.«
Sinnliche Synthese
Einer der Gründe, weshalb Rashad Becker ausschließlich synthetisch arbeitet und keine, wie man aufgrund der organischen Qualität mancher Klänge vermuten könnte, Stimmsamples einbaut, ist der Versuch, seine Sounds so wenig wie möglich an eine Apparatur rückzukoppeln. »Es gibt zwar oft den Moment, in dem etwas Stimmhaftes auftaucht. Auch wenn ich es nicht aktiv verfolge, habe ich dabei doch oft das Ideal im Ohr, dass gerade jene Klänge für mich attraktiv sind, die potentiell von irgendeiner Art physikalischem Körper erzeugt werden könnten. Aber die Quellen … das ist alles Synthese. Teilweise speise ich zusätzlich Feedback-Instrumente ein, wobei das genauso eine Art von Synthese ist. Ich verwende keinen Computer. Ich habe vor langer Zeit Supercollider programmiert, aber irgendwie prägt das auch so sehr die Art von Musik, die man schreibt. Damit konnte ich mich letztlich nie identifizieren, obwohl ich die klanglichen Resultate sehr mochte. Eine vollständig synthetisierte Klangerzeugung ist mir sehr wichtig, damit nichts Idiomatisches von den Strategien und Genesen der herkömmlichen Klangerzeugung, keine der Altlasten bzw. nichts von der Patina mitübernommen werden müssen. Wobei natürlich elektronische Klangfarben auch ein gewisses idiomatisches Patina haben können, was in elektronischer Musik teilweise durchaus explizit kultiviert wird.«
In Syrien geboren, ist Rashad Becker als Jugendlicher nach Berlin gezogen und hat hier seine musikalische Sozialisierung erfahren. Damals hatten sie noch Fabriken besetzt und mit leerstehenden Räumen herumexperimentiert, bisweilen sogar Acousmonium-artig* bespielt.
Die heutige Entpolitisierung der Clubszene sieht er mit einigem Unwillen. »Das ist sehr schade. Elektronische Musik ist im Allgemeinen kein Politikum mehr, sie gilt kaum mehr als Grund, weswegen Leute kulturelle Räume teilen. Man kommt nicht mehr wirklich in die Clubs wegen der Musik. Elektronische Musik wurde extrem entkoppelt von Musikkultur und -industrie, wodurch sie stark an politischem Potential verloren hat, das sie damals zwangsläufig hatte, als sie einer ganz anderen Strategie gefolgt ist, nämlich außermusikalische Zusammenhänge und Inhalte zu verbinden. Der Club als Phänomen hat sich entpolitisiert.«
Das ist wohl mit ein Grund, weshalb Becker sich einem Label verbunden fühlt, das versucht, typische Rezeptionsbedingungen zu durchbrechen und abstrakte Electronica in den Clubraum zu überführen. Der zweite Teil des Albums soll jedenfalls auch auf PAN erscheinen. Wann genau, möchte Rashad Becker lieber nicht sagen. »Idealerweise dieses Jahr noch, aber Bill hat auf die erste Platte lange gewartet, deshalb bin ich vorsichtig mit Prognosen«, meint er lächelnd.
* Das Acousmonium ist ein von GRM und François Bayle entwickeltes Multi-Channel-»Lautsprecherorchester«.
Aktueller Release:
Rashad Becker
»Traditional Music of Notional Species Vol. I«
(PAN)
Konzerttermin:
Heart of Noise Festival
6.6.-8.6.2014 Innsbruck