Vom britischen Philosophen Alfred N. Whitehead stammt der Befund, die philosophische Tradition Europas sei am sichersten als »eine Reihe von Fußnoten zu Platon« zu charakterisieren. Analog zugespitzt ließe sich die Tradition des Heavy Metal samt der Genese seiner Subgenres als eine Reihe von Variationen zu Black Sabbath verstehen. Es ist kein retrospektiv verklärender Gründungsmythos, »Black Sabbath«, den Opener und Titelsong des Anfang 1970 erschienenen Debüts, sowohl als prototypischen Heavy-Metal- als auch ersten Doom-Metal-Song zu bezeichnen. Und dass Songs wie »Children Of The Grave« (1971) oder »Symptom Of The Universe« (1975) die Entwicklung der New Wave Of British Heavy Metal zu Speed und Thrash Metal der 1980er beeinflussen sollten, war zum Zeitpunkt ihres Erscheinens noch gar nicht absehbar gewesen. Es waren also nicht nur Lippenbekenntnisse, wenn viele der erfolgreichsten Metal-Acts, von Metallica und Slayer abwärts, Ozzys Tod betrauerten und zuvor beim letzten Black-Sabbath-Konzert am 5. Juli 2025 ihren Vorbildern Tribut gezollt hatten. Auffälligerweise fehlten bei diesem Bandmarathon aber Musiker*innen (und Musikerinnen im Allgemeinen) aus den Genres, die das Sabbath’sche Erbe in den letzten 40 Jahren am intensivsten inhaliert, tradiert und weiterentwickelt haben. Die folgende Playlist lädt ein, sich diese ebenso wie die Originale reinzuziehen. The Summer of Sabbath is on!
Saint Vitus: »The War Starter« (1986)
Wann immer von der Ausdifferenzierung der Metal-Subgenres die Rede ist, muss für den Doom Metal neben Pentagram, Trouble und Candlemass das nach Sabbaths »St. Vitus Dance« benannte Quartett aus Los Angeles angeführt werden. Saint Vitus wird zurecht die Definitionsmacht zuerkannt, die doomige Essenz aus dem Sound und den Inhalten der ersten vier Sabbath-Alben extrahiert zu haben: minimalistisch, pessimistisch, roh (frevelhaft gelesen als »stumpf«). Eine produktive Anomalie, mit Retro-Sound schließlich innovativ gewesen zu sein. Vitus passten weder in die Sleaze-/Glam- noch in die Speed-/Thrash-Metal-Szene. Sie veröffentlichten auf SST, dem sich stilistisch diversifizierenden Label von Black Flag. Vitus und Flag beeinflussten sich in ihren Slo-Mo-Exkursionen wechselseitig. »Heavy qua heavy« nannte das SST-Mitarbeiter Joe Carducci. Verglichen mit Sabbath hatten Vitus mit der Stimme von Scott Reagers quasi zuerst ihren Dio als Frontman. Vitus’ zweiter Sänger Scott »Wino« Weinrich, der für diese Stelle seine Band The Obsessed aus Washington, D.C. auf Eis gelegt hatte, sollte in der Doom-Szene allmählich Ozzy-ähnlichen Legendenstatus erlangen. Das Album »Born Too Late« gilt als Opus magnum. Ein Bekenntnis zum Außenseitertum inmitten von Outsider-Szenen, gefühlte zehn Jahre zu spät in einer feindseligen Musikwelt unterwegs. Der Closer »The War Starter« lässt sich schauderhaft aktuell jeder Anti-Kriegs-Playlist mit Dylans »Masters Of War« und Sabbaths »War Pigs« hinzufügen.
Butthole Surfers: »Sweet Loaf« (1987)
Bad acid, good acid, you decide! Die fünf Freaks aus Texas konsumierten so ziemlich alles, was sich ihnen an bewusstseinserweiternden Substanzen anbot. Süß waren maximal die Rauchwaren, gesund nur ihre Respektlosigkeit vor jeglichen Geschmacks- und Genregrenzen, die ihnen u. a. Hardcore-Punk auferlegt hatte. Mit dem Album »Locust Abortion Technician« surften die Buttholes ganz oben auf der Kreativitätswelle. Zwischen Verarsche und Verneigung, jedenfalls weit weg von konventionellem Metal, forciert »Sweet Loaf« das Repetitive des »Sweet Leaf«-Riffs. Gibby Haynes legt überdrehte Vokaleffekte darüber. Das Drum-Duo King Coffey und Teresa Nervosa hält den Beat am Boden. Eine Herangehensweise, die mit billigem Studioequipment auch schon auf elektronische Soundästhetiken verweist. Zu Beginn erteilt eine besserwisserische Vaterstimme den Ratschlag: »Well son, a funny thing about regret is it’s better to regret something you have done than to regret something you haven’t done.« Daran haben sich sowohl Ozzy als auch Gibby (still alive!) ein Leben lang gehalten.
Steel Pole Bath Tub: »Paranoid« (1990)
Das beste »Paranoid«-Cover, das ich je live zu spüren bekommen hatte, wurde von diesem Trio aus San Francisco mit explosiver Intensität zelebriert. Steel Pole Bath Tubs eigenwilliger Mix aus Post-Hardcore und Noise Rock schaffte das Kunststück, selbst diesem von unzähligen Schulbands und sonstigen Coverpartien arg abgenützten Rock-Standard etwas Frisches, ja Gefährliches abzuringen. So war’s 1970 mal gemeint gewesen – bevor der Hund von Baskerville in Erscheinung trat (mehr dazu weiter unten). Steel Pole Bath Tub sind vermutlich ziemlich in Vergessenheit geraten. Auf Boner Records, wo auch die EP »Lurch« erschien, waren sie Labelkollegen der Melvins. Und 1991 veröffentlichte Jello Biafra mit ihnen und Charles Tolnay als Tumor Circus ein fantastisches Album und eine Single.
Sleep: »Volume Two« (1992)
Wo hört Doom Metal auf und Stoner Rock beginnt? Saint Vitus hin, Kyuss her, »Sleep’s Holy Mountain«, das zweite Album der aus dem kalifornischen San Jose stammenden Sleep, gilt nicht wenigen als heiliger Gral der Riff-Kunst. Oder ist es doch eher das dritte One-Track-Album »Jerusalem« aka »Dopesmoker«? Debütiert hatte die Band von Al Cisneros und Matt Pike jedenfalls mit »Volume One«. Es folgte diese EP mit dem vielsagenden Titel »Volume Two«. Das Cover wiederum ist eine klare Kopie von Sabbaths »Volume Four«. 1992 veröffentlichten auch Peaceville Records ihren vierten Labelsampler mit gleichem Coverdesign. Urheberrechtliche Streitigkeiten gab’s offenbar keine. Sleeps EP beginnt stimmigerweise mit einer Live-Coverversion von »Lord Of This World«. Und für nicht ganz eingeweihte Ohren könnten sich danach die zwei Sleep-Originale wie ein verschollener Sabbath-Track anhören. Typischer Stoner-Effekt.
Cathedral: »Midnight Mountain« (1993)
Feel the groove! Der junge Lee Dorrian war wahrscheinlich der Frontman, der dem jungen Ozzy am ähnlichsten sah und dessen Gestik inklusive den charakteristischen Handclaps am hingebungsvollsten imitierte. Ein Fan, der 1989 die schnellste Band des UK verließ, um die langsamste zu gründen: von Napalm Death zu Cathedral. Auf dem Debüt »Forest Of Equilibrium« zerdehnten sie depressiven Slo-Mo-Doom. Das zweite Album »The Ethereal Mirror« öffnete sich ungleich lebensbejahender rockigeren Grooves und Moves; wiederum eine Sabbath nicht unähnliche Soundentwicklung. Im trashigen Video von »Midnight Mountain« geht’s per fliegendem Teppich glamrockig bunt in die groovy Retro-Disco. Auf Cathedrals drittem Album »The Carnival Bizarre« hinterließ Tony Iommi nach einer gemeinsamen Tour eine Gitarrenspur. Lee Dorrian blieb auch nach dem Ende von Cathedral 2013 mit seinem Rise Above Label eine wichtige Anlaufstelle für Bands der Neigungsgruppe Sabbath.
Bullring Brummies: »The Wizard« (1994)
Bullring wer? Auf dem Sabbath-Tribute-Sampler »Nativity in Black« findet sich inmitten bekannter Namen diese interessante Kollaboration, die allerdings einmalig bleiben sollte: Geezer Butler und Bill Ward machten gemeinsame Sache mit ihrem alten Birminghamer Bekannten Rob Halford. Der mimte gerade nicht bei Judas Priest den »Metal God«, sondern war mit seinem Soloprojekt Fight unterwegs. Bei den Brummies spielten an den Sechssaitern Fight-Gitarrist Brian Tilde und – Scott »Wino« Weinrich! Es war also nicht nur ein Treffen der Generationen, sondern auch ein besonders seltenes von etablierten, vermögenden Musikern mit jemandem aus dem Underground, der mehr oder weniger von der Hand in den Mund lebte. Wino hatte Saint Vitus 1990 in einer Nacht- und Nebelaktion verlassen, um The Obsessed mit neuen Mitstreitern zu revitalisieren. »Lunar Womb« und »The Church Within« wurden zu Meilensteinen der Sabbath-beeinflussten Riff-Kunst, die Wino bis heute praktiziert. Die Zauberei der Bullring Brummies währte hingegen nur einen Song lang.
Eyehategod: »Sabbath Jam« (1997)
Doom und Dreck, Schlamm und Sludge: Von Sabbath aus führte ein Weg über die entschleunigte Seite des Hardcore-Punk von Flippers »Generic« und Black Flags »My War« bis tief in die Sümpfe Louisianas. Ende der 1980er-Jahre ging Eyehategod als prägendste Sludge-Metal-Band aus dem Morast von New Orleans hervor. Kriechender Krach, schmierig-verschleppte Tempi, fiese Breaks. Eine nihilistische Weltsicht artikulierten nicht nur die Texte. Allen voran Sänger Mike IX Williams »arbeitete« autodestruktiv; und das nicht in bloßer Lifestyle-Teilzeit. Was sich über Ozzy zum Teil anekdotisch irrwitzig kolportieren lässt (v. a. mit dem retroaktiven Wissen, dass er es ja immer wieder geschafft hatte), entbehrt bei Williams jeglichen Glamours. Dank einer geglückten Lebertransplantation, für deren Finanzierung es 2016 auch des Fan-Crowdfundings bedurfte, steht Williams nach wie vor auf der Bühne. Möge auch er die 76 überschreiten! Eyehategods Jam wurde ursprünglich für eine Single auf Hydra Head Records aufgenommen und ist auch auf dem Compilation-Album »Preaching The ›End-Time‹ Message« (2005) zu finden.
Busta Rhymes: »This Means War!!« (1998)
Metal und HipHop, East Coast oder West Coast? Auch beim Aufeinandertreffen dieser Popkulturen spielte das Sabbath’sche Vermächtnis eine Rolle. Schon die Beastie Boys sampelten das Gitarrenriff von »Sweat Leaf« auf dem Opener ihres Debüts. Cypress Hills zweites Album »Black Sunday« sendete erfolgreiche Rauchsignale Richtung Crossover-Publikum. Und Busta Rhymes, damals einer der spannendsten Reimschmiede, knöpfte sich 1998, dem Jahr im Zeichen der ersten längeren Sabbath-Originalbesetzungs-Reunion, »Iron Man« vor. Als Basic Track sicher nicht die originellste Wahl, sind es Bustas Wortkaskaden, die Strophe für Strophe den Rhythmus so richtig fresh voranpeitschen und auf Ozzys wohlbekannten Refrain treffen. Busta freute sich riesig, dass es ihm gelungen war, auf einem Album sowohl Ozzy als auch Janet Jackson zu featuren. Woo Hah!! Ozzy selbst traf noch auf seinem vorletzten Soloalbum »Ordinary Man« (2020) auf die Rapper Post Malone und Travis Scott.
Church Of Misery: »Der Hund von Baskerville« (2009)
Diese Coverversion der japanischen Sabbath-Style-Spezialisten Church Of Misery ist das ultimative Nerd-Fressen! Mehr an glokaler popkultureller Aneignung in Sachen Sabbath geht nicht. Es zählt sicherlich zu den skurrilsten Begebenheiten, die mit Sabbaths Musik zu tun haben, dass ein deutsches Schlagerduo namens Cindy & Bert 1971 »Paranoid« coverte. Allerdings wurden Geezer Butlers Lyrics nicht einfach ins Deutsche übertragen, sondern ein völlig neuer, trashiger Text in Anlehnung an den Sherlock-Holmes-Roman »Der Hund von Baskerville« erdichtet. Die lange Zeit nur noch auf Flohmärkten gehandelte Single – manche hielten die Existenz dieses Songs schon für eine Urban Legend – zählt heute freilich zu einem begehrten Sammelobjekt. Sprung nach Japan, wo sich auch für die abwegigsten Obskuritäten Europas stets Fans finden. Church Of Misery, die sich in ihren Veröffentlichungen nahezu monothematisch Serien- und Massenmördern widmen, taten dies auf ihrer »Greetings From Jonestown«-EP mit Bezug auf Sektenführer Jim Jones. Der Overkill folgt allerdings auf Seite B: Church Of Misery covern nicht »Paranoid«, sondern die »deutsche Version« und toppen das noch mit einem deutschen Schlageroriginal: Drafi Deutschers »Marmor, Stein und Eisen bricht«.
Electric Wizard: »Legalise Drugs & Murder« (2012)
Eine EP, ein Songtitel, eine Forderung. Macht sich besonders schick auf T-Shirts der Band. In den 1980ern hätten die US-amerikanischen Sittenwächter*innen der selbsternannten Moral Majority wohl gerne Ozzy & Co. solch Parolenprosa als ernstgemeinte Lizenz zum Töten unterstellt. Der Name der seit 1993 aktiven Band, die gewissermaßen den »Dopethrone« des britischen Doom innehat, setzt sich, wie unschwer zu erraten ist, aus den Sabbath-Songs »Electric Funeral« und »The Wizard« zusammen. Das Cover ist freilich eine Hommage an »Master Of Reality«. Der Schlussrefrain des Songs wiederholt zwölfmal »Children Of The Grave«. Electric Wizards bislang letztes Album von 2017 trägt den originellen Titel »Wizard Bloody Wizard«.
Melvins: »Sabbath Bloody Sabbath« (2018)
Wer mit Ozzy den Familiennamen (bis auf ein »u«) teilt, kann sich auch einen Vornamen mit »zz« zulegen. Buzz Osborne aka King Buzzo, Dale Crover und eine Legion an Bassist*innen haben in den letzten 40 Jahren inmitten des eigenen Werks unzählige Coverversionen live gespielt und aufgenommen. Als kleinster gemeinsamer Nenner an Einflüssen wurden einmal sinnigerweise die zwei »Blacks«, Black Sabbath und Black Flag, genannt. Auf einer Melvins-/Mudhoney-Bootleg-Single von 1989 gab es eine punkig beschleunigte Version von »Symptom Of The Universe«. »Into The Void« hatten sie auch mal in ihrem Set. Die Melvins sind neben einem regelmäßigen Output an Alben für Ipecac auch für zahlreiche Single-Veröffentlichungen auf Tom Hazelmyers Amphetamine Reptile Records bekannt. Für »Sabbath Bloody Sabbath« luden Buzz und Dale Sleeps bzw. Oms Al Cisneros ein. Haze besorgte das Cover-Artwork. Wer schon Kiss-Songs heavy wie Sabbath-Originale klingen lassen kann, schafft es auch mittels präziser Verschiebungen, diesem Sabbath-Klassiker noch eine Tonne Heavyness hinzuzufügen.
Earth: »Datura’s Crimson Veils« (2019)
Als Dylan Carlson 1989 Earth ins Leben rief, wusste er vermutlich, dass sich auch Black Sabbath vor jener Namenswahl für kurze Zeit ganz bodenständig Earth genannt hatten. Mit Carlsons Earth wurde Doom nochmals minimalistisch reduziert zu Drone. Und so führt eine Traditionslinie von »Extra-Capsular Extraction« (1991) und ganz besonders »Earth 2« (1993) zu den wohl bekannten Dröhnungen von Sunn O))). In den letzten 20 Jahren hat Carlson gemeinsam mit Drummerin Adrienne Davies eine andere musikalische Entwicklung eingeschlagen. »Datura’s Crimson Veils«, der 12-minütige Opener ihres letzten Albums »Full Upon Her Burning Lips«, zeigt exemplarisch, wie sich Intensität und repetitive Langsamkeit auch ohne Volume-Overkill artikulieren können; wie sich der Sabbath’sche Geist auch in ein fein gesponnenes Klanggewand kleiden lässt.
Acid King: »Destination Psych/Beyond Vision« (2023)
Auch diese Liste bezeugt die cis-männliche Dominanz in der Sabbath-Nachfolge. Dass diese jedoch nicht zu einer ausschließlich breitbeinigen Bruderschaft verkommen konnte, dafür sorgten schon Musikerinnen wie Lori »Lorax« Black als Melvins-Bassistin und »die andere« Lori. Der Acid King ist in Wahrheit eine Acid Queen. Sängerin, Gitarristin, Hauptsongwriterin Lori S. führt die Band seit 1993 an. Eine EP hieß usurpatorisch »Down With The Crown«; erschienen auf Man’s Ruin Records, dem Label des legendären Grafikers Frank Kozik (1962–2023). Zwischen Veröffentlichungen lagen zwar mehrmals etliche Jahre, aber das Warten lohnte sich. Acid Kings letztes Album »Beyond Vision« ist vielleicht ihr überzeugendster Trip in sieben Dosen bzw. Tracks geworden. Die psychedelische Vision, die sich nach Belieben bis Sabbath und Hawkwind zurückverfolgen lässt, weist mit Loris halluzinatorischer Stimme auch in eine Zukunft, in der diese mächtige Musik weiterhin geliebt und gespielt werden wird.











