Kaum hat man sie vermisst, weil der gediegene Longplayer »Delhi 9« (2003) noch gar nicht so lange her ist, wie man das beim gemütlich-konsequenten Produktionstempo von Rupert Huber (38) und Richard Dorfmeister (37) vermuten würde, da kommen sie auch schon wieder mit neuen Babys in die Plattenläden.
Zwischenzeitlich sind die beiden Edelgroover nicht nur musikalisch Papa geworden. Die Namen der drei Buben Joshua, Arthur und Conrad ergeben die Initialen des Albumtitels »J.A.C.«. So einfach ist das bei Tosca. It’s a family thing.
Das Projekt Tosca hat Zeit seiner Anwesenheit in der Lounge Music-Sparte für viele Musikliebhaber, die das Genau-Hinhören nicht verlernt haben, durchwegs eine Ausnahmeposition besetzt. Zunächst Mitte der Neunziger als überraschendes Inside-Out- Projekt der Wiener Klang-Konditorei G-Stone mit »Opera« (1997) und den dazugehörenden »Fuck Dub«- und »Chocolate Elvis«-Remix Alben.
Das kuriose, virtuelle Opernhaus von Huber & Dorfmeister hatte Samplegäste wie Hobbykoch und Starkomponist Giacomo Puccini, Poeta Laurea der Gegenkultur Jim Morrison und einen auf Crack durchgeknallten New Yorker Straßenmusikanten mit untrüglichem Rhythmusgefühl und dem dringenden Bedürfnis nach Hawaii-Urlaub. Zudem sorgte die Vertrautheit des Sounds von Kruder und Dorfmeister mit seinen spleenigen Rhodes-Schlieren, geheimnisvollen Echo-Parcours, tightesten Rhythmusspuren, mörderischen Subbässen und campen, subkulturellen Andeutungen von allem was im Sinne der Beatgeneration cool ist, für ein Hörerlebnis mit psychoaktiv erhöhtem Wiedererkennungswert. »Opera« war eine Allwetter-Platte, deren Charme man trotz zigmaligem Abspielen immer wieder neue Nuancen und Stimmungsbilder abgewinnen konnte. Außerdem war sie, ähnlich wie das Gotan-Project ein »Sure Thing«: Im Freundeskreis gab es niemanden, der etwas in Richtung »Was is’n das für ein fader Schas!« sagte oder dachte. Wir waren bezaubert.
Das meiste was sich nach diesem Superchiller im Fahrwasser der »Dub Couture« (Copyright Werner Geier) entwickelte, war entweder zu flach oder zu abstrakt, um dem Vergleich mit dem organisch komplexen Flow von Tosca standhalten zu können.
Will man legitime geistige Verwandtschaften erkennen, sollte man sich eher bei Konzeptkünstlern oder Designern wie Gabriel Orozco, Yoko Ono, Marti Guixé oder Yohji Yamamoto umsehen, als bei »Future Jazz 1-99«, Thievery Corporation oder dem gedopten Rechtsanwalt Klaus Waldeck .
Mag sein, dass dies mit der akademischen Ernsthaftigkeit von Rupert Huber zusammenhängt, der in seiner klassischen Ausbildung elektroakustische Kompositionen und ausgefeilte Filmsoundtracks (»Schwimmer in der Wüste«) als klanggestalterisches und harmonisches Handwerk zu entwerfen gelernt hat. Zum anderen ist da der Dorfmeistersche Instinkt für die physische Wirksamkeit des Funk, gepaart mit einem smarten Verständnis für die Hör- und Bewegungsbedürfnisse von urbanen (und vor allem weiblichen) Clubgängern: Tosca war immer schon Musik für die Ladies.
Man kann über die Discjockey-Fähigkeiten von Richard Dorfmeister sagen was man will, (wer weiß was ich damit meine, kann in Hans Platzgumers Biographie »Exkursion« schmökern, in der er sehr treffend beschreibt, wie Dr. Rich eher ein eklektischer Plattenaufleger à la Gilles Peterson ist, als ein Groovetunnel-Architekt – wie Peter Kruder) aber als Producer kann ihm kaum einer so schnell das Kirschblütenwasser reichen.
Einerseits sind es die Bausteine der Klangstrukturen, die jeder für sich genommen etwas erlesenes und mesmerisierendes haben: Jeder einzelne Sample, jedes Geräusch-Snippet im Tosca-Repertoire ist für sich genommen pur, wie die Worte es bei Rimbaud oder Rilke sind – sie strahlen zugleich frische Unbedarftheit und weise Zeitlosigkeit aus und klingen auch im Endlosloop wohltuend und einnehmend. Was dabei mit leichter aber bestimmt geführter Hand ins musikalische Spiel gebracht wird, ist die Reinheit der Absicht. Im Grunde also eine Abwesenheit von Absicht, wie im Zen.
Schon der Longplayer »Suzuki« aus dem Jahr 2000 war nach dem verschmitzten, erleuchteten Meditationsmeister Shunryu Suzuki benannt. Suzuki war in den Sechzigern von Japan nach Kalifornien gekommen, um in Los Altos und in Esalen an der Pazifikküste Zenmeditation einer aufbrechenden Generation von jungen Amerikanern nahezubringen. Der Sound von »Suzuki« ist in diesem Zusammenhang also eher kalifornisch als mitteleuropäisch, eher pazifisch als danubisch, eher Gary Snyder als Hugo von Hofmannsthal, überall auf der Welt behaglich anzuhören und dabei so sexy wie ein Nabokovscher Kindergeburtstag.
Und das ist es auch was Tosca von allen übrigen Schmoove-Partien abhebt – der poetisch elegante und artistisch fundierte Bezug zur Leichtigkeit der schwebenden Einzelpartikel, als auch der emotionale Tiefgang eines kosmischen elektronischen Blues. Und natürlich Groove von den Zehenspitzen bis zu den Haarwurzeln.
Dieser Ansatz wird auf der neuen Platte zwar nicht revolutioniert, aber konsequent fortgeführt. »j.a.c.« versammelt zwölf Titel, die nicht nur wiederum mit sehr hübschen Worten bekleidet sind (»Naschkatze«, »Pyjama«, »John Lee Huber«) sondern auch mit gewohnt verwöhnender Eindringlichkeit und präraffaelitischer Grazie aus den Boxen pulsieren:
»Rondo Acapricio« ist ein Gedicht in Mandarin. Der Beat rollt, das ist mal klar, dank eines geschmeidigen Basslaufes mit viel Sattheit in den Subfrequenzen, einem Hauch von Grace Slick wegen dem Tamburin und exakt dem richtigen Tempo für einen guten Morgen. Auf Track 2 singt die franko-tunesische Rastaprinzessin Samia Farah über einem simplen Jazztune mit einem Timbre, das unaufdringlich an die Wärme Nina Simones erinnert. Gewidmet ist das Stück Heidi Brühl, dem süddeutschen Schlager- und Musical-Starlet mit Las Vegas-Erfahrung.
»Superrob« geht an Ibiza-Flüchtling Rob Gallagher a.k.a. Earl Zinger (Galliano), der seine rostigen Trademark-Stimmbänder, wie schon in der ersten Zusammenarbeit »Wonderful« auf Delhi 9, voll des Weltschmerzes zur Maultrommel vibrieren lässt. »John Lee Huber« featured Chris Eckman von den Walkabouts und »Pyjama« einen düsig dahingejazzten Walking Bass. »The Big Sleep« ist ein Hörspiel noir mit White Stripes-Anklängen, Ober-Flughund Graf Hadik an den Vocals, einer Faser-Gitarre wie eine verschleppte Grippe und als Premiere bei Tosca – einem Bläsersatz.
»Damentag« mit Birmingham-Urgestein Farda P (Rocker’s HiFi), den man zuletzt auf dem unwiderstehlichen Noiseshaper-Hypnotizer »Good enough for me« toasten hören konnte, ist die erste Singleauskopplung des Albums. Naschkatze funktioniert als verspultes Ambientstück im Rückwärtsgang Richtung Zürichersee(»Züri«), wenn die Abendsonne über dem See brilliert und »Sala« besteht aus dem Nougat, der bereits im Foyer von »Opera« verteilt wurde – zusammen mit dem Opener möglicherweise der »typischste« Tosca-Track auf »j.a.c.«: leicht verweht, gestoned, positiv. »Forte« bringt den selben Effekt, nur eben forcierter und »No More Olives« entlässt den Hörer in eine gläserne, fast schon herbstliche Kühle.
Aber noch hat der Sommer kaum begonnen und wenn er so heiß wird, wie die Meteorologen verkünden, bietet »J.A.C.« genügend Coolness, um die Zeit zwischen den glühenden Mittagen und der erlösenden Kühle der Nacht zärtlich »umzubringen« und jenes bestimmte Gefühl dankbaren Anwesendseins zu genießen, wenn auch kein anderer Grund dafür vorhanden sein sollte als der, dass die Musik gerade wirklich schön zum Moment passt:
Zeit für ein paar gemütliche Runden Achterbahn in angenehmer Begleitung, um anschließend im Riesenrad mit einem eisgekühlten Glas Mango di Bango in der Hand den Wind im Rücken zu spüren.
Tosca: »J.A.C.« (G-Stone/Soul Seduction, Juni 2005)