Broncia Koller-Pinell: »Silvia Koller mit Vogelkäfig«, 1907/08 © Sammlung Eisenberger, Wien
Broncia Koller-Pinell: »Silvia Koller mit Vogelkäfig«, 1907/08 © Sammlung Eisenberger, Wien

»Sie setzte sich ab von Klimt«

Die Malerin Broncia Koller-Pinell wurde nicht von der Wiener Secession aufgenommen, denn Frauen waren lange Zeit ausgeschlossen. Ihre Tochter Silvia studierte in Berlin die Neue Sachlichkeit. Beide kannten Klimt, Schiele und andere berühmte Männer. Ihr eigenes Werk blieb jedoch unterrepräsentiert.

»Was passierte, dass die Malerin Broncia Koller-Pinell derart aus dem öffentlichen Gedächtnis verschwand und nicht in den Kanon aufgenommen wurde?« Diese Frage steht am Beginn der Führung zur Ausstellung »Broncia Koller-Pinell. Eine Künstlerin und ihr Netzwerk«, die noch bis 8. September im Unteren Belvedere gastiert. Große Mobilität und häufige Ortswechsel waren zu Koller-Pinells Zeit die Bedingung, dass eine Frau ihre künstlerischen Fertigkeiten erweitern konnte – denn an den Akademien studieren durften Frauen in Österreich und Deutschland erst spät. Broncia Koller-Pinell übersiedelte von Wien nach München und besuchte die »Damenakademie«. Doch es gab auch noch andere Diskriminierungen: So wurde Koller-Pinell oft vorgeworfen, dass sie die Stilrichtungen ihrer Zeit aufnahm. Doch Gustav Klimt zum Beispiel machte genau dasselbe! Schon seinen Zeitgenossen*innen war bewusst, dass er von modernen Kunstströmungen beeinflusst war. 

1902 kehrte Broncia Koller-Pinell nach Wien zurück, sie bezog eine Wohnung inklusive Atelier an der Wienzeile und es folgten wunderschöne Naschmarkt-Motive. »Eisvergnügen« oder »Erster Schnee« heißen die Bilder vom Naschmarkt, mit bunten Rodeln und kleinen Menschen darauf. In der 1897 gegründeten Wiener Secession herrschte damals absolute Aufbruchstimmung. Klimt erschuf seinen Fries für die Secession, passend zur Beethoven-Ausstellung. Koller-Pinell den »Orangenhain an der französischen Riviera« (1903), mit einer schwebenden Figur und ganz vielen flirrenden Pünktchen, die eine Traumlandschaft am Meer bei Nacht ergeben. Arbeitete Koller-Pinell Klimt ähnlich oder Klimt Koller-Pinell ähnlich? Oder beide mit ähnlichen Tendenzen im Malereistrom ihrer Zeit? Höchstwahrscheinlich letzteres.

Bronica Koller Pinell: »Eisvergnügen« © Landessammlungen Niederösterreich, Freihaus

Unverblümter Japonismus

Damals wollte man Kunst und Leben zusammenbringen, im Sinne eines Gesamtkunstwerkes. Japanische Einflüsse wurden wichtig für die Impressionisten und die Kollers förderten die Wiener Werkstätte finanziell. Broncia Koller-Pinell erschuf Farbholzschnitte im japanischen Stil. Typographie und Druckgrafik erhielten einen hohen Stellenwert in der Secession. Die Secessionisten strebten nach einem gleichberechtigen Zusammenspiel der Kunstgattungen im Sinne eines Gesamtkunstwerks. Als Koller-Pinell ihr berühmtes Porträt der nackten »Marietta« im Jahre 1907 erschuf, war Klimt schon zwei Jahre aus der Secession ausgetreten. Die Klimt-Gruppe hatte mittlerweile die schöne Secession am Wiener Naschmarkt und damit den wichtigen Ausstellungsraum verloren. 

Im Zuge der Kunstschau 1908, die im extra für die Ausstellung entworfenen Gebäude auf dem Gebiet des heutigen Konzerthauses stattfand, rätselte Koller-Pinell dann, warum ihre »Marietta« nicht ausgestellt worden war. Ihr Mann Hugo meinte, eventuell sei ihr Bild »zu nah an Klimt« ­– obwohl Klimts Akte alle allegorisch verbrämt waren. Ihm ging es nie um eine unvoreingenommene Sicht auf Frauen. Broncia Koller-Pinell setzte sich in ihrer unverblümten Darstellung des Modells ohne jegliche Erotisierung deutlich von Klimt ab. Van Gogh beeinflusste Koller-Pinells Schaffen, oder auch Gaugin. 1961 wurde ihr Bild »Die Ernte« (1908) vom Belvedere angekauft, das auf der Kunstschau 1909 ausgestellt worden war. Koller-Pinell wurde dann als Jüdin und als Frau nicht mehr in die Secession angenommen, nachdem sich die Kunstschaugruppe aufgelöst hatte. In die Secession durften Frauen erst ab 1949 (!), obwohl zum Beispiel Elena Luksch-Makowsky schon vorher ausstellen konnte. Der Verlust ihres Netzwerkes führte schon in den frühen 1930er-Jahren dazu, dass Koller-Pinell aus der Öffentlichkeit verschwand. 1934 starb sie.

Silvia Koller: »Die Arbeiterin«, um 1923 © Universität für angewandte Kunst Wien, Kunstsammlung und Archiv, Foto: Dominik Buda

Belebte Natur

Broncia Koller-Pinells Tochter Silvia Koller, deren Ausbildung die Mutter sehr gefördert hatte, bemühte sich dreißig Jahre später um eine Ausstellung der Bilder ihrer Mutter. Silvia Koller zeigte ein großes Talent im Zeichnen und war von Egon Schiele beeinflusst, dessen Ehefrau Edith sie zeichnete. Broncia Koller-Pinell lenkte die künstlerischen Wege ihrer Tochter von frühen Kindheitstagen an stark. Erste Unterweisungen erhält Silvia Koller von Franz Cizek, Koloman Moser oder Adolf Boehm. Am Ende ihres Lebens wird sie resümieren, dass es möglicherweise ein bisschen zu viel Lehrer gewesen sein mögen. Schließlich sucht die Tochter Zugang zur Akademie, den sie bei Karl Hofer in Berlin findet, wo sie beginnt, expressiv und kühl im Stil der Neuen Sachlichkeit zu malen. Stark flächig, aber noch mit Konturierung. Doch auch das Klima in der Hofer-Klasse änderte sich, »da unmögliche Leute, deutsch-völkische Propaganda und Hakenkreuzlertum Einzug gehalten« hätten, schreibt ein Studienkollege. Silvia Koller kehrt nach Wien zurück.

Nach dem Tod der Mutter wendet Silvia Koller sich an den in Prag lebenden Oskar Kokoschka, der ihr in Briefen Ratschläge zu ihrer Malerei erteilt. Kokoschka fand bei Koller Werke zur belebten Natur am wichtigsten, nicht diejenigen zur unbelebten Natur – wie in der Neuen Sachlichkeit propagiert. Eine Dokumentation von Silvia Kollers Gesamtwerk steht noch aus. Sehr schön ist zum Beispiel ihr »Stillleben mit Pflanzen« aus 1924. Broncia Koller-Pinell öffnete sich bis zu ihrem Tod neuen Einflüssen für ihre Kunst. So lassen erhaltene Briefe darauf schließen, dass sie mit sechzig Jahren noch Unterricht bei der jungen Wiener Kinetistin Erika Giovanna Klien nahm. Silvia Koller hingegen studierte in den 1950er-Jahren Restaurierung, um sich einen Lebenserwerb zu ermöglichen, nachdem ihr Vater in den 1940er-Jahren gestorben war. »Erst durch Kokoschka habe sie zu sich selbst gefunden, stellte Silvia Koller im Vorwort ihrer Personale 1964 fest«, steht im Katalog.

Silvia Koller: »Stillleben mit Pflanzen«, 1924 © Universität für angewandte Kunst Wien Kunstsammlung und Archiv, Foto: Dominik Buda

Link: https://www.belvedere.at/broncia-koller-pinell 

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