Wirklich Hardcore und wohl freudianisch in der aktuellen »Dalí–Freud«-Ausstellung im Belvedere ist der Film von Louis Bunuel, der Dalís Vater beim riesigen Seeigel-Killen und -Essen zeigt. (»Vier Minuten«, 1930). Mit einem Messer schneidet Dalí Senior die stacheligen schwarzen Tierchen gekonnt auseinander und einverleibt sich das Innere. Im Hintergrund des Films eine verlegen lächelnde Dalí-Mutter, die bereits starb, als ihr Sohn Salvador 17 Jahre alt war. »Ich musste, um Dalí zu werden, meinen Vater Dalí y Cusi auf dem psychoanalytischen Alter opfern«, behauptete Salvador Dalí, der den Vornamen seines Vaters vererbt bekam, später.
Eine lange, rot ausgekleidete Schachtel, so sieht der Ausstellungsraum im Unteren, frisch renovierten Belvedere aus. Die relativ kleinen Dalí-Bilder hängen in der Mitte auf Stehern, das Licht kommt von oben. Als der Vater den Sohn unwiderruflich verstößt, weil dieser sich in die zehn Jahre ältere, verheiratete Gala verliebt hat, schneidet sich der Sprössling alle Haare ab und versenkt sie in einem Loch mit Seeigelschalen am Strand – das Meerwasser, das in der Psychoanalyse für Kreativität steht, spült die Schalen weg.
An Vorhänge geklammert
Der Untertitel der Belvedere-Schau lautet treffenderweise »Eine Obsession«. Dalí imaginiert Freud, der »die ganze Nacht an die Vorhänge geklammert« bei ihm bleibt. Im Hotel Sacher, in dem Dalí während seines Wien-Aufenthaltes wohnte. Die Traumdeutung erscheint Dalí als »die Hauptentdeckung seines Lebens«, eine »Bewusstmachung verborgener Konflikte«. Freud hingegen kommt nicht ganz klar mit diesem wilden spanischen Maler und seiner Vorliebe für ihn: »Vielleicht bin ich durchaus nicht dazu geschaffen, Surrealismus zu verstehen, wo ich doch von der Kunst so weit entfernt bin.« Was für ein trauriges Statement von einem Mann, der auf seinem Schreibtisch bekanntlich lauter kleine afrikanische Götterstatuen stehen hatte! Zu seinem Schutz?
Dalí will Freud von seiner »paranoisch-kritischen Methode« überzeugen. Aber seine streng freudianische Schaffensperiode geht mit dem ersehnten Treffen Freuds in London zu Ende. Die freudianische Realität des Exils und des Verlusts hat Dalí quasi eingeholt. Freud war gerade vor den Nazis geflohen und starb bald nach dem Besuch schwer krebskrank. Vor dieser Zeit malt Dalí das Bild »Die Geburt der flüssigen Angst« (1932) oder auf Holz »Der Alarmzustand« (1934). Das Bild »verbreitet eine düstere Stimmung, die zahlreiche Bilder aus jener Zeit realer politischer Spannungen in ganz Europa ausdrücken«, steht an der Wand.
Archetypische Fluchtlinien
Dalí sah Freuds Schädel als eine Schnecke, »das ist das morphologische Geheimnis Freuds«. Die Bildsprache von Träumen war Dalí immens wichtig. »Tagsüber suchen wir unbewusst die verlorenen Bilder der Träume«, meinte er einmal. Anklänge an eine »Trauma-Bildsprache« – so beschrieben nach dem Künstler Taysir Batniji aus dem Kunstbuch »TASWIR – Islamische Bildwelten und Moderne« (nicolai 2009) – sind bei Dalí klar zu erkennen: Ob Salvador Dalí Sigmund Freud auf einem Porträt mit einem leeren Auge wie ein abgrundtiefes Loch darstellt (»Bildnis Sigmund Freud«, 1937 Figueres), Menschen, oft von hinten, sich entfernend, zeichnet oder die Methode des »Bildes im Bild«, in der Ausstellung »Kippbilder« genannt, anwendet – das sind frei nach Batniji alles Elemente einer Trauma-Bildsprache.
Der Traum als ein ideeller Raum, ein Raum, in den man nicht eindringen kann, der unzugänglich ist. Träume stellen bei Dalí – frei interpretiert – eine Art archetypische Fluchtlinien dar, denen es gelingt, fest geronnene Schichten aufzusprengen und eine neue Sicht der Wirklichkeit zu etablieren. »Ohne hierbei den Kräften der Unterdrückung und Verkrustung zu erliegen, die von dieser Wirklichkeit ausgehen«, wie Batniji in Bezug auf seine eigene Kunst behauptete.