Erstaunlich viele Bilder zeigt das Jüdische Museum Wien in seiner derzeitigen Ausstellung »Genosse. Jude. Wir wollten nur das Paradies auf Erden«. El Lissitzky! Friedl Dicker-Brandeis! Man könnte sie fast für eine der bilderreichsten Ausstellungen in diesen Räumlichkeiten halten. Nur William Kentridge nahm im Museum Moderner Kunst in Salzburg mit noch mehr neuen, in seinem Fall selbst geschaffenen, Bildern zu Leo Trotzki Stellung. Sonst dominiert doch meist das Wort, wenn es um Kommunismus geht. Hier nicht – sehr schön, wenn die Gestaltung der Ausstellung, die Ausstellungsarchitektur so wichtig genommen wird. »Eine grafische Sprache, angelehnt an die avantgardistischen Formen von El Lissitzky und Otto Neurath führt durch die Ausstellung«, steht an der Wand. Rostrot, blutrot, leuchtend rot, triumphrot … Den Leitfaden zum Thema »Rot« und die Erklärung zu Beginn sollte man unbedingt beachten: Hellrot unterlegt sind nämlich die Ausstellungsanteile mit Bezug zur Geschichte der Juden und Jüdinnen in der Sowjetunion, weinrot die der jüdischen AktivistInnen in Österreich. Denn sonst wird der Parcours schnell unübersichtlich und man verliert sich im überfüllten Ausmaß an Informationen und »Spotlights«.
Aufblitzende Spotlights
Rosa Luxemburg teilte die Welt in zwei Nationen, steht gleich am Eingang: in die der Ausbeuter und die der Ausgebeuteten. Für sie gab es sowieso nur zwei Religionen: die des Kapitals und die der Arbeit. »Die Frage meines Judentums bekam erst mit Beginn der politischen Hetze gegen mich Bedeutung«, schrieb Leo Trotzki in seiner Biografie. Leider steht nicht mehr an Erklärung da. Und noch so ein Beispiel für einen losgelösten vereinzelten Satz an der Wand: »Trotzkis Idee der permanenten Revolution wurde Mitte der 1920er-Jahre durch Stalins Doktrin vom Sozialismus in einem Land abgelöst.« Diese Informationshäppchen als Beispiele zeigen, wie sehr es in so einer Ausstellung nur um Spotlights gehen kann, um kurze Beleuchtungen von in Wahrheit umständlichen Ausgangslagen und ausführlichen Situationsanalysen. Dazwischen Bilder, Plakate, Zeichnungen, Architekturmodelle. Fahnen. Fotos vom Aufmarsch der Arbeitslosen, eine Arbeitslosenzeitung. Pappfiguren, die Bios von Menschen beschreiben. Nächster wichtiger Satz an der Wand: »Nazis verbreiten in ihrer Propaganda die Idee der jüdisch-bolschewistischen Weltherrschaft« – eine antisemitische Vorstellung, die leider bis heute anhält und immer wieder aus der Schublade gezogen wird (siehe Viktor Orbáns Hetze gegen George Soros). In dieser extrem verdichteten »Ein-Satz-Sprache« geht es weiter: »Auf Befehl Stalins konnten rund zwölf Millionen Juden rechtzeitig evakuiert werden.« Oder: »In der Sowjetunion war die Thematisierung der Shoah nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs ein Tabu.« Warum, wieso, weshalb? Mit welchen Folgen für die Betroffenen? Für die Gesellschaft? Keiner da zum Fragen. Die Aufsicht, die still ihre Runden zieht, kann man schlecht in seine inneren Diskussionen einbeziehen. Die anderen BesucherInnen? Aber deren innere Diskussionen sehen garantiert anders aus. Die sind mit sich selbst beschäftigt. Es fehlt jemand Interessierter und Informierter zum ernsthaft »Quatschen«, Nachfragen und Diskutieren. Für mich persönlich z. B. über eine Erinnerung an meine ersten KommunistInnen, die ich als Kind in Kärnten kennenlernte und die gegen die Nazis gekämpft hatten. Ein Hauptpunkt: Es wurde viel und ständig geredet.
Nacht der ermordeten Poeten
Der Inhalt von zwei Glastischchen dokumentiert beinahe allein den Widerstand der KPÖ gegen die Nazis in Österreich. »Die KPÖ zahlte einen hohen Blutzoll im Widerstand. Doppelt gefährdet waren jüdische Genossen.« Viele wurden ermordet. Auf einer Schautafel steht: »Im Kampf gegen den Nationalsozialismus, für die Befreiung Österreichs und in der Kulturpolitik des Exils machten sich vor allem Kommunisten verdient.« Dann flott die nächsten spannenden Spotlights: »Die IKG war mit ihrem Präsidenten David Brill bis 1948 kommunistisch geprägt.« Oder, hellrot unterlegt: »Der einzige sowjetische Film, der sich mit Antisemitismus auseinandersetzte, war ›Prof. Mamlock‹, 1938 von dem Wiener Juden Herbert Rappaport gedreht, der sich dann nach Hollywood absetzte.« Auch über die Ausstellung »Niemals vergessen«, 1946 im Wiener Künstlerhaus, würde man gerne mehr erfahren, oder über die »Nacht der ermordeten Poeten«, als in einer Nacht dreizehn jüdische Schriftsteller auf Befehl Stalins hingerichtet wurden.
Im nächsten Raum folgt schon die Neuorientierung nach dem Tod Stalins 1953: »1956 erschien erstmals wieder ein hebräisches Gebetsbuch in der Auflage von 3.000 Exemplaren.« Wie Religion und Ideologie wohl zusammenpassten? Oder auch nicht? Wie sah jüdische Sozialisation aus? Viele sowjetische Juden, »die im Geist des Kommunismus ohne Bindung an Religion und nationale Herkunft« gelebt hatten, »machten sich auf die Suche nach ihrer verlorenen jüdischen Kultur und Tradition« und wanderten nach Israel aus. Am Ende der Ausstellung finden sich dann endlich einige Interviews, in denen Betroffene über ihre Ambivalenzen, Überraschungen, Ideen und das reale Leben sprechen. So lacht Gennadi Kagan über die »schlampigen, großzügigen und mitfühlenden Russen«, die sich »nicht solche Erniedrigungen ausgedacht« hätten wie die Deutschen. »Russland ist ein Rätsel.« Oder Nina Jakl erzählt, wie schwer es ihr fiel, in einer Wohnung alleine zu leben, da sie als Kind in einer Kommunalwohnung groß geworden war, in der alle Menschen in einem einzigen Zimmer lebten.
Die Ausstellung »Genosse. Jude. Wir wollten nur das Paradies auf Erden« läuft noch bis einschließlich 1. Mai 2018 im Jüdischen Museum Wien.
Link: http://www.jmw.at/de/exhibitions/genosse-jude-wir-wollten-nur-das-paradies-auf-erden